"Wahlarena" mit Angela Merkel:Beim Thema Alltagsrassismus wählt Merkel die falschen Worte

Wahlarena mit Bundeskanzlerin Merkel

Hat mittlerweile so viel TV-Erfahrung, dass sie kritische Fragesteller mit einem rhetorischen Kniff entwaffnen kann: Angela Merkel.

(Foto: dpa)

Die "Wahlarena" in der ARD lässt sich auch ohne Trinkspiel ertragen. Das Publikum ist kritisch, die Kanzlerin auf Zack - bis ihr ein junger Mann mit Migrationshintergrund eine Frage stellt.

TV-Kritik von Antonie Rietzschel

In jedem Wahlkampf sammeln sich typische Phrasen an, die sich aufgrund ihrer ständigen Wiederholung wunderbar für Trinkspiele eignen. Die machen wiederum die zahlreichen politischen und teilweise unsäglichen TV-Veranstaltungen erträglicher, die sich kurz vor dem Wahltermin anhäufen. Zum Beispiel die Sendung jüngst bei Sat 1, in der die Linken-Spitzenkandidatin Katja Kipping gefragt wurde, ob sie FDP-Politiker Christian Lindner scharf finde.

Die Wahlarena der ARD, in der Bundeskanzlerin Angela Merkel Fragen aus dem Publikum beantwortete, muss man sich nicht schön saufen. Das liegt vor allem am Streitwillen einzelner Zuschauer (mehr dazu im Live-Blog). Außerdem fügt die Bundeskanzlerin ihrem Sprüche-Repertoire (unter anderem hier gesammelt) zwei neue hinzu: "Ich kann Ihnen jetzt nicht versprechen, dass ..." und "Sie wissen das besser".

Es ist nicht das erste Mal, dass Merkel mit normalen Bürgern und deren Sorgen konfrontiert ist. Bereits bei der Sendung An einem Tisch mit (RTL) bestimmten die Gäste die Themensetzung. Es ging um innere Sicherheit, Flüchtlinge, Integration und Altersarmut. Die Bundeskanzlerin präsentierte sich vor allem als Macherin, verwies auf Gesetze oder Initiativen, die die Regierung unter ihrer Kanzlerschaft angestoßen hat. Sie spielte stets ihre Erfahrung aus, auch im TV-Duell mit ihrem Herausforderer Martin Schulz.

Die Kanzlerin will bloß nichts versprechen

In der Wahlarena dimmt Merkel die Erwartungen herunter. Ob bei der Pflege, kostenlosen Kita-Plätzen oder Tierschutz, Merkel zitiert wie gewohnt bestehende oder geplante Maßnahmen, macht jedoch deutlich, dass deswegen nicht gleich alles besser werde. Bloß nichts versprechen. Sie gesteht einzelnen Gesprächspartnern Expertise zu, die angeblich über ihre eigene hinausgeht - ein geschickter rhetorischer Kniff, der die Fragenden entwaffnet und vermeidet, dass sie selbst in die Bredouille gerät. Zum Beispiel beim Thema Parteienspenden. Ab wann müssten die Spender sofort offengelegt werden? "Sie sind da der Experte", sagt Merkel zu einem jungen Mann, der von den Moderatoren nur das "grüne Hemd" genannt wird. "50 000", lautet die Antwort.

Merkel ist offenbar auch dankbar für die zahlreichen Faktenchecks, die es mittlerweile gibt. Da muss sie nicht mehr selbst argumentieren, sondern kann bei der Pkw-Maut auf einen Text des WDR verweisen. Der habe ja ganz klar bewiesen, dass Schulz sie beim TV-Duell zu Unrecht bezichtigt habe, die Unwahrheit gesagt zu haben. Dass das so nicht ganz stimmt, lässt sich hier noch mal nachlesen.

Dank Faktenchecks und eigener Zurückhaltung kann Merkel an diesem Abend lässig bleiben. Keine Selbstverständlichkeit angesichts des sehr ungemütlichen Studioaufbaus. Die Sitze des 150 Personen starken Publikums sind tatsächlich wie in einer Arena angeordnet. Merkel und die zwei Moderatoren Sonia Seymour Mikich und Andreas Cichowicz stehen sich in der Mitte im Dreieck gegenüber. Wenn im Rücken von Mikich jemand die Stimme erhebt ist der- oder diejenige recht weit weg von Merkel. Die Bundeskanzlerin versucht zuweilen auf die Menschen zuzugehen, verlässt dafür ihr gläsernes Pult. Doch die meiste Zeit lümmelt sie darauf herum.

Einen Moment der Wahrheit wie bei der Wahlarena 2013, als ein Leiharbeiter Merkel aus dem Konzept brachte, gibt es in diesem Jahr nicht. Kurz schafft es ein junger Pfleger, die Bundeskanzlerin in ihrem beruhigenden Redefluss zu stören. Als sie herunterspult, was in seinem Bereich bereits getan wurde, stellt er die richtigen Fragen: Ob es die versprochenen Standards auf allen Krankenhaus-Stationen gebe? Nein, gibt es nicht. Woher denn in zwei Jahren die vielen neuen Pflegekräfte kommen sollen? "Die fallen nicht vom Himmel." Merkel versucht die Wut des Fragenden zu besänftigen, indem sie ihm für seinen Einsatz dankt.

In welcher Szene Merkel stark ist - und bei welchem Thema die Kanzlerin versagt

Die stärkste Szene ist jedoch diese: Als einziger (!) Ostdeutscher im Publikum schafft es ein Mann aus Apolda seine Frage zu platzieren. Wie so viele andere an diesem Abend lobt er Merkel. "Ihre Wirtschaftspolitik, tip top." Gar nicht tip top findet er jedoch, dass jetzt Flüchtlinge in Deutschland sind. Ihm missfällt, dass jetzt "Asylanten", die in Syrien den Wehrdienst verweigert hätten, in Deutschland Asyl bekämen. Das hätte es nach 1945 in Deutschland nicht gegeben. Aus dem Publikum kommt ein Zwischenruf.

Merkel macht darauf aufmerksam, dass das im Sommer 2015 eine "humanitär außergewöhnliche Situation" war. Deutschland könne stolz darauf sein, was es geschafft habe. Dann verspricht sie dem Zuschauer, dass sich die Politik um alle kümmere, nicht nur um Flüchtlinge. Und richtet einen klaren Appell an den Mann aus Thüringen: "Haben Sie ein offenes Herz für Menschen, denen es viel schlechter geht." Applaus für die Kanzlerin, die jedoch auch verspricht, solche Sorgen stets ernstzunehmen.

Besser als Anteilnahme an der Person wäre Anteilnahme am Problem

Eine klare Positionierung wäre auch bei der nächsten Frage nötig, die perfekt zum Themenkomplex passt. Ein junger Mann mit Migrationshintergrund berichtet von ständigen Anfeindungen. Menschen fragten, zu welcher Terrororganisation er denn gehöre. "In Deutschland hat Rassismus keinen Platz" - ein Satz, der mittlerweile zur Phrase geworden, aber dennoch wichtig ist. Wichtig wäre er an dieser Stelle. Merkel kommt er nicht über die Lippen. Stattdessen fragt sie nach der Herkunft der Eltern des Fragenden, was er studiere. Es soll interessiert klingen, nach Anteilnahme an der Person. Doch besser wäre Anteilnahme am konkreten Problem. Die Frage lautete schließlich: "Was machen Sie gegen Rassismus?"

Merkel sagt stattdessen, was der junge Mann, der Diskriminierung erfährt, tun soll. "Lassen Sie sich Ihren Schneid nicht abkaufen." Es sei eine Zeit, in der ein "bisschen" Mut gefragt ist.

Ein bisschen? Merkel hat in den vergangenen Wochen auf ihrer Wahlkampftour erlebt, wie viel Hass es da draußen gibt. Auch gegen sie. Es gibt Orte in Deutschland, an denen sich Menschen nicht trauen, sich als Flüchtlingshelfer zu outen. Aber die Bundeskanzlerin sagt nur, man dürfe Menschen nicht nach ihrem Äußeren bewerten. In Deutschland gäbe es ein offenes Klima.

Um Frau Merkel zu zitieren: "Sie wissen es besser." Darauf einen Schnaps.

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