Außenansicht:Einfach weniger Auto fahren

Außenansicht

Thomas Jocher, 64, ist Architekt und Direktor des Instituts Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart.

(Foto: oh)

Eine ökologische Wende ist möglich, aber sie erfordert unbequeme Entscheidungen in der Politik.

Von Thomas Jocher

Eine ökologische Wende in Deutschland wird erwartet. Zumindest werden die Grünen das Thema in Koalitionsverhandlungen einbringen, wenn diese denn zustande kommen. Aber wie könnte so eine Wende aussehen? Sie müsste bei der Stadtplanung anfangen und mit der Mobilität enden. Beides hängt eng zusammen. Dies hat bereits die noch amtierende Bundesregierung erkannt, als sie zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode dafür ein Ministerium schneiderte: das Bundesministerium für Bau und Umwelt. Aber die Regierung hatte nicht den Mut, danach auch Weichen zu stellen.

Der erste Teil der Wende betrifft die Städte. In der Stadtplanung wäre, um preisgünstigen Wohnraum möglich zu machen, endlich die Bodenpolitik zu ändern. Seit mehr als 50 Jahren weigern sich alle Parteien, dieses Thema anzufassen. Der wahre Kostentreiber für Wohnraum sind nicht die viel gescholtenen hohen Baustandards in Deutschland, es ist der Preis für Grund und Boden. Der größte Teil der Baukosten wird in den besonders teuren Städten durch extrem hohe Grundstückspreise verursacht. Dagegen steigen die Kosten für das Gebäude selbst nur im ähnlichen Tempo wie die allgemeinen Verbraucherpreise - derzeit also langsamer als die Löhne.

Anders der Bodenpreis. In Städten wie München überschreitet der Anteil der Grundstückskosten inzwischen die Gebäudekosten deutlich. Hier zeigt sich ein typisches Marktverhalten: Verknappung führt immer zu Verteuerung. Das wird sich nicht ändern, da die Erde nicht größer wird. Aber statt Instrumente einzusetzen, die diesem unheilvollen Mechanismus entgegenwirken, wird ein Nebenkriegsschauplatz um Baustandards eröffnet. Um den Anstieg der Bodenpreise wirkungsvoll einzudämmen, wäre eine vorausschauende städtische Bodenvorratspolitik nötig. Nur sehr wenige Städte in Deutschland praktizieren sie. Ein Beispiel ist Ulm. Die Stadt betreibt diese Vorratspolitik seit über einem Jahrhundert und steuert damit die Bebauung oder Freihaltung ihrer Bodenflächen selbst. Außerdem kann sie den Wertzuwachs, der immer durch das städtische Planungsrecht entsteht, selbst verwerten. Dies kommt allen zugute. Eine andere Möglichkeit wäre es, städtische Grundstücke nicht an den Meistbietenden zu verkaufen, sondern im Erbbaurecht zu vergeben. Zürich und Amsterdam sind hier seit Jahrzehnten Vorbilder.

Zürich hat auch die 2000-Watt-Gesellschaft ausgerufen. Damit sind wir beim Thema der Elektromobilität. Die Vorstellung ist: Um ökologisch zu leben und trotzdem unsere Lebensgewohnheiten zu behalten, tauschen wir ganz einfach den Motor unserer Autos aus. Ganz so einfach ist das Problem allerdings nicht zu lösen. Immerhin bezeichnet man Elektroautos heute nicht mehr irreführend als "emissionsfrei", sondern nur noch als "lokal emissionsfrei". Zu Recht, denn weltweit werden nur drei Prozent des Stroms regenerativ erzeugt. In Deutschland sind es immerhin schon 30 Prozent.

Eine weitere Zunahme ist zwar wünschenswert, wäre aber sehr teuer und selbst in ökologisch orientierten Kreisen umstritten. Es würde neue Strommasten, Windräder oder Solaranlagen bedeuten. Sollten wirklich alle Autos mit regenerativem Strom betrieben werden, müssten mindestens 40 000 neue Windräder in Deutschland gebaut werden. Oder mehr als die doppelte Fläche des Bodensees mit neuen Solarflächen bedeckt werden. Obwohl der sonnige Süden Deutschlands hier begünstigt ist, sind Solarflächen nicht ideal, da in den Ladezeiten der Stromer keine Sonne scheint. Es wären hierfür also sehr große Energiespeicher erforderlich.

Beim Elektroauto laufen wir in die gleiche Schummelfalle wie bei den Abgaswerten

Befürworter der Elektrofahrzeuge hoffen auf Fortschritte hinsichtlich Kapazität und Kosten der Batterie. Beides sind nur Hoffnungen, die keine wissenschaftliche Absicherung haben. Die Reichweite der schweren Elektroautos ist zudem noch weitaus geringer als in den Prüfzyklen angegeben. Wir laufen hier wieder in die gleiche Schummelfalle, die wir bereits von den Verbrauchs- und Schadstoffangaben her kennen. Alle genannten Verbrauchswerte der Elektrofahrzeuge sind unter Idealbedingungen zustande gekommen. Ohne Licht, ohne Heizung und ohne Klimaanlage. Das ist nicht weiter verwunderlich, da der Verbrauch bei Elektroautos anscheinend nicht wichtig ist. Denn Strom ist gegenüber Benzin vergleichsweise billig. In Deutschland ist Strom so billig, dass sich ein Autobauer erlauben kann, ihn sogar kostenlos anzubieten. Mehrverbrauch an Strom aber führt zur Verknappung. Und Verknappung führt zur Verteuerung. Strom für Elektrofahrzeuge tritt in Konkurrenz zum bisher billigen Haushaltsstrom. Die Steuereinnahmen werden sinken, wenn das hoch besteuerte Benzin durch gering besteuerten Strom ersetzt wird. Dies ist nicht konfliktfrei. Lieber volle Teller als volle Tanks hieß es einmal. Künftig könnte es heißen: Lieber helle Wohnungen statt volle Tanks und leere Geldbeutel.

Ehe wir uns weiter einer technisch hoch spannenden Wende im Energiesektor zuwenden, müssen die Systemgrenzen erweitert werden. Zumindest sollte Herstellung, Transport und Verteilung der erforderlichen Energieträger deutlicher angesprochen werden. Alle Energieträger bergen hohe Risiken in sich. Sowohl die fossilen Brennstoffe durch immense Schäden, die beim Transport durch die riesigen Öltanker entstehen können, als auch beim Strom, bei dem die immensen Probleme bei der Herstellung und Entsorgung der Batterien noch nicht gelöst sind. Das Argument der geringen Reichweite erscheint mir, obwohl es oft als Hauptgegenargument gegen die Elektrifizierung ins Feld geführt wird, letztlich unbegründet. Es verweist aber mit großer Deutlichkeit auf die Notwendigkeit, ganz einfach weniger Auto zu fahren. Zurzeit werden auf Deutschlands Straßen jährlich unglaubliche 600 Milliarden Kilometer zurückzugelegt. Es ist nicht einzusehen und künftig auch nicht mehr möglich, dieses Mobilitätsverhalten mit den gewohnten Steigerungsraten noch weiter in die Zukunft zu verlängern. Hier treffen sich wieder Mobilität und Siedlungsentwicklung. Seit Jahrzehnten korreliert beispielsweise die Zunahme von Wohnfläche mit der Zunahme der Fahrleistungen.

Wir müssen begreifen, dass wir hier an eine Grenze gestoßen sind und eingreifen müssen. Zuerst bei uns selbst und zweitens in der politischen Verantwortung. Das ist schmerzhaft und unangenehm. Aber als wir vor 50 Jahren durchschnittlich nur die Hälfte der Wohnfläche zur Verfügung hatten und mit einem VW Käfer einmal im Jahr mühsam über den Brenner nach Italien gefahren sind, hatten wir doch auch Spaß.

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