Ungleichheit in Deutschland:Ran an die Firmenerben, Spitzenverdiener und Kapital-Millionäre

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Das erregt Protest: Ein Luxushoteleröffnung an der Oranienstraße, einer Gegend, die trotz steigender Preise noch als Hochburg der linken Szene gilt. (Foto: Sophia Kembowski/dpa)

In Deutschland herrschen gravierende soziale Unterschiede. Die kommende Regierung sollte Mittel- und Geringverdiener entlasten - und Reiche stärker heranziehen.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Deutschland im Sommer 2017, ein paar Schlaglichter: Trotz guter Konjunktur bleibt fast jeder sechste Bürger von Armut gefährdet, meldet das Statistische Bundesamt. 40 Prozent der Beschäftigten im Lande verdienen real zum Teil deutlich weniger als vor 20 Jahren, meldet das Wirtschaftsministerium. Und wer ist im Angesicht dieser Nöte der größte Empfänger von Subventionen in der Bundesrepublik, und das mit Abstand? Firmenerben. Ihnen werden nächstes Jahr sechs Milliarden Euro Steuern erlassen, meldet die Bundesregierung. Im Deutschland des Sommers 2017 herrschen ganz offensichtlich gravierende soziale Unterschiede. Sie haben sich in den vergangenen 20 Jahren verschärft, durch Globalisierung, neue Technologien und eine Politik zugunsten der Besserverdiener.

Aber das muss ja nicht so bleiben. Es gibt eine Menge Dinge, die eine neue Bundesregierung für mehr Gerechtigkeit tun kann - wenn sie denn möchte. Angesichts des Fachkräftemangels liegt es auf der Hand, dass mehr Deutsche der Armut entgehen würden, wenn sie für bessere Jobs qualifiziert wären. Doch dafür müsste das Bildungssystem umgekrempelt werden, in dem der Aufstieg schwerer fällt als in anderen Industriestaaten. Während, nur ein Beispiel, drei Viertel der Kinder deutscher Akademiker studieren, tut dies nur jedes vierte Arbeiterkind. Schon die frühe Trennung zwischen Gymnasium und anderen Schularten zementiert soziale Unterschiede. Und Kindern aus bildungsfernen Schichten würde ganz simpel mehr Geld helfen - Geld für intensive Kita-Betreuung, Beratung und ausreichend Nachhilfe.

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Wie sieht es mit den Einkommensverlusten der vergangenen 20 Jahren aus, die trotz jüngster Lohnsteigerungen auch die Mittelschicht erlebt? Da wäre die Regierung gefordert, Modelle wie Minijobs, Leiharbeit und unfreiwillige Teilzeit zurückzudrängen, die häufig kein vernünftiges Auskommen (und auch keine entsprechende Rente) gewähren. Die Zahl derer, die sich im Zweitjob was dazuverdienen, hat sich verdoppelt. Für gerechtere Löhne könnte die Regierung auch sorgen, indem sie die Gewerkschaften gerade in Dienstleistungsbranchen stärkt, die Magerlöhne kultivieren. Etwa, indem sie jenen Firmen Tarifverträge vorschreibt, die aus dem Arbeitgeberverband flüchten.

Bleibt die Frage, wie es zusammenpasst, dass viele Bürger weniger verdienen, die höchsten Subventionen aber an Firmenerben gehen? Da passt nichts zusammen. Die neue Bundesregierung sollte jene, die viel haben, aber häufig wenig versteuern, stärker heranziehen - ob Firmenerben, Spitzenverdiener oder Kapital-Millionäre. Mit den Einnahmen lassen sich Mittelschicht und Geringverdiener entlasten, sodass vom Lohn mehr bleibt und sie mehr für schlechtere Zeiten sparen können. Oder überhaupt mal was sparen: Jeder dritte Deutsche besitzt so gut wie nichts - oder nur Schulden.

Es gäbe also viel zu tun für eine neue Bundesregierung. Wegen der offensichtlichen sozialen Unterschiede gäbe es auch viel zu streiten im Wahlkampf. Weshalb zündet dann die Kampagne von Martin Schulz nicht, der doch mit allerhand Ideen für mehr Gerechtigkeit wirbt? Das hat sicher auch hausgemachte Gründe. Die SPD braucht nach der Agenda 2010 Zeit, um als soziale Partei wieder glaubwürdig zu werden. Und Martin Schulz blieb als Kandidat monatelang unkonkret, teilweise verschwand er sogar von der Bildfläche. Dann überschwemmte er die Bürger binnen weniger Tage mit detailgespickten Vorschlägen aller Art, die man erst mal nachvollziehen muss - eine echte Strategie sieht anders aus.

Zu viel Ungleichheit reißt eine Gesellschaft auseinander

Es gibt noch einen tiefer liegenden Grund, warum eine Kampagne für mehr soziale Gerechtigkeit schwierig ist. Die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren von mehr Gleichheit geprägt. Seit den 1980er-Jahren setzte sich dann als Gegenbewegung der Neoliberalismus durch, der entfesselte Märkte und die Selbstbedienung der Starken predigt. Diese Ideologie hat die Begriffshoheit erobert. Deshalb kommen Firmenerben mit der Behauptung durch, ihre Besteuerung vernichte Jobs. Deshalb sind Geringverdiener im öffentlichen Bewusstsein vor allem selber schuld.

Es wird überall in den Industriestaaten mehr Zeit und geschicktere Wahlkämpfer brauchen, um die neoliberalen Mythen zu entzaubern. Um wieder das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass zu viel Ungleichheit eine Gesellschaft auseinanderreißt. Der Frust vieler Bürger ist ja schon deutlich zu sehen. Von diesem Frust profitieren an den Wahlurnen allerdings bisher nur Rechtspopulisten wie Donald Trump und die AfD, die keine ernsthaften Lösungen anbieten.

© SZ vom 31.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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