Europa League:"Nacht der Schande"? Eine maßlose Übertreibung

Von Philipp Selldorf, London

Nicht einmal und nicht zweimal, sondern wenigstens ein halbes Dutzend Mal hatte der 1. FC Köln den FC Arsenal vor den Gefahren seiner strikten Kartenverkaufspolitik gewarnt. Denn schon lange vor dem Anpfiff des Europa-League-Spiels am Donnerstagabend waren zwei Besonderheiten unstrittig: Es würden weniger Arsenal-Fans als üblich im Stadion erscheinen - aber es würden viel mehr Kölner ins Stadion kommen wollen als die 2900 Glücklichen, die im Losverfahren ein Ticket aus dem Kontingent für Auswärtsfans ergattert hatten.

Der FC hätte für den ersten Auftritt in Europa seit mehr als 25 Jahren ohne weiteres 10 000 Karten an seine Anhänger vermitteln können. Aber er war dazu auf das Wohlwollen des FC Arsenal angewiesen, und von dort hieß es: Es gibt genau so viele Tickets, wie die Uefa vorschreibt, und keines mehr.

Wie viele Rheinländer letztlich ins Emirates-Stadion gelangten, indem sie sich auf dem Schwarzmarkt und im Internet-Handel versorgten, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall waren es weit mehr, als die Engländer erwartet hatten. Unruhig wurde es deswegen schon, als die Kolonne der FC-Fans, die einen organisierten Marsch zum Stadion unternommen hatte, am Ziel eintraf. Die Polizei hatte an einer Brücke einen Engpass eingerichtet, um jeden Einzelnen auf seine Eintrittskarte zu überprüfen. Es gab Unruhe und Hektik im Menschenstau und auch ein paar Aggressionen.

Als dann ungefähr zwei Stunden vor dem planmäßigen Anpfiff eine Horde von ungefähr 50 bis 80 Leuten versuchte, den Gästeblock zu stürmen (vermutlich, um entweder Kumpane ohne gültige Karten oder Feuerwerk ins Stadion zu schleusen), riefen die Organisatoren den Notstand aus und verschoben erst mal den Anstoß um eine Stunde. Sie standen vor einem Dilemma: Zwar war der Tumult um den versuchten Blocksturm relativ schnell beigelegt, und die Polizei schaffte es, den Tatort zu isolieren, indem sie im Stadionrundgang einfach drei Mannschaftswagen querstellte und damit die neuralgische Zone abriegelte. Aber da waren ja auch noch die vielen Kölner Fans, die Eintrittskarten hatten - bloß nicht für den Gästeblock.

Engländer hatten ihren Spaß an den lauten Gästen aus Deutschland

Beim FC Arsenal wuchsen die Bedenken darüber, dass sich dadurch auf den Rängen einheimische und auswärtige Anhänger unheilvoll vermischen würden. Zwischen den Vertretern der Uefa und der beiden Klubs gab es dann eine Kontroverse über das weitere Vorgehen; auch die Spielabsage stand sehr konkret zur Debatte. Die Kölner argumentierten, dass dann erst recht Sicherheitsprobleme entstehen könnten.

Daraufhin wurde die Absage verworfen, und Arsenal öffnete die Tore auch für jene Kölner Fans, die keine Karten für den Gästebereich hatten. Sie erhielten die Order, sich unauffällig zu verhalten. Selbst der Jubel nach Cordobas 1:0 wurde ihnen von Stewards untersagt, in Einzelfällen wurden Kölner vor die Tür gesetzt. Insgesamt gab es an dem Abend aber lediglich fünf Festnahmen.

Wenn nun in der englischen und deutschen Boulevardpresse von einer "Nacht der Schande" und Ähnlichem die Rede ist, dann ist das eine maßlose Übertreibung. Es gab den (folgenlosen) Versuch eines Blocksturms, ein paar Rangeleien am Rande und ein paar abgebrannte Feuerwerkskörper - nicht viel mehr, als die Polizei bei einem gewöhnlichen Bundesligaspiel vermerkt. Auch der Marsch durch die Stadt, bei dem anstelle eines Sonderaufgebots von Polizeibeamten lediglich ein paar Bobbies zugegen waren, verlief harmlos.

Die Atmosphäre während des Spiels und auch danach war fröhlich und friedlich. Viele Einheimische hatten ihren Spaß an den lauten Gästen aus Deutschland. Highbury the Library, Highbury die Bücherstube, wurde Arsenals früheres Stadion spöttisch genannt, weil es dort immer so still war. Für das Emirates Stadion gilt das noch immer. Doch am Donnerstagabend war das ausnahmsweise anders.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: