Tennis:Sog in Oberhaching

Peter Gojowczyks unverhoffter Turniersieg in Metz zeigt: Das deutsche Männerteam wächst nach Jahren der Stagnation auch in der Breite wieder. Relativ neue Strukturen fördern diese Entwicklung.

Von Gerald Kleffmann, Metz/München

Manchmal fügt sich manches auf wundersame Weise zum Guten, Michael Kohlmann hat das selbst jüngst erlebt. Weil die drei besten deutschen Profis (die Zverev-Brüder Alexander und Mischa sowie Philipp Kohlschreiber) nicht für das Davis-Cup-Relegationsmatch in Portugal bereitstanden, gab es vorab einige Aufregung, die Zukunft des Teamchefs stand auch auf der Kippe. Dann verhinderte die B-Auswahl den Abstieg, Kohlmanns Vertrag wurde vom Deutschen Tennis-Bund (DTB) verlängert, und es war sogar gut, dass der 43-Jährige in Lissabon auf manche Spieler verzichtet hatte.

"Im Nachhinein muss man froh sein, dass ich nicht Peter nominiert habe", sagt Kohlmann, halb ernst gemeint, "sonst hätte er nicht die Qualifikation in Metz spielen können." Peter Gojowczyk war ja auch einer seiner Nachrück-Kandidaten gewesen. Der Dachauer trat stattdessen zum Turnier in Frankreich an, acht Partien später stemmte er bewegt eine Trophäe in die Höhe: Gojowczyk gewann im Alter von 28 Jahren seinen ersten ATP-Titel, 7:5, 6:2 gegen den Franzosen Benoît Paire im Finale. "Für Peter freut mich das sehr", sagt Kohlmann und sagt dann einen allgemeinen Satz, den man beim DTB lange nicht mehr gehört hat: "In der Breite waren wir seit vielen Jahren nicht mehr so gut aufgestellt."

Tennis: Erst fokussiert, dann gerührt: Peter Gojowczyk gewinnt im Alter von 28 Jahren in Metz sein erstes Turnier auf der ATP-Tour.

Erst fokussiert, dann gerührt: Peter Gojowczyk gewinnt im Alter von 28 Jahren in Metz sein erstes Turnier auf der ATP-Tour.

(Foto: Jean-Christophe Verhaegen/AFP)

Faktisch lässt sich diese Schilderung tatsächlich hart belegen, sieben deutsche Männer stehen neuerdings in den Top 70, in den Top 200 sind es 13 DTB-Vertreter. Einige sind mit einem career high gelistet, standen noch nie höher in der Weltrangliste. Alexander Zverev ist Vierter, Gojowczyk kletterte auf 66; 79. war seine beste Platzierung bislang, ehe ihn Nervenverletzungen am linken und dann am rechten Fuß zurückwarfen. Andere wiederum pirschen sich mit einer Form an, die vermuten lässt, dass noch mehr möglich ist. Cedrik-Marcel Stebe, beim Davis Cup in Portugal erfolgreicher Protagonist, überzeugte schon wieder; in Sibiu, Rumänien, gewann er ein Challenger-Turnier und ist nun 79. der Welt. Matthias Bachinger aus München, wie Stebe und Gojowczyk auch lange verletzt, triumphierte beim Pendant-Event in Gwangju, Südkorea. "Wir haben eine richtig gute Phase", sagt Kohlmann, beim DTB als verantwortlicher B-Kadertrainer nah dran an den Akteuren der zweiten Reihe. Für einen Zufall hält er das nicht. Zum einen sind derzeit fast alle beschwerdefrei. Zum anderen sind die Ergebnisse Ausdruck eines internen Konkurrenzkampfes, der mit relativ neuen Strukturen im Leistungsbereich zusammenhängt.

Die Spieler profitieren von zentraler Förderung - Vorbild sind die Franzosen

Spieler wie Stebe, Bachinger, Maximilian Marterer (gewann letzte Woche ein Challenger) oder Yannick Hanfmann treffen sich oft im Leistungszentrum in Oberhaching, Tennis-Base genannt; während die Frauen in Stuttgart ihren nationalen Stützpunkt haben, absolvieren die Männer in Bayern ihre Vor- und Nacharbeit. "Wenn der Bachi im Training Yannick besiegt und dann sieht, wie der erfolgreich spielt wie in München, denkt er sich: Da muss ich mithalten können", schildert Kohlmann. "Die Jungs ziehen sich gemeinsam hoch." Die zentralistisch angeordnete Förderung, wie sie etwa in Frankreich so viele Spitzenspieler in der Breite erzeugt hat, zeigt somit auch hier erste erfreuliche Ausschläge. Das gestiegene Selbstbewusstsein ist jedenfalls bei Kohlmann zu spüren, der die vielen positiven Ranglistenplätze so deutet: "Das sind Zahlen, die auch zeigen: Wir müssen uns hinter den großen Nationen nicht verstecken und können mithalten." Sogar Oldie Florian Mayer, 33, hat in diesem Sog Rückzugspläne verschoben, in Hamburg stand er im Juli im Endspiel. Und Jan-Lennard Struff aus Warstein, der den Davis-Cup-Klassenerhalt mit seinem Einzelsieg am letzten Spieltag perfekt gemacht hatte, zog danach in St. Petersburg ins Halbfinale ein. Was Kohlmann als Indiz auch wertet, "dass man auch nach einer Davis-Cup-Woche gutes Tennis spielen kann". Wenn man es so auslegen will, ist das eine hauchzarte Spitze gegen jene nicht angetretenen Akteure, die über zu viel Belastung in diesem Zusammenhang geklagt hatten.

Dass Gojowczyk seit diesem Jahr sich aus den Verbandsstrukturen gelöst und ein eigenes Mini-Team aufgestellt hat, ist nicht als Widerspruch zur allgemein sichtbaren Aufbruchsstimmung zu werten. Denn das Erstaunliche an der Konstellation ist, dass diese Trennung, wie alle Beteiligten versichern, ohne jeden Beigeschmack vonstatten ging. Auch Lars Uebel, an der Tennis-Base verantwortlich für die Profis und viele Jahre Coach von Gojowczyk, versicherte kürzlich: "Gojo ist ein guter Junge." Nur wollte Gojowczyk, ein begeisterter Hobby-Koch, mehr Freiheiten. Der Deggendorfer Alexander Satschko reist nun immer wieder mal als Trainer mit, auch auf einen eigenen Physio legt Gojowczyk Wert. Er hat inzwischen verstanden, wie sehr sein Körper sein Kapital ist und man auf diesen aufpassen muss. Ein Gedanke, den Uebel auch oft gepredigt hat, als Gojowczyk noch an der Base angedockt war. In München trainiert er nun auf der Sport-Scheck-Anlage in Oberföhring.

Kerber scheitert

Angelique Kerber (Kiel) und Andrea Petkovic (Darmstadt) sind beim WTA-Turnier in Wuhan/China in Runde eins gescheitert. Die zweimalige Grand-Slam-Siegerin Kerber verlor gegen die Französin Caroline Garcia mit 6:3, 3:6, 1:6. Petkovic unterlag als Qualifikantin Lauren Davis (USA) 3:6, 2:6. Kerber, 29, die zuvor in Tokio ins Halbfinale vorgedrungen und in der Weltrangliste am Montag von Position 14 auf 12 vorgerückt war, lieferte im Entscheidungssatz eine schwache Vorstellung ab. Nach 1:45 Stunden verwandelte Garcia (20. der Weltrangliste) den zweiten Matchball. Für Petkovic war es im 20. Saisonturnier bereits das elfte Erstrunden-Aus. SID

Für die neue Harmonie spricht, dass Kohlmann sich mit dem 2017 im Davis Cup nicht berücksichtigten Dustin Brown austauschen will. Und Gojowczyk, der andere Solist, ist für den Teamchef "ohnehin auf dem Radar". 2018 könnte für das deutsche Männertennis ein spannendes Jahr werden. Begleitet wird dieser Prozess ja zudem vom neuen Head of Men's Tennis, Boris Becker.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: