BKA-Ermittlung:Es war richtig, mit Fotos nach dem missbrauchten Kind zu fahnden

Illustration zur Frage nach Persönlichkeitsrecht

Ermittler fahnden mit dem Foto eines kleinen Mädchens nach einem Sexualstraftäter. Geht die Sicherheit des Kindes vor seinem Persönlichkeitsrecht?

(Foto: Stefan Dimitrov)

Die Polizei hat die Persönlichkeitsrechte des Mädchens verletzt - und damit einen Blitzerfolg erzielt. Nur so konnte der Täter gefasst und das Kind in Sicherheit gebracht werden.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

Es ist ein außergewöhnlicher Schritt, ein schockierendes Foto: Ein Mädchen blickt erwartungsvoll in die Kamera, Ponyfransen umrahmen das Gesicht, es trägt einen Ringelpulli aus Frottee - so wie Tausende andere Jungen und Mädchen in diesem Alter auch. Das Foto ist so alltäglich und gewöhnlich, dass unwillkürlich ein Film abläuft: Was mag das vielleicht vier Jahre alte Kind als Nächstes tun? Geht es spielen, gibt es eine Vorlesegeschichte?

Falsch. Dem Mädchen wird gleich schwere sexuelle Gewalt angetan. Die Polizei ist mit seinem Gesicht an die Öffentlichkeit gegangen und hat einen Blitzerfolg erzielt. Der mutmaßliche Täter ist gefasst, das Kind in sicherer Obhut. Für diesen Erfolg haben die Ermittler viel verletzt: die Persönlichkeitsrechte des Opfers, die Gefühle des Betrachters. Trotzdem war diese Fahndung richtig. Die Wege der Täter auf den Plattformen des Darknets werden immer abgründiger. Deshalb sollten die Fahnder auch außergewöhnliche Methoden wählen dürfen.

Nur wenige Stunden war das Gesicht des Kindes offen zu sehen. Das Bild zeigte nicht den Missbrauch selber, sondern eine Situation wohl unmittelbar davor. Das Bundeskriminalamt und die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität hatten Facebook, Twitter und andere Informationsseiten damit bestückt. Es gingen überdurchschnittlich viele Hinweise ein, das ungewöhnliche Vorgehen bewirkte eine hohe Aufmerksamkeit.

Schutz der Privatsphäre

Schon wenig später bat das Social-Media-Team des BKA, die Fotos, die während der Fahndung online geteilt worden waren, zu löschen - aus Gründen des Opferschutzes. Warum das so heikel ist und warum es eines richterlichen Beschlusses bedarf, Bilder von Opfern zu zeigen, zeigt ein Blick in das Grundgesetz - in Artikel 1, der die Menschenwürde schützt, und in Artikel 2, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die private Lebenssphäre, es gewährt jedem Einzelnen, sich individuell abzuschirmen. Es gibt jedem das Recht, die Darstellung der eigenen Person anderen gegenüber selbst zu bestimmen. Es ist damit das Recht am eigenen Bild gemeint. Staatsanwälte, Richter und Ermittler bewegen sich hier immer in einem Spannungsfeld. Sie dürfen nicht hudeln beim Abwägen, auch wenn dadurch oft wertvolle Zeit vergeht. Beim Verdacht auf einen sexuellen Missbrauch müssen sie von Fall zu Fall entscheiden, ob die Gefahr für das Wohl des Kindes schwerer wiegt als der Persönlichkeitsschutz. Bevor eine öffentliche Fahndung beginnt, müssen alle anderen Ermittlungsschritte ausgeschöpft sein.

Im Fall des Mädchens war das so. Der mutmaßliche Täter ging extrem vorsichtig vor. Jene verräterischen Spuren, an denen sich die Fahnder bei der Auswertung von kinderpornografischem Material sonst orientieren, fehlten. Manchmal spiegeln sich ja Gesichter vom Täter in Fensterscheiben, mal sind im Hintergrund Plakate zu sehen, die Aufschluss auf den Ort des Verbrechens geben. Erst im Juli war ein weltweites Netzwerk namens "Elysium" enttarnt worden, in dem sage und schreibe 87 000 Menschen ungehindert Missbrauchvideos über einen längeren Zeitraum austauschen konnten.

Die Aufklärungsquote bei Schulfahndungen ist hoch

Die hochprofessionellen Täter geben sich im Darknet längst Tipps, wie sie unerkannt bleiben; sie lassen Kinder Masken tragen, sind mit technischen Auslesetricks der Ermittler vertraut. Die Fahnder halten da zu Recht mit neuen Methoden dagegen - so wie es das Bundeskriminalamt jetzt getan hat.

Ein ebenso korrektes wie außergewöhnliches Vorgehen ist die sogenannte Schulfahndung. Hier zeigen Polizisten Lehrern Fotos von Missbrauchsopfern, viele erkennen ihre Schüler darauf. Die Aufklärungsquote ist hoch. Es bekommt jedoch nur ein kleiner Kreis in vertraulichem Rahmen die Fotos zu sehen. An die Öffentlichkeit zu gehen, ist noch einmal eine andere Dimension. Allerdings, und auch dies spricht für die öffentliche Fahndung, wird das Kind im Ringelpulli nicht dauerhaft stigmatisiert sein. Es wird sich äußerlich verändern im Laufe der Jahre und bald nicht mehr erkannt werden.

Rund 12 000 Straf- und Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verzeichnet die Kriminalstatistik. Die Forschung geht davon aus, dass in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder von sexueller Gewalt betroffen sind. Das Dunkelfeld war schon immer riesig - in diesen Zeiten kommen nun noch die Datenmengen im Darknet dazu.

Diese kann man auch nutzen, um das Leid der missbrauchten Kinder zu beenden. Es ist weniger schlimm, wenn das Porträt eines Kindes noch einige Zeit im Internet kursiert, als dass es nicht gefunden und weiter missbraucht wird.

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