Talkshows:Wie man eine politische Talkshow gezielt an die Wand fährt

Nora Illi und Wolfgang Bosbach bei Anne Will

Alles, was eine schlechte Talkshow braucht: AfD-Schreckgespenster und Wolfgang Bosbach.

(Foto: dpa)

Acht Regeln für erfolgreichen Debatten-Bullshit - von "die AfD mit ihren Aussagen konfrontieren" bis "Wolfgang Bosbach einladen".

Gastbeitrag von Hans Hütt

Als am 2. November 2016 Winfried Kretschmann Sologast bei Sandra Maischberger war und in seiner etwas langatmigen Art zu einem Kurzvortrag über das Denken Hannah Arendts anzusetzen drohte, blutgrätschte Frau Maischberger ihm mit einer Frage nach dem Veggie Day dazwischen. Auf Arendt war sie nicht vorbereitet. Die Freiheit des Denkens findet keinen Platz in einem Format, das Haltung durch Unterhaltung ersetzt. Ausnahmen wie Heiner Geißler, Gerhart Baum, Gesine Schwan und Daniel Cohn-Bendit bestätigen die Regel. Denken ist etwas für Veteranen. Der laufende Betrieb verträgt es nicht, oder wenn, dann nur sehr fein dosiert, als Akt der Pietät, einem greisen Altkanzler und seinen Sottisen über den damaligen Außenminister zuzuhören.

Die Episode hat mich auf die Idee gebracht, die Produktion von Bullshit in den Talkshows aus einem anderen Blickwinkel als dem des nächtlichen Kritikers zu beschreiben. Es geht nicht um irgendwelche Zitate und O-Töne, die für Aufregung, Empörung oder Zustimmung sorgten, auch nicht um die Nachzeichnung irgendeiner Debatte zu einem kontroversen Thema. Es geht um die den Talkshows implizit zugrunde liegende Dramaturgie, mit anderen Worten, das ihren Machern und Macherinnen scheinbar Unbewusste. Es geht um einen Container des gesammelten Ungesagten.

1. Immer bei der mitgebrachten Meinung bleiben

Die Idee, dass im Vollzug einer Talkshow-Diskussion jemand die mitgebrachte Meinung zur Disposition stellt, sich von starken Argumenten eines anderen Gastes beeindruckt zeigt, bleibt ausgeschlossen. Der Inszenierungsaufwand erscheint einfach zu hoch, als dass man generell Unvorhersehbares als spielerisches Element zu akzeptieren bereit wäre. Was in anstaltsinterner Prosa der politischen Information und Meinungsbildung dienen und zugleich die Meinungsvielfalt gewährleisten soll, lässt Meinung nicht als fluides, sondern nur als fest gefügtes Konstrukt zu. Dem vorbereiteten "Austausch" haftet etwas Statuarisches an, das vollends kurios wirkt, vergleicht man die bei uns präsentierten mit amerikanischen, englischen oder französischen TV-Debatten.

2. In der Mitte fahren

Die Mitte ist in Deutschland der politische Raum, der von allen bespielt wird, ohne dass je seine Ränder auch nur in Sicht- beziehungsweise Hörweite geraten. Dass die Linke oder die AfD sich am Rand befinden, werden sowohl die Parteien als auch ihre Anhänger bestreiten, sind sie doch selbst ständig darum bemüht, einen Platz im Zentrum des politischen Geschehens zu ergattern. Was bei diesem ewigen Kampf um den besten Platz in der Mitte zu kurz kommt, ist eine vollkommen andere, spielerische Idee von den Rändern des politischen Raums. Von wo, wenn nicht von diesen mehr oder weniger imaginären Rändern kommen neue Impulse und Denkmöglichkeiten ins Spiel? Von wo, wenn nicht von den Rändern wird vorgeblich alternativlose Politik auf die Probe gestellt? Weil manche dieser Ränder von den Parteien, die die Mitte scheinbar lebenslänglich für sich gepachtet haben, als Fleisch von ihrem Fleische betrachtet werden, hat der Wettbewerb um die Mitte manchmal auch den Charakter einer scheiternden Familienaufstellung, mit Formen von Rachsucht, vor der selbst eine Nemesis erbleichte. Zeigten sich die Gastgeber und ihre Teams aufgeschlossener und neugieriger für die Ränder des politischen Betriebs, käme wieder Leben ins Spiel. Es wäre das Gegengift gegen den Implizitismus der "Ick bün al dor!"-Gäste. Sie entdeckten dann womöglich neue Hasen, die auf die alteingesessenen Igel nicht reinfallen, sondern argumentatives Hakenschlagen vorführen.

3. Die AfD mit ihren Aussagen konfrontieren

Kaum etwas erscheint in den politischen Talkshows so beliebt und so vergeblich, wie Angehörige der AfD entweder mit ihren eigenen oder mit Zitaten anderer Parteimitglieder zu konfrontieren. Dieses Spiel scheint es darauf abgesehen zu haben, den Rechtspopulismus zu entzaubern. Was für ein Irrtum! Tatsächlich bewirkt es das Gegenteil, vergrößert den Resonanzraum und damit die politische Reichweite der AfD. Der Versuch der Distanznahme führt zu einem sukzessiven Mainstreaming von AfD-Positionen, die zuvor im politischen Raum bestenfalls als peinlich galten. Das Spiel verschafft den Lieblingsthemen der AfD unangemessen viel Platz in der politischen Arena. Interessanter wäre und viel zu selten erprobt ist es, die AfD zu Themen zu befragen, die eben genau nicht ganz oben auf ihrer Agenda zu finden sind, wie zum Beispiel die Steuer-, Sozial- oder Wohnungspolitik.

4. Wolfgang Bosbach einladen

Was macht Wolfgang Bosbach so interessant für die Talkshow-Besetzung? Wird er seine Talkshow-Weltmeisterposition auch nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag erfolgreich verteidigen? Wolfgang Bosbach ist ein beredter Meister des kommunikativen Beschweigens. Dass er kürzlich aus Protest gegen Frau Ditfurth aus der Sendung von Sandra Maischberger stürmte, wurde als Akt glaubwürdigen Zorns gelobt. Tatsächlich ist es Bosbach so gelungen, die Debatte über Polizeiübergriffe beim G-20-Gipfel zu torpedieren. Seine Beliebtheit verdankt sich nicht einer empirisch gestützten Evidenz seiner Diskussionsbeiträge, sondern der Gabe, sich aus einem überschaubaren Kästchen von Meinungen so zu bedienen, dass er damit den Anschein erweckt, über die politische Wirklichkeit zu sprechen. Nichts liegt ihm ferner. Kein Wunder, dass ein Parteifreund, der heute im Logistikgewerbe arbeitet, "seine Fresse nicht mehr sehen" konnte.

5. Faktenchecks

Faktenchecks sind ein Produkt politischer Naivität. Ginge es nur um Zahlen, Daten und Fakten, wäre es ja gut und schön, wenn bei strittigen Themen die maßgeblichen Zahlen aus seriösen Quellen dokumentiert würden. Tatsächlich aber entzünden sich die interessantesten Kontroversen nicht an strittigen Zahlen, sondern an ihrer Interpretation. Das heißt, hier werfen sich die Redaktionen in eine Rolle, die ihnen nicht zusteht, sie überschreiten den Informationsauftrag durch normative Wertungen und führen ihr Publikum in die Irre. Meinungsfreiheit beginnt und endet nicht bei selbst erhobenen Daten, braucht keine Schiedsrichter, die etwas für falsch oder für richtig erklären. Meinungsfreiheit wird spannend, wenn gut informierte Gäste durch kluge Fragen Gelegenheit bekommen, komplexe Sachverhalte aus ungewohnten Blickwinkeln zu ergründen.

Wie bekämpft man erfolgreich Hunger, Krieg und politische Verfolgung? Dadurch, dass man die Mittelzuweisung an das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen kürzt? Dass man selbst mitbombt oder Ziele ausmacht, die bombardiert werden? Dass man nur verfolgte Christen ins eigene Land lässt, wie es Peter Ramsauer bei Anne Will vorschlägt? Und wenn in den nächsten Jahren vier Millionen Kopten aus Ägypten nach Europa fliehen, wer pfeift dann als Erster auf christliche Solidarität? Die gecheckten Fakten der Talkshows stehen in einem chronischen Missverhältnis zu den unhinterfragten.

Das Dazwischenreden dient Frauke Petry zum Mundtotmachen

6. Dazwischenreden

Es gibt in der Dauerbesetzung der Talkshows zwei Gäste, die auch durch die strikteste Moderation kaum davon abzubringen sind, den anderen Gästen so lange beziehungsweise so lautstark dazwischenzureden, dass tatsächlich niemand mehr zu verstehen ist. Das sind Katja Kipping und Frauke Petry. Bei Frau Kipping wirkt es eher affektiv. Bei Frau Petry ist es ein kalkuliertes Mundtotmachen. Ihr Dazwischenreden dient nicht der Beantwortung von Einwänden. Ihre Technik des Dazwischenredens wirkt, als habe sie kommunikative Desensibilisierungstrainings, man könnte auch sagen eine Entbürgerlichung, erfolgreich absolviert. Sie macht Gebrauch von dieser Technik, wann immer ihr dafür gut entwickelter Radar triftige Kritik an Positionen und Argumenten der AfD wittert. Wie gehen die Gastgeber mit einem solchen Verhalten um? Die Tonregie kann den Gästen zwar nicht das Mikrofon abschalten, aber es wäre angemessen, das mundtot gemachte Argument wenigstens erneut anzuhören. Rigoroser wäre die Alternative, Frau Petry nicht mehr einzuladen.

7. An den Framings des politischen Betriebs kleben

Der politische Betrieb (die Arbeit der Bundesregierung, des Parlaments, der Lobbyisten, der Medien) ist eine Wiederholungsmaschine. Die Begriffe, die Bezeichnungen der Gesetzentwürfe, die Argumente, die dafür oder dagegen vorgebracht werden, wirken alle wie von einer Schleifmaschine bearbeitet. Sie hat den Gegenstand so glatt poliert, dass Versuche, Einwände oder Nachfragen zu formulieren, fast anstößig oder uneinsichtig wirken. Das ist das Ergebnis der Oberflächenbehandlung von für alternativlos erklärter Politik. Warum sind die Gastgeberinnen und Gastgeber der Talkshows so erpicht darauf, dem Politikgospel wie Adepten hinterherzusingen? Haben sie keinerlei Ehrgeiz, hinter die Kulisse zu schauen? Was flößt ihnen diese Ehrfurcht ein? Oder ist es die Scheu davor, naiv wirkende Fragen zu stellen? Sie können manchmal die besten sein.

8. Zu wenig Distanz

Der Vorwurf der politischen Simulation gegen die politischen Talkshows ist nicht neu. Seine Evidenz verdankt er der Bereitschaft des politischen Personals, daran mitzuwirken. Die Motive sind ganz unterschiedlich. Der eine ist schon Betriebsnudel, die andere möchte es werden. Berichte vom freundlichen Weintrinken erbitterter Diskutanten nach dem Ende einer Aufzeichnung oder Sendung bezeugen Peter Müllers (ehem. Ministerpräsident Saarland, d. Red.) Beobachtung von der Rolle des Theatralischen in der Politik.

Wie ziehen die Talkshow-Redaktionen Grenzen zwischen legitimem Theater und falsch verstandener Kumpanei? Offenkundig fehlt manchen das Gespür für die Bedeutung dieser Frage. Man kommt sich zu nahe. Man verwechselt sich mit dem Betrieb. Am Ende kommt es gar zu Verschmelzungsfantasien. Besser wäre es, die eigene Rolle schärfer und genauer zu verstehen. Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden. Keine besonders neue Einsicht.

Coda

Der Bullshit des Arrangements führt zu einer bestürzenden Einsicht. Die Gastgeber der Talkshows durchlaufen mehr oder weniger eine Metamorphose zu Marken. Sie wechseln in eine Sphäre, in der die Distanz zur eigenen Rolle undeutlich wird, und riskieren, ihre Suche nach Themen, Personen und Fragen zu kompromittieren. Würden sie sichtbar auf dem Zaun zwischen Politik und Medien reiten wie John Wayne in die Abendsonne, könnte man dem noch etwas abgewinnen. Die Simulation des politischen Betriebs schreibt ihm eine illusionäre Stabilität zu. Irgendwie gelingt den Gastgebern der Eindruck, dass das erzeugte Abbild der politischen Wirklichkeit entspricht. Das ist nicht der Fall. Wer seine politischen Informationen und das Bild, das er sich vom politischen Betrieb macht, bei Talkshows sucht, landet wie Dornröschen und ihr Hofstaat in einem 100-jährigen Sekundenschlaf.

Das in den Talkshows erzeugte Bild von politischer Stabilität ist trügerisch. Selbst wenn aktuelle Krisen verhandelt werden und Aufregungen ins Spiel kommen, erweckt das diskutierende Personal den Eindruck, die Lage im Griff zu haben. In das Spiel um ein angemesseneres Bild der politischen Wirklichkeit gehört mehr. Andere Augen, andere Stimmen, andere Sichtweisen. Das Fernsehpublikum fühlt sich in den Kokon einer trügerischen Normalwelt versponnen, die von der politischen Wirklichkeit, ihrer Dynamik und ihren Risiken nur Oberflächen erfahrbar macht.

Der Text ist die gekürzte Version eines Beitrags aus dem Kursbuch 191 "Bullshit.Sprech". Hans Hütt ist Journalist und Autor und lebt in Berlin.

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