Bericht zur Ernährung:Erstmals seit zehn Jahren steigt die Zahl der Hungernden auf der Welt

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Im Südsudan haben mehr als 40 Prozent der Menschen nicht genug zu essen - wie dieser Junge im Bundesstaat Unity. (Foto: Albert Gonzalez Farran/AFP)
  • Die Zahl der Menschen, die Hunger leiden, hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen.
  • Mehr Konflikte und wetterbedingte Katastrophen auf der Welt sind ein Grund für die Zunahme.
  • Gleichzeitig wächst in allen Regionen auch die Quote Übergewichtiger.

Von Bernd Dörries, Paul-Anton Krüger, Tobias Matern, Oliver Meiler, Rom

Schon eine Trendwende? Oder nur ein Knick in der Kurve? Die Zahl der Menschen, die an Hunger und chronischer Unterernährung leiden, hat nach einer Dekade der kontinuierlichen Abnahme erstmals wieder zugenommen, und zwar deutlich: von 777 Millionen im Jahr 2015 auf 815 Millionen 2016. Das zeigt der jüngste Bericht zur Lage der Ernährungssicherheit in der Welt, den die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO und das Welternährungsprogramm WFP erstellt haben.

"Dieser Rapport sendet ein klares Warnsignal aus", heißt es darin. Ohne neue Anstrengungen werde es schwierig werden, die Zielvorgabe für 2030 zu erfüllen. Passender wäre wohl ein anderes Wort gewesen: unmöglich. Für 2030 streben die Vereinten Nationen eine Welt ganz ohne Hunger an. So wurde das vor einigen Jahren in der Agenda für nachhaltige Entwicklung formuliert.

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Den jüngsten Rückschlag erklären sich die Verfasser des Berichts mit einem Mix von Faktoren, sie brauchen bei der Formulierung ihrer Erkenntnisse aber viele Konjunktive. Belegt ist, dass die Zahl der Hungerleidenden vor allem im subsaharischen Afrika und in Südostasien angestiegen ist. Besonders verheerend ist die Not in Ländern, die von wetterbedingten Katastrophen geplagt wurden - von Dürren und Überschwemmungen, die mit dem Klimawandel noch gravierender werden.

Eine Korrelation gibt es zwischen Krieg und Hunger: Mehr als die Hälfte aller unterernährten Menschen, 489 Millionen, leben in Konfliktzonen. Der Bericht widmet diesem Zusammenhang ein ausführliches Kapitel. Nachhaltiger Frieden sei ein "Imperativ" beim Kampf gegen Hunger. Anzahl und Komplexität der Konflikte hätten zuletzt aber zugenommen.

Ungebrochen ist der Trend zur Fettleibigkeit. In allen Weltregionen, heißt es in dem Bericht, wächst die Quote Übergewichtiger an der Gesamtbevölkerung unvermindert. In vielen Entwicklungsländern gibt es gleichzeitig Hunger unter den Armen und Fettleibigkeit unter den neuen Reichen. Dazu tragen große Supermarktketten und Konzerne bei, die mit Fertiggerichten die oft gesünderen traditionellen Ernährungsgewohnheiten verdrängen. Eine positive Note findet der Bericht aber dann doch noch: Die Zahl der Kinder, die wegen ungenügender Ernährung an Wachstums- und Entwicklungsstörungen leiden, geht weiter zurück. Positiv ist daran jedoch nur der Trend. Weltweit sind es noch immer 155 Millionen.

Kenia

Die National Drought Management Authority ist eine kenianische Musterbehörde, mit qualifizierten Mitarbeitern und einer modernen Internetseite, auf der man immer die aktuellsten Warnungen lesen kann, in welchen Landesteilen eine Dürre droht. Die Warnungen erweisen sich meist als richtig. Leider arbeitet nur die Dürre-Behörde in Kenia so, wie sie sollte - der Rest aber nicht. Das Land ist eine Ausnahme in Ostafrika: Während die Hungerkatastrophen in Somalia und dem Südsudan durch Kriege beschleunigt wurden, ist die Not in Kenia der trägen Bürokratie anzulasten. Es gibt ein hervorragendes Frühwarnsystem, es gibt Hilfsgelder der Geberländer und auch kenianischer Firmen. Aber es kommt in den Dürre-Regionen zu wenig an. In der größten Volkswirtschaft Ostafrikas hungern derzeit 3,2 von etwa 48 Millionen Menschen. Bernd Dörries

Afghanistan

Die Sicherheitslage, so lautet die Antwort nahezu jedes Afghanen auf die Frage, was sein Leben bedroht. Aber auch die Versorgungslage ist ein Problem: 8,5 Millionen Afghanen litten nach Angaben der FAO im vergangenen Jahr unter der Lebensmittelkrise. Zusätzlich zu den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen auf der einen Seite und den Taliban sowie Kämpfern des Islamischen Staats auf der anderen Seite verschärften extreme Wetterphänomene und die Dürre in einer Provinz die Situation. Auch leben nach wie vor Hunderttausende Afghanen im Nachbarland Pakistan - auch Flüchtlinge gelten als besonders vulnerabel. In Afghanistan selbst sind kaum industrielle Jobs entstanden, die Wirtschaft lahmt. Das sorgt für anhaltende Arbeitslosigkeit und setzt viele Afghanen der Gefahr aus, hungern zu müssen. Tobias Matern

Jemen

Im ärmsten Land der arabischen Welt gab es schon vor Ausbruch des Konflikts zwischen den Huthis und der Regierung von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi Mangel und Hunger: 2014 hatten 40 Prozent der 28 Millionen Jemeniten laut den UN nicht genug zu essen. Nach 2011 aber hatte sich die Situation verbessert. Heute, mitten im Bürgerkrieg, werden zwei Drittel der Bevölkerung nicht satt, 17 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, sieben Millionen von einer akuten Hungersnot bedroht. Hauptgrund: Jemen muss 90 Prozent der Grundnahrungsmittel importieren. Der wichtigste Hafen des Landes ist durch Luftangriffe der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition beschädigt, Schiffe werden nur schleppend entladen, wenn überhaupt. Es gibt zwar Lebensmittel zu kaufen, für viele Jemeniten sind diese aber unerschwinglich. Paul-Anton Krüger

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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