Geschichte:Vorteile einer Völkerwanderung

Eine Ausstellung im italienischen Pavia widmet sich den Langobarden.

Von Thomas Steinfeld

Ausstellungen gibt es, die sind zunächst einmal eine Schau seltener und bedeutsamer Dinge. Zugleich aber scheinen sie einer höheren, wenn auch diffusen Agenda zu folgen. In Pavia, der gut dreißig Kilometer südlich von Mailand gelegenen Universitätsstadt, kann gegenwärtig eine Ausstellung von dieser Art besichtigt werden. Sie ist den Langobarden gewidmet, einem Volksstamm, der zu Beginn unserer Zeitrechnung an der unteren Elbe wohnte, dort, wo heute Mecklenburg und Niedersachsen liegen. Dann verschwanden die "Langbärte", ihre Frauen und Kinder aus der Geschichte, um während dieser Zeit (aber so genau weiß man das nicht) langsam und in einem großen östlichen Bogen nach Süden zu ziehen. Im späten sechsten Jahrhundert jedenfalls eroberten sie große Teile Italiens und ließen sich vor allem in der Po-Ebene nieder. Pavia wurde zu ihrer Hauptstadt, zugleich behaupteten sie sich in Umbrien (Spoleto) und in Kampanien (Benevento, Salerno).

Nach heutigen Kategorien betrachtet (so viel zur höheren Agenda), stellen die Langobarden einen eher glücklichen Fall von Integration dar - und zwar von durchaus unerwünschten Einwanderern. Zu Beginn ihrer italienischen Eroberungen von den auf der Halbinsel lebenden Menschen offenbar als schlimme Barbaren angesehen, assimilierten sich die Langobarden mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Sie wurden Christen - oder waren es schon geworden, bevor sie in Italien einfielen. Fasziniert von Rom und vom römischen Reich, übernahmen sie die lateinische Sprache und sogar das antike Schulwesen. Sie entwickelten einen eigenen, aber auf der römischen Architektur gründenden Baustil. Je länger die Langobarden in Italien blieben, desto diskreter scheinen sie jedoch geworden zu sein, im Zuge einer Entwicklung, die durch die Eroberung ihres Reichs durch Karl den Großen im Jahr 774 beschleunigt wurde: Gegen Ende des ersten Jahrtausends waren die Langobarden in den italienischen Völkerschaften aufgegangen - auch wenn die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (sowie dann wieder Napoleon) die Eiserne Krone der Langobarden trugen, zum Zeichen ihrer Würde als Könige von Italien.

In den ehemaligen Pferdeställen des Castello Visconteo, einer gewaltigen Anlage aus dem 14. Jahrhundert, ist nun in acht thematisch geordneten Sälen zu sehen, wie die Langobarden nach Italien kamen, was sie dort trieben und was sie hinterließen. Die meisten Exponate sind Grabfunde, nicht zuletzt der kriegerischen Art: lange Messer und zweischneidige Schwerter, runde Schilde, das Skelett eines Pferdes, das für seinen Reiter geopfert wurde, Münzen und Kronen. Aus all diesen Dingen kann nicht nur die soziale und militärische Organisation der Langobarden abgeleitet werden, die sich auf einen König, auf eine Gruppe von Herzögen sowie auf eine Schicht von freien Kriegern konzentrierte. Auffällig ist schon früh die Präsenz des Heiligen Michael und des Heiligen Georg auf den Waffen - und auch beim Schmuck und bei den Hausgeräten scheint es so gewesen zu sein, dass die einfachen germanischen Formen, die Flechten etwa, sich bald mit dem spätantiken Kunsthandwerk mischten. Und Kirchen und Klöster bauten die Langobarden, in denen sie nicht zuletzt die Erinnerung an sich selber festhielten, auch in Gestalt von Bibliotheken - in einer Zeit, in der man von Papyrus zu Papier überging. Die Barbaren, falls sie überhaupt welche waren, müssen sich schnell für die kulturellen Errungenschaften der ihnen Unterlegenen begeistert haben. Schon bald gingen die Langobarden mit bürokratischer und intellektueller Präzision zu Werke, erkennbar zum Beispiel am Codex des König Rothari, der im Jahr 643 eine in 388 Kapitel gegliederte Gesetzessammlung niederschreiben ließ, auf dass jede Tat die ihre angemessene Behandlung finde.

"So unermesslich ungleich zeigt sich uns das nämliche Volk", heißt es bei Schiller

"Ein Volk, das den Lauf der Geschichte änderte", lautet der Untertitel der Ausstellung. Man kann sich zwar kein Volk vorstellen, das dergleichen nicht getan hätte. Gemeint ist aber etwas anderes: Da ist auf der einen Seite die Gegenwart eines fremden Volkes in Verhältnissen, die man für die eigenen hält, und da ist auf der anderen Seite eine deutliche Veränderung der gesellschaftlichen Struktur, die, in den Kategorien der heutigen Geschichtsschreibung betrachtet, aus der späten Antike das frühe Mittelalter werden lässt. Mit der Ankunft der Langobarden endete definitiv, was man, ebenfalls aus moderner Perspektive, für die antike politische Einheit Italiens halten könnte. Es dauerte 1300 Jahre, bis sie wiederhergestellt wurde.

Vor diesem Hintergrund erscheint es als prägnanter Zufall, dass am 22. Oktober über die Einheit Italiens abgestimmt werden wird, in politisch nicht bindenden Referenden, die im Veneto und in der Lombardei (der Name"Lombardei" leitet sich von "Langobarden" ab) abgehalten werden. Denn war Pavia, an der Straße zwischen Mailand und Genua gelegen, dort, wo der Ticino in den Po fließt, nicht die Hauptstadt des Langobardenreiches?

Wer wollte, könnte nun einen Satz Friedrich Schillers in der Ausstellung bestätigt sehen: "So unermesslich ungleich zeigt sich uns das nämliche Volk auf dem nämlichen Landstriche, wenn wir es in verschiedenen Zeiträumen anschauen", heißt es in dessen Ausführungen zur "Universalgeschichte" aus dem Jahr 1789. Oder anders gesagt: Auch das Abendland hat schon einige Untergänge überstanden.

Longobardi. Un popolo che cambia la storia. Castello Visconteo, Pavia. Bis 3. Dezember. Der nur auf Italienisch erhältliche Katalog ist im Verlag Skira erschienen und kostet 39 Euro.

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