Flüchtlinge:Jung, geflüchtet, auf der Suche nach Arbeit

Flüchtlinge: Arbeitgeber und potenzielle Arbeitnehmer auf einer Berliner Jobmesse für Geflüchtete im Januar 2017.

Arbeitgeber und potenzielle Arbeitnehmer auf einer Berliner Jobmesse für Geflüchtete im Januar 2017.

(Foto: Steffi Loos/AFP)
  • Kein Thema bewegt die Bürger vor der Bundestagswahl so sehr, wie die Integration von Flüchtlingen.
  • Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass Asylbewerber es auf dem deutschen Arbeitsmarkt schwer haben.
  • Viele Unternehmer wollen zwar Flüchtlinge beschäftigen. Doch oft stehen bürokratische Hürden im Weg.

Von Alexander Hagelüken und Lea Hampel, Murnau/München

Als Samer Bashar Toma nach Deutschland kam, hatte er sich von seinem großen Traum verabschiedet. Kurz nach seinem Abitur nahm im Irak die Gewalt zu, bedrohlich gerade für ihn als Christen. Also gab er seinen Wunsch zu studieren auf und machte sich auf nach Europa. Deutschland, so hoffte Bashar Toma, würde für ihn wenigstens einen Neuanfang bringen.

Mehr als 1,3 Millionen Flüchtlinge sind seit 2015 in die Bundesrepublik gekommen. Seitdem bewegt kein Thema die Bürger, die nächsten Sonntag eine neue Regierung wählen, so sehr wie dieses. Im Zentrum steht unter anderem die Frage, wie schnell die Migranten Arbeit finden. Die Erwartungen unterschieden sich von Anfang an extrem. Optimisten versprachen sich Abhilfe für den Mangel an Fachkräften, Daimler-Chef Dieter Zetsche erhoffte sich gar ein "neues Wirtschaftswunder". Pessimisten dagegen befürchteten ein Heer von Hartz-IV-Empfängern. Die Frage, was für die Arbeitsmarktintegration zu tun ist, drängt, weil viele Zuwanderer aus Ländern kommen, in denen Krieg herrscht, sie werden bleiben.

Und wie viele sind heute am Arbeitsmarkt angekommen? Wenige. Von den 2015 Gekommenen war nach neuesten Zahlen im zweiten Halbjahr 2016 jeder Zehnte erwerbstätig, hatte Arbeit, Ausbildung, ein bezahltes Praktikum. Das deckt sich mit Migrantenströmen der 90er-Jahre. Denn Integration dauert: In den ersten Monaten dürfen Flüchtlinge nicht arbeiten. Wie es danach weitergeht, variiert nach Bundesland und Behörde. Die Art ihrer Aufenthaltsberechtigung bleibt lange unklar. Und fast alle seit 2015 Angekommenen müssen Deutsch lernen, die meisten einen Beruf.

Die Erfahrung zeigt auch: Nach einer Weile verbessert sich die Quote. Von jenen, die 2013 kamen, sind 30 Prozent erwerbstätig. Der Iraker Samer Bashar Toma passt ins Bild. Er lebt über fünf Jahre in Deutschland. Nach dieser Spanne ist im Schnitt jeder zweite Flüchtling im Arbeitsmarkt. Für seine Chefin ist der 26-Jährige "der beste Azubi", den sie je hatte. Manche Kunden kommen seinetwegen in den Friseursalon im Münchner Stadtteil Neuhausen.

Aber bis dahin war es ein langer Weg. Bashar Toma jobbte länger, bis er den ersehnten Ausbildungsplatz bekam. In der aktuellen Migrantenwelle erschwert es die Integration, dass schnell viele kamen - und die Behörden lange langsam blieben. Ende 2016 hatte nicht mal die Hälfte jener, die schon ein Jahr da waren, eine Asylentscheidung. Entsprechend sanken Selbstvertrauen und Motivation. "Für den Durchschnitt der Menschen hat es zu lange gedauert", sagt der Forscher Herbert Brücker vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Je länger das Verfahren, desto schwieriger die Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

Einen markant positiven Unterschied zu den 90er-Jahren sieht Brücker: "Diesmal kümmert man sich um die Integration der Flüchtlinge." Ob Kommunen, Schulen oder Arbeitsagenturen, alle staatlichen Institutionen engagierten sich, zusätzlich gibt es private Initiativen. Allerdings kommen vor allem offizielle Maßnahmen oft erst spät, nach dem Asylverfahren. Im zweiten Halbjahr 2016 hatte ein Drittel der Flüchtlinge keinen Sprachkurs besucht.

Die bürokratischen Hürden bremsen viele Unternehmer aus

Der Forscher empfiehlt, die klassischen Integrationskurse zu Sprache und Landeskenntnissen mit Qualifizierung anzureichern, etwa Beratung über Berufsaussichten. Doch solche Angebote gibt es wenig, es dominieren reine Sprachkurse. Und so dauert alles: "Ohne dass sich einer großartig qualifiziert, sind inklusive der Zeit in den Asylverfahren oft zwei Jahre um."

Was bei der Integration hilft, sind flexible Arbeitgeber. Als Samer Bashar Toma sich um Praktika bewarb, "bin ich oft nach den ersten Worten heimgeschickt worden, weil der Chef sagte: Du kannst ja gar kein Deutsch". Die Friseurin Julia Lechner aus München dagegen schickte ihn in einen Vorbereitungskurs und ließ ihn arbeiten. Manchen Branchen kommen die Flüchtlinge recht - Serviceberufen wie Friseur, Gastronomie, Pflege, aber auch Produktionsfirmen. "Wir brauchen den Zuzug nach Deutschland", sagt der Druckereibesitzer Peter Wiesendanger aus Murnau. Er sagt auch: "Die Trägheit des Systems zermürbt uns kleinere Firmen." Denn oft ist der Wille seitens der Unternehmen da - doch bürokratische Hürden bremsen sie aus.

Wiesendanger hat das erlebt: Als sich im Frühjahr 2016 ein junger Afghane meldete, war er optimistisch. Er sucht seit Jahren Auszubildende. Das Praktikum lief gut, er überredete den jungen Mann, dass eine Ausbildung besser wäre als der höher bezahlte Hilfsarbeiterjob. Für die Erlaubnis der Ausbildung musste Wiesendanger einen Behördenmarathon absolvieren. Im Mai 2017 erhielt der Afghane einen Abschiebungsbescheid. "Das brachte den jungen Mann völlig aus der Spur", sagt Wiesendanger. Er berief sich auf die Regel, wonach Flüchtlinge während der Ausbildung und zwei Jahre danach nicht abgeschoben werden dürfen. Eine Bestätigung, dass der Azubi bleiben darf, fehlt bis heute.

Solche Fälle schrecken andere Unternehmen ab. Das ist umso dramatischer, als die Integration ohne die Bereitschaft der Wirtschaft gerade zur Ausbildung scheitern wird. Während 80 Prozent der Deutschen eine Berufsausbildung vorweisen, haben 70 Prozent der aktuellen Flüchtlinge keine.

Positiv betrachtet: 80 Prozent haben mehr als eine Grundschule besucht und eine Mehrheit ist unter 25 - sie haben gute Voraussetzungen, um mehr zu lernen. Aber dieses Potenzial muss gehoben werden. Forscher Brücker schlägt einen Fallmanager für jeden Flüchtling vor. Der erst berät, welche Form der Ausbildung passt, dann Hürden mit abräumt, von Sprachkompetenzen über Bescheinigungen und Unterkunft bis zum Weg in einen Betrieb, inklusive Nachbetreuung. Manche Kommunen leisten das, auch Ehrenamtliche, aber insgesamt gibt es zu wenig Hilfe. Friseurlehrling Samer Bashar Toma hätte jemanden gebraucht, der ihm den Arbeitsmarkt erläutert, das System der Lehre, die Möglichkeiten für einen, der Abitur hat, aber kein Zeugnis davon. Doch: "Es gab einfach niemanden, der mir das erklärt hat."

Jeder vierte Flüchtling war in der Heimat selbstständig

Manche Fachleute warnen davor, die Flüchtlinge lange in Programmen zu parken, wo sie sich womöglich an die Versorgung im sozialen Netz gewöhnen. Besser sei der schnelle Einstieg etwa in einen Serviceberuf, aber mit begleitenden Angeboten, die Sprache zu lernen und Ausbildung oder Studium draufzusatteln. Dafür spricht, dass trotz ihres meist jungen Alters 70 Prozent der Flüchtlinge Berufserfahrung haben, im Schnitt fast zehn Jahre. Das erleichtert den Einstieg. Aber es hat auch Nachteile: Es nährt bei manchem Ansprüche, die sich kaum erfüllen lassen. Unter jenen mit Berufserfahrung hat die Hälfte in der Heimat als Angestellte und Beamte gearbeitet. Viele streben das in Deutschland an. Die Hürden für einen Büroberuf sind aber höher als für einen Servicejob.

Positiv wirkt sich aus, dass jeder vierte in der Heimat selbständig war. Das dauert hier zwar, aber auf längere Sicht gibt es gute Chancen in einem Land, in dem viele Einheimische die Selbständigkeit scheuen: 2016, so eine Studie der Förderbank KfW, war jeder fünfte Gründer in Deutschland Ausländer oder eingebürgert.

Samer Bashar Toma könnte einer von ihnen werden. Der Lehrling möchte in zwei Jahren seine Ausbildung zum Meister starten. Er träumt von einem eigenen Salon. Genauer gesagt: Nachdem es mit dem Studium im Irak nichts geworden war, ist das sein neuer Traum in Deutschland.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: