Extremismus:Aussteigerprogramme für Extremisten: Hauptsache, sie legen keine Bombe

Sch¸lerprojekt gegen Salafismus

Im Rollenspiel erkunden Schüler im kritischen Diskurs die Anwerbeversuche von Salafisten im Alltag. (Archivbild)

(Foto: dpa)
  • Aussteigerprogramme für Islamisten vermehren sich derzeit rasant.
  • Wie bereits in Frankreich gibt es jetzt auch in Deutschland Zweifel an deren Qualität.
  • Das betrifft sowohl private Programme als auch die der deutschen Behörden.

Von Ronen Steinke, Berlin

Deutschland zählt etwa 700 islamistische "Gefährder", Frankreich mehr als zwanzig Mal so viele. Die Dringlichkeit ist entsprechend hoch, wenn im Nachbarland überlegt wird, wie man junge Leute aus der Szene herausholt.

Die Pariser Regierung stellt gerade ihre gesamte Anti-Terror-Politik auf den Prüfstand, und sie stockt die Mittel nicht auf, sondern streicht Präventionsprogramme radikal zusammen: Die Macron-Leute vermuten, diese brächten schon seit Jahren nichts. Seriöse Erfolgskontrollen habe es nie gegeben. Stattdessen Wildwuchs, auch manche Scharlatane. In Frankreich, so nehmen es deutsche Sicherheitsleute in diesen Monaten mit Erstaunen wahr, sagt man das neuerdings offen. Und in Deutschland?

Von Wildwuchs ist auch hier die Rede, wenn man mit Beamten spricht. Eine in diesem Jahr veröffentlichte Erhebung des Bundeskriminalamts beschreibt eine sprunghafte Vermehrung von Extremismus-Beratungsstellen. "Die Landschaft ist kaum mehr zu überschauen", sagt der Islamwissenschaftler Mitra Moussa Nabo, der für das Bundesinnenministerium forscht.

Die Wirksamkeit ist oft unklar. "Dort, wo evaluiert wird, wird das Ergebnis nicht öffentlich gemacht", sagt die Ethnologin Susanne Schröter, die im Auftrag der hessischen Landesregierung Programme gegen Islamismus begutachtet. "Man fürchtet, sich die Blöße zu geben."

In Ludwigshafen gab die Polizei kürzlich einen Zwölfjährigen in die Obhut einer Beratungsstelle gegen Radikalisierung, er hatte im vergangenen Jahr versucht, mit einem Sprengsatz Besucher eines Weihnachtsmarkts zu töten. Dem Jungen wurde ein Sozialarbeiter zur Seite gestellt, seinerseits ein Konvertit zum Islam. So ist es oft. Was die Polizei nicht wusste: Der Mann stand selbst im Visier des Verfassungsschutzes von Baden-Württemberg, er galt dort als aktiver Salafist. Die Beratungsstelle hatte das gewusst, es der Polizei aber verschwiegen.

Beim Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes meldete sich keiner

Das ist ein verbreitetes Problem: Seitdem die Sicherheitsbehörden mit ihren Versuchen gescheitert sind, eigene Aussteigerprogramme für Islamisten auf den Weg zu bringen, müssen sie vor allem freien Mitarbeitern und privaten Vereinen vertrauen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz musste 2015 sein Aussteigerprogramm für Islamisten, "Hatif", nach vierjährigem Betrieb einstellen. Dort hatte sich kaum jemand gemeldet, das Telefon soll wochenlang stillgestanden haben. Zu wenig Vertrauen hätten Betroffene in den Geheimdienst, räumte Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen ein.

In Frankreich hat man dieselbe Erfahrung gemacht: Das dortige Pilotprojekt eines "Rehabilitationszentrums", einer Art Bootcamp mit religiöser Umerziehung, gilt inzwischen als eine der schlechtesten von vielen schlechten Ideen. Nicht nur, weil die Inhaftierten morgens die Flagge grüßen mussten. Es unterrichteten dort "moderate" Imame, die direkt von den Sicherheitsbehörden bestellt und bezahlt wurden - und deshalb als deren Lakaien dastanden.

Die privaten "Deradikalisierer" berichten nur eingeschränkt an den Staat

Deutsche Behörden haben einiges getan, um Sozialarbeitern, die mit islamistischen Jugendlichen reden sollen, mehr Unabhängigkeit vom Staat zu verschaffen. Vor allem das Innen- und das Familienministerium, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und die Bundeszentrale für politische Bildung haben Förderprogramme aufgelegt, über die sie Geld verteilen. Selbst die zivile "Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus", die als Interessenvertreter von Initiativen gegenüber dem Staat auftreten soll, wird kurioserweise vom Familienministerium mitfinanziert.

Gleichzeitig berichten viele der neuen, privaten "Deradikalisierer" nur noch eingeschränkt an den Staat. Immerhin: Wenn die Flüchtlings-Bundesbehörde eingebunden ist, das Bamf, können Informationen von dort an Sicherheitsbehörden weiterfließen. Das Bamf tauscht sich im Berliner Terrorabwehrzentrum mit Polizei und Geheimdiensten aus.

Projekte werden umetikettiert, um Fördermittel abzugreifen

In der Gegend von Koblenz hat sich kürzlich das Rote Kreuz um Geld beworben, um ein Projekt gegen Radikalisierung aufzubauen. Die staatlichen Prüfer stutzten: Das Büro gab es schon. Die Mitarbeiter auch. Es war bisher ein Projekt zur Flüchtlingsberatung.

Dafür laufen die Fördermittel jetzt vielerorts aus. Gleichzeitig gibt es für Projekte gegen Radikalisierung prall gefüllte Fördertöpfe, 100 Millionen Euro will der Bund vom 1. Januar an jedes Jahr bereitstellen. "Das Geld sprudelt", sagt ein Staatsschützer.

Also wechselte das Rot-Kreuz-Projekt schlicht sein Türschild aus. "Niemand definiert, welche Qualifikation ein Deradikalisierer haben muss", sagt der Staatsschützer. Die Rot-Kreuz-Flüchtlingsberater machen nun fast dasselbe wie vorher, nur unter neuem Namen. Ihr Argument: Sind nicht die sozialen Probleme von Flüchtlingen ohnehin der Grund, dass manche sich radikalisieren?

Einen ähnlichen Fall gibt es in Wiesbaden. Der dortige Verein Spiegelbild sah seine Arbeit lange darin, Lehrer für ihre rassistischen Vorurteile zu sensibilisieren. Auch dieses Projekt ist kurzerhand zur Islamismus-Prävention umetikettiert worden. Die Arbeitsthese lautet nun, Lehrer trieben durch ihren Rassismus muslimische Schüler in die extremistische Ecke.

Und in Berlin, wo die Aussteiger-Beratungsstelle Hayat von Claudia Dantschke eigentlich einen sehr guten Ruf genießt, müssen sich die Mitarbeiter für ihre Zusammenarbeit mit einem sendungsbewussten Salafisten rechtfertigen. Hayat hat mit dem als Abu Adam bekannten Prediger gearbeitet, der erst in München, dann in Leipzig Verfassungsschützer alarmierte und 2014 nach Spanien übersiedelte. Hayat schickte einen Jugendlichen nach Spanien, damit Abu Adam ihn vom Weg der Gewalt abbringe.

Die Idee: Man arbeitet mit bescheidenen Zielen, vorrangig soll verhindert werden, dass Leute Bomben legen. Ob sie weiter ihre salafistische Einstellung behalten, ist nachrangig; ähnlich der "akzeptierenden Jugendarbeit" mit Neonazis in den Neunzigerjahren. Im April wurde Abu Adam wegen des Verdachts der Unterstützung der Terrormiliz "Islamischer Staat" verhaftet. Das Bamf, das Hayat mitfinanziert, war aufgeschreckt. Abu Adam sitzt in Haft.

Von der "Fehlerkultur" der Franzosen lernen

So hört man durchaus anerkennendes Lob für den Weg, den in Frankreich die Regierung von Staatspräsident Emmanuel Macron eingeschlagen hat. Ein Kassensturz, offene Kritik an eigenen Projekten: Von der "Fehlerkultur" der Franzosen könne man lernen, sagt etwa der Leiter des neu gegründeten Nationalen Zentrums Kriminalprävention (NZK) in Bonn, Andreas Armborst.

Sein Haus, das beim Bundesinnenministerium angesiedelt ist, soll in Deutschland Inventur machen wie in Frankreich. Manche Deradikalisierungs-Programme, die der Staat finanziert, hält er für unnütz. "Manchmal guckt man sich an, was die für ein Konzept haben - wenn sie überhaupt eines haben -, und dann braucht man erst gar keine teure Evaluation in Auftrag zu geben."

Das NZK soll erstmals Kriterien ausarbeiten, mit denen der Staat die wenigen seriösen, zielgerichteten Konzepte erkennen kann. Die Frage, die sich an Armborsts Leute richtet, ist groß. Die Ratlosigkeit auch. Eine Antwort, so sagt er, gibt es erst 2019.

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