Gesundheitsarchitektur:Eine Architektin entwirft Krankenhäuser im Baukastensystem

Krankenhaus

Architekturmodell von der Modulklinik von Architektin Sarah Friede, Lübeck.

(Foto: Julia Knop; Julia Knop)

Sarah Friede sucht ein Thema für ihre Masterarbeit, als ein Arzt in Homs um Hilfe bittet - beim Bau einer Klinik. Die Geschichte von übergroßen Legosteinen im Krisengebiet.

Von Andrea Rexer

Sarah Friede fällt zwischen den Ärzten und Pflegern in der Cafeteria der Berliner Charité kaum auf mit ihrem weißen T-Shirt und den hellgrauen Jeans. Sanft streichelt sie über die Rillen der Holzbank, so, als könnte sie mit einer Handbewegung ermessen, wie widerstandsfähig das Material ist. Immer wieder gleitet­ ihr Blick ehrfurchtsvoll zu dem roten Backsteinbau, vor dessen Eingang sie in der Sonne sitzt. Die Charité ist der Inbegriff eines Krankenhauses in Deutschland. Der Prototyp einer Klinik. Ende des 19. Jahrhunderts setzten Bauarbeiter elf Jahre lang Stein auf Stein, bis der großzügig angelegte Campus fertig war.

Der jungen Architektin Sarah Friede ringt das Respekt ab. Sie hat ihren Beruf aus Liebe zum Altbau ergriffen. Und doch hat sie einen Prototyp entworfen, den man getrost als die Antithese zum schmucken Charité-Campus bezeichnen könnte: ein Krankenhaus auf Basis eines einzigen Standardmoduls. Länge: 6 Meter.­ Breite: 3 Meter. Höhe: 3,45 Meter. Wie übergroße Legosteine lassen die Module sich stapeln und zu einem voll funktionstüchtigen Krankenhaus aufbauen. Das geht schnell. Und es ist billig. Und trotzdem hat ihr Prototyp das Potenzial, ebenso große humanitäre Strahlkraft zu entwickeln wie die Charité, das Flaggschiff der deutschen Medizin - wenn auch auf völlig andere Art und Weise.

Sarah Friedes Krankenhaus soll nicht in Berlin gebaut werden, sondern im syri­schen Homs. Dort, wo jeder Tag zählt, an dem es keine medizinische Versorgung gibt. Dort, wo es einen großen Unterschied macht, dass in ihrer Bauweise bei gleichem Budget drei Krankenhäuser statt einem gebaut werden könnten.

Ihre Idee ist simpel, wie gute Ideen eben sind. Ihre Modulbauweise ist billig, aber die eigentliche Kostenfalle beim Krankenhausbau, merkte Friede schnell, ist der aufwendige Planungsprozess, in dem immer wieder Anforderungen abgeglichen werden. Sollte der Operationssaal doch ein paar Quadratmeter größer werden, vielleicht die Bettenzimmer doch etwas schmaler? Das kostet Zeit und Geld. Also entwarf Friede ein Baukasten-system. Es soll so einfach zu bedienen sein wie ein Ikea-Küchenplaner. "Ich habe den Modulbau natürlich nicht erfunden, aber er wurde bei Krankenhäusern noch nie so angewandt", sagt Friede.

Noch existiert das Krankenhaus für Homs mit 400 Betten nur in Lübeck, als Modell auf Friedes Bürotisch. Doch die Pläne haben gute Chancen, Wirklichkeit zu werden. Die Vereinten Nationen, genauer die Weltgesundheitsorganisation WHO, haben die Pläne übernommen und sind gerade auf der Suche nach Geldgebern. Die deutsche Bundesregierung hat Unterstützung signalisiert, die syrische Regierung hat bereits zugestimmt, dass das Krankenhaus auf dem ursprünglichen Grundstück wiedererrichtet werden darf. Nur die Gelder sind noch nicht freigegeben.

Begonnen hat alles im April 2016 mit einer vage formulierten E-Mail von Oliver Rentzsch, der als Arzt und Gesundheitswissenschaftler für die WHO arbeitet und immer wieder in Syrien im Einsatz ist. Ob mal jemand darüber nachdenken könne, wie sich Krankenhäuser in Krisengebieten schneller und billiger bauen ließen, fragte er bei der Fachhochschule Lübeck an. Es quälte ihn zu sehen,­ dass die Menschen in der zerstörten Stadt Homs nicht wussten, wo sie hingehen können, wenn sie einen Arzt brauchen - und dass es nicht die geringste­ Aussicht auf einen Wiederaufbau ­einer Klinik gab.

Neu zu bauen, wurde ihm gesagt, dauere mindestens sechs Jahre. Das wollte er nicht akzeptieren. Seine hilfesuchende E-Mail kam beim Lübecker Architekturlehrstuhl an, als die Studentin Friede gerade auf der Suche nach ­einem Thema für ihre Masterarbeit bei ihrem Professor anklopfte. Sie sagte sofort zu: "Ich wusste, dass ich mit dem Projekt ein enormes Risiko eingehe. Aber es hat mich von der ersten Sekunde an gepackt. Es ist eine großartige Chance, für eine wirklich gute Sache zu arbeiten. Als Arzt macht man das jeden Tag, als Architektin habe ich diese Chance nicht so oft."

Zum ersten Mal wird wieder über etwas anderes als Krieg geredet

Eine Nähe zur Medizin hat Friede schon früh entwickelt. Nach der Schule hatte sie zunächst eine Krankenpflegeausbildung begonnen, wurde früh schwanger, brach die Ausbildung ab und holte das Abitur nach, als ihr Sohn noch ein Baby war. Dann entschied sie sich für das Architekturstudium, zog es durch - auch als ihr zweites Kind, eine Tochter, unterwegs war.

"Ihr Geburtstermin lag genau auf der Abschlussprüfung", sagt sie, lacht und wirft ihre roten Haare zurück, als gäbe es keine leichtere Aufgabe, als einen Abschluss mit einem Säugling im Arm nachzuholen. Mit den Unwägbarkeiten des Lebens hat sie jedenfalls umzugehen gelernt. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie sich von der Herausforderung, einen ganz neuen Typ Krankenhaus zu erfinden, nicht hat abschrecken lassen. "Ich recherchierte drauflos, ohne zu wissen, welche Anforderungen es gibt, weil Herr Rentzsch in Syrien nicht erreichbar war."

Sie schaute sich Pläne bestehender Krankenhäuser auf der ganzen Welt an, glich ab, welche Größen ein idealer OP hat, welche ein Kreißsaal, welche ein Bettenzimmer. Es musste groß genug sein, um alle Funktionen zu erfüllen, ohne Platz zu verschwenden. Und die Module mussten auf Lastwagen transportierbar sein, die auch auf schlechten Straßen fahren können. "Ich hatte auch immer im Blick, dass ich kein Krankenhaus für Deutschland plane, sondern eines für eine andere Kultur", so Friede. Ihr Prototyp besteht aus zwei U-förmigen Flügeln, die Rücken an Rücken liegen.

Ein Eingang ist für die Männer, einer für die Frauen - sonst würde es die Bevölkerung nicht annehmen. Auch andere Besonderheiten erfüllt die Klinik: So ist die Geburtenstation deutlich größer, als sie in einem deutschen Haus wäre. Die Geburtenquote ist viel höher. Überhaupt wird ihr Krankenhaus zumindest in den ersten Jahren vor allem Frauen und Kindern zugutekommen - sie stellen im vom Krieg zerstörten Land Schätzungen ­zufolge zwei Drittel der verbliebenen Bevölkerung.

In Homs war Sarah Friede aus Sicherheitsgründen noch nicht. Die Gespräche vor Ort führt WHO-Mediziner Rentzsch. "Es ist ungerecht, dass ich die leuchtenden Augen sehe, die eigentlich Sarah Friede verdient hätte. Obwohl noch nichts gebaut ist, reden die Menschen zum ersten Mal wieder über etwas anderes als den Krieg. Das Projekt gibt ihnen Hoffnung", sagt er. Wann tatsächlich gebaut wird, ist noch nicht abzusehen. Manchmal frustriert es die junge Architektin, wie langsam politische Prozesse funktionieren. "Dabei ist doch offensichtlich, dass jeder Tag zählt", sagt sie.

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