Deutsche Bahn:Warum die Bahn im Sturm sprachlos blieb

Nach Sturmtief Xavier

Tausende Fahrgäste wussten zuletzt nicht, ob es für sie weitergeht, obwohl die Entscheidung in irgendeiner der vielen Konzerntöchter längst gefallen ist.

(Foto: dpa)

Orkan "Xavier" hat schonungslos den neuralgischen Punkt der Bahn offenbart: die katastrophale Kommunikation mit den Kunden.

Kommentar von Markus Balser

Das große Warten nach dem Sturmtief Xavier in Norddeutschland hatte viele Gesichter: Müde Passagiere, die aus Hotelzügen ausstiegen. Menschenmassen, die sich auf Bahnsteigen zu den noch fahrenden Züge drängelten, verzweifelte Mienen vor Abfahrts-Bildschirmen oder über Smartphones. Lange Schlangen Reisender, die ihr Ziel nach Fahrplan wahrscheinlich schneller erreicht hätten als jetzt den nächsten Bahnschalter. Und mittendrin: Bahn-Mitarbeiter, die nicht gerade den Eindruck machten, als könnten sie das Chaos im eigenen Unternehmen wirklich noch überschauen, geschweige denn ordnen. Wie es weitergeht? Helfende Informationen: Fehlanzeige.

Nur wenige Stunden war Xavier am Donnerstag über Norddeutschland gefegt. Sein Auftritt war kurz aber folgenschwer: Bäume oder Äste landeten auf den Gleisen, Oberleitungsmasten wurden aus den Fundamenten gerissen. Auf rund 1000 Kilometern Bahnstrecken ging zum Start ins Wochenende nichts mehr. Dutzende Züge wurden aus dem Verkehr gezogen. Zehntausende Passagiere strandeten an Deutschlands Bahnhöfen. Dass der schwerste Orkan seit Jahren mit Böen von mehr als 120 Kilometern pro Stunde übers Binnenland fegte und so viele Trassen unpassierbar machte, ist der Bahn nicht anzulasten. Auch nicht, dass sie den Betrieb in vielen Regionen vorsichtshalber einstellte - die Gefahr für Fahrgäste wäre schlicht zu groß gewesen.

Das Personal an den Bahnhöfen weiß oft nicht, was Leitstellen irgendwo im Land entscheiden

Bahnmitarbeiter vor Ort reagierten vielerorts besonnen. Fahrgäste lobten unbürokratische Hilfe, einige kamen mit von der Bahn bezahlten Taxis doch noch ans Ziel. 20 Hotelzüge ermöglichten an den großen Bahnhöfen vielen zumindest ein Dach über dem Kopf. Und einige Bautrupps wurden noch während des Unwetters losgeschickt, um die schlimmsten Folgen des Orkans zu beseitigen.

Doch Xavier offenbarte in den vergangenen Tagen auch schonungslos den neuralgischen Punkt des Staatskonzerns: Die mangelhafte Kommunikation mit dem Kunden. Schon im Alltag zählt die zu den größten Schwächen der Bahn. Im Krisenfall aber wird sie offenkundig zum ernsten Problem. Dass Tausende Fahrgäste nicht wissen, ob es für sie überhaupt weitergeht, obwohl die Entscheidung in irgendeiner der vielen Konzerntöchter längst gefallen ist. Dass Server angesichts des Ansturms von Anfragen ausfallen und Bahn-Mitarbeiter auch nicht mehr wissen als eine App, die zwar Verspätungen dokumentiert aber keine Alternativen anzeigt. All das ist nicht nur Wetterkapriolen geschuldet, sondern ein Versagen mit System.

Wenn in den nächsten Tagen die Trassen wieder freigeräumt sind, dürfte deshalb an ganz anderer Stelle das Aufräumen losgehen: In der gläsernen Konzernzentrale in Berlin. Das Unternehmen muss sich fragen lassen, warum die Informationstechnik bei der Bahn noch immer hinterherhinkt. Warum das Netz Züge anzeigt, die längst gestrichen wurden. Und warum Züge wieder fahren, die Passagiere aber nichts davon erfahren.

Die Digitalisierung zählt seit Jahren eigentlich zu den wichtigsten Themen im Konzern. Automatisierte Angebote werden die Mobilität verändern, neue Anbieter auf den Markt kommen und auch der Bahn Konkurrenz machen. Man redet viel über diese großen Schritte bei der Bahn. Die Realität aber ist noch immer die der kleinen Schritte. Seit Monaten etwa bejubelt die Bahn ein endlich funktionierendes Internet an Bord ihrer Fernzüge. Und just als der Sturm am Donnerstag über Berlin fegte und Zehntrausende strandeten, stellte der Konzern auf seinem Innovationstag neue Informationskonzepte vor. Prototypen sollen das Reisen per App mit aktuelleren Informationen aus dem großen Datenschatz der Bahn erleichtern. Start? Frühestens in zwei Jahren.

Die Technik des Konzerns ist noch lange nicht da, wo sie sein sollte. Störungsanfällig ist aber nicht nur das Netz des Konzerns. Störungsanfällig ist auch die Kommunikation innerhalb des Unternehmens. Seit der Bahnreform vor mehr als zwanzig Jahren sind eigenständige Gesellschaften für das Netz (DB Netz), ICE-Verbindungen (DB Fernverkehr) und den Nahverkehr (DB Regio) sowie Bahnhöfe (Station & Service) entstanden. Damit haben sich zeitraubende Abstimmungsprozesse entwickelt zwischen den Einheiten, denen für das Netz und denen, die den Zugverkehr betreiben. Das Personal an den Bahnhöfen weiß oft nicht, was Leitstellen irgendwo im Land entscheiden.

Die Bahn müsste eigentlich schleunigst umsteuern. Doch seit Monaten bleibt ein wichtiger Posten unbesetzt - die Politik kann sich nicht auf die Personalie einigen: Der Vorstand für Digitales.

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