Ein Jahr nach der Wahl:Unbemerkt krempelt Trump die USA um

FILE PHOTO: Trump signs an Executive Order on healthcare at the White House in Washington

Nach der Unterzeichnung eines seiner vielen Dekrete mit seiner typischen, sehr markanten Unterschrift: Donald Trump scheint mit sich zufrieden zu sein

(Foto: REUTERS; Lucas Sankey/Unsplash (M))
  • Mehr als 800 Vorschriften aus der Obama-Ära hat die Trump-Regierung zurückgenommen.
  • Auch in den Bereichen Umwelt und Justiz hat sich seit Trumps Wahlsieg vor einem Jahr schon viel verändert.
  • Als größte Erfolge von Präsident Trump gelten die Besetzung von Richterstellen sowie die Tatsache, dass weniger Migranten in die USA kommen.

Von Beate Wild, Austin

Donald Trump ist ein erfolgreicher Präsident. Doch, wirklich. Schafft man es, sich nicht von seinen persönlichen Entgleisungen ablenken zu lassen, wird klar: Trump krempelt die USA gerade ziemlich um. Er macht vieles von dem rückgängig, was Vorgänger Barack Obama neu eingeführt hat.

50 Dekrete hat Trump im ersten Dreivierteljahr seiner Amtszeit erlassen. Keiner seiner Vorgänger in den vergangenen 50 Jahren hat so aktiv angefangen. Zudem hat er bereits mehr als 800 Vorschriften und Auflagen aus der Obama-Ära zurückgenommen - die größte Deregulierung seit Ronald Reagan in den Achtzigerjahren. In den Bereichen Umwelt und Justiz sind die Umwälzungen bereits jetzt enorm. Ebenso bei der Einwanderungspolitik. Die Veränderungen für die USA könnten einschneidender sein, als viele sich vorstellen wollen.

Warum das kaum jemand mitbekommt? Weil sich Medien und politische Gegner auf den Radau und die Fehlschläge stürzen, mit denen die Trump-Regierung seit neuneinhalb Monaten neue Negativstandards setzt. Doch zur Freude der Republikaner erreicht Trump, der vor einem Jahr gegen Hillary Clinton gewann, heimlich und leise mehr als den meisten bewusst - und den Demokraten lieb - ist. Dass der US-Präsident seine großen Wahlversprechen wie die Abschaffung von Obamacare bislang nicht einhalten konnte und seine Zustimmungsrate mittlerweile auf 38 Prozent gesunken ist, steht der Mission des Milliardärs nicht im Weg.

Als Trumps größter Erfolg gilt unbestritten die Besetzung der freien Stelle am Supreme Court mit Neil Gorsuch. Der konservative Richter besetzt eine Stelle, für die eigentlich Obama einen moderaten Juristen hätte ernennen dürfen (Details hier). Mit Gorsuchs Stimme entschied das Gericht im Juni etwa, dass Teile von Trumps Einreiseverbot zulässig sind. Ein Sieg für den Präsidenten.

Wenn Richter Trump mit Darth Vader vergleichen

Fast unbemerkt besetzt Trump auch andere, frei gebliebene Posten an den Bundesgerichten mit Richtern auf Lebenszeit. Ronald Klain, einst enger Mitarbeiter von Vizepräsident Joe Biden, ist sich sicher: "Die Art, wie unsere wichtigsten Rechte von Bundesgerichten geformt werden, ändert sich gerade massiv. Während Präsident Trump in vielen Aspekten inkompetent ist, so ist er außerordentlich erfolgreich darin, junge konservative Kandidaten in einer rekordverdächtigen Anzahl auf die Richterbank zu befördern."

Auch hier setzt Trump andere Prioritäten als Obama: Dieser hatte es sich acht Jahre lang zum Ziel gesetzt, möglichst viele Afroamerikaner, Asiaten, Latinos und Frauen zu nominieren, damit die Richter der gesellschaftlichen Realität ähnlicher werden (mehr beim New Yorker). Der Rückbau von Obamas Erbe wird hier besonders deutlich.

Je weiter die Bundesgerichte nach rechts kippen, desto leichter ist es für die Konservativen, die USA in ihrem Sinne zu verändern. Ein gutes Beispiel für die Unterstützung, die Richter dem neuen Präsidenten zuteilwerden lassen, ist Richter Don Willett. Vor Kurzem nominierte Trump ihn und einen weiteren konservativen Texaner für das Bundesberufungsgericht in New Orleans.

Willett, ein in den sozialen Medien populärer US-Richter, macht sich keine Mühe, seine Sympathien zu verheimlichen. Auf Twitter verglich er Trump mit Darth Vader. "Wir werden den Todesstern wieder aufbauen. Es wird großartig werden, glaubt mir. Und die Rebellen werden dafür bezahlen", twitterte er im April 2016.

Erfolgreiche Einschüchterung von Migranten

Die Zurückdrängung illegaler Einwanderung ist Trumps zweiter großer Triumph. Gewiss: Zum Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko ist es bislang nicht gekommen. Ob sie jemals realisiert wird, ist fraglich, da Mexiko sich weigert, für den Bau zu bezahlen. Ohne mexikanische Pesos müsste die Finanzierung den US-Steuerzahlern auferlegt werden und im Haushalt vom Kongress ein Budget verabschiedet werden. Dass es dazu kommt, bezweifeln selbst Trump-Anhänger.

Doch die Mauer braucht der Präsident gar nicht, um gegen Migranten vorzugehen. In den ersten sieben Monaten seiner Amtszeit setzte die ICE, eine Polizei- und Zollbehörde der Homeland Security, mehr als 28 000 Illegale fest, obwohl sie nicht straffällig geworden waren. Diese Zahl ist drei Mal höher als im Vorjahreszeitraum. Die Gesamtzahl der Abschiebungen von Einwanderern ohne Aufenthaltsgenehmigung lag im September 2017 niedriger (211 068 Personen) als im Jahr davor unter Obama (240 255). Offenbar läuft der Abschiebeprozess nicht so schnell wie von der Regierung angestrebt.

Doch vor Kurzem wurde bekannt, dass die ICE nach Standorten für weitere Internierungslager für Illegale sucht, unter anderem im Süden von Texas an der Grenze zu Mexiko. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU befürchtet deshalb, dass die Festnahmen von Einwanderern weiter ansteigen werden.

Doch nicht nur die Aktivitäten von Grenzpolizei und Einwanderungspolizeibehörde zeigen Wirkung. Auch Trumps einwanderungsfeindliche Rhetorik schreckt potenzielle Migranten ab. Die Zahl der illegalen Grenzüberschreitungen ist rapide gefallen. Das Heimatschutzministerium ermittelte, dass etwa im August 2017 im Vergleich zum Vorjahr 41 Prozent weniger Menschen illegal in die USA einreisten.

Die Jagd auf Illegale drängt Latinos in die Schattenwelt

Was Trump mit seiner Anti-Einwanderungs-Politik auch geschafft hat: Immer mehr Menschen ohne Papiere ziehen sich, aus Angst erwischt und außer Landes gebracht zu werden, in ein Schattendasein zurück. Illegale trauen sich etwa nicht mehr, ein Verbrechen bei der Polizei anzuzeigen, da sie Angst vor Verhaftung und Abschiebung haben. Farmer in Kalifornien berichten von Arbeitermangel und verrottendem Obst und Gemüse auf den Feldern, da - vor allem direkt nach Polizeirazzien - die illegalen Erntehelfer nicht mehr zur Arbeit kommen und sich zu Hause verschanzen. Viele Migrantenfamilien haben ihre Kinder zumindest übergangsweise nicht mehr in die Schule geschickt. Seit Trump den "Sanctuary Cities", den Zufluchtsstädten, die nicht gegen Undokumentierte vorgehen, den Kampf angesagt hat, ist die Lage für die Illegalen noch prekärer geworden.

Immer häufiger hört man, dass Arbeiter aus Mexiko, El Salvador oder Honduras ihre Familie und ihren Besitz zusammenpacken und sich freiwillig auf den Weg zurück in ihre Heimat machen, auch wenn sie dort nicht sicher sind. Für die Betroffenen ist das offenbar ein geringeres Übel, als in den USA von den Behörden gejagt zu werden.

In den Augen seiner Anhänger ist Trumps Migrationspolitik bislang erfolgreich. Es ist jedoch fraglich, ob diese Entwicklung einem Land guttut, das gerade wegen der Offenheit gegenüber Einwanderern einflussreich und erfolgreich geworden ist.

Möglicherweise kann Trump bald noch einen Triumph für sich verbuchen: Der Kongress ist auf dem Weg, bis Jahresende eine Steuerreform zu verabschieden. Vorgesehen sind Steuersenkungen von 1,5 Billionen Dollar in den kommenden zehn Jahren. Die Reform wird vermutlich nicht, wie Trump das gerne behauptet, eine Erleichterung für die Mittelschicht sein, sondern vielmehr ein Geschenk an die Superreichen. Die letzte Steuerreform setzte Ronald Reagan 1986 um.

Harte Strafen für Freizeitkiffer

Auch in der Umweltpolitik hat die neue Regierung schon drastischen Einfluss genommen. Die bekannteste Aktion war Trumps Bekanntgabe, die USA werde sich aus dem Pariser Klimaabkommen zurückziehen. Auch wenn dies erst 2020 möglich ist, war der Schritt symbolisch sehr bedeutsam. Aber das Umweltschutzministerium ist längst auch an anderen Fronten aktiv geworden. In der Arktis und in Teilen des Atlantiks sind Ölbohrungen wieder erlaubt - ein Geschenk von Trump an die Ölfirmen.

Außerdem kündigte Trump an, Barack Obamas "Clean Power Plan" zur Reduzierung von Treibhaus-Emissionen rückgängig zu machen und die Auflagen für Kohlekraftwerke wieder zu lockern. Dies kann er, da Obama dafür keine Mehrheiten im Kongress fand und seine Vorstellungen mit Dekreten durchsetzte. Mehr als 30 Umweltauflagen hat Trump bislang eliminiert. Ein Triumph für die Republikaner, von denen viele den Klimawandel nicht ernst nehmen. Mit Deregulierungen dieser Art schaffen sie Tatsachen, die weitreichende Folgen haben können - für die USA und die ganze Welt.

Justizminister Jeff Sessions kündigte derweil an, bei der Verbrechensbekämpfung hart durchzugreifen. Beispielsweise stärkte er das Recht der Polizei, von Verdächtigen Bargeld und Besitztümer zu pfänden - ein Recht, das schon heute oft missbraucht wird. Bei geringfügigen Drogendelikten fordert Sessions von seinen Staatsanwälten, die härtesten Strafen durchzusetzen. In konservativen Bundesstaaten wie Texas kann es gut möglich sein, dass mancher Freizeitkiffer noch hinter Gittern sitzt, wenn Sessions schon längst nicht mehr im Amt ist.

Eine andere Gruppe, gegen die Trump überraschend zu Felde zieht: die LGBT-Community. Obwohl er im Wahlkampf noch als Freund von Homosexuellen und Transgender-Amerikanern auftrat, will er nun Transgendersoldaten im Militär nicht mehr erlauben. Ein Gericht stoppte Trumps Anordnung vorerst. Doch laut einer Umfrage vom Juli fühlen sich zwei Drittel der LGBT-Menschen weniger sicher, seit Präsident Trump im Weißen Haus sitzt.

Mit Tweets lenkt Trump von wichtigen Themen ab

Was Trump im Übrigen auch als (persönlichen) Sieg für sich deklarieren kann: Das Außenministerium wird unter seiner Präsidentschaft immer mehr zum Scheinministerium. Chefdiplomat Rex Tillerson muss mit 30 Prozent Budgetkürzungen zurechtkommen. Außerdem macht der Präsident keinen Hehl daraus, dass er Diplomatie, etwa im Falle Nordkoreas, für Zeitverschwendung hält und die Außenpolitik sowieso lieber selbst in die Hand nimmt.

Weitere Vorschriften und Auflagen aus der Obama-Ära, die Trump einkassiert hat: Internet-Service-Provider dürfen die Daten ihrer Kunden ohne deren Zustimmung sammeln und verkaufen. Die Daca-Regelung ("Deferred Action for Childhood Arrivals") wurde aufgekündigt, weshalb nun 800 000 Kindern von illegal Eingewanderten, auch "Dreamer" genannt, die Abschiebung droht. Oder die "Dakota Access Pipeline", durch die unter Trump wieder Öl fließt, nachdem Obama den Ausbau gestoppt hatte. Diese Auflistung ließe sich seitenweise weiterführen, wie es etwa die Washington Post tut.

Doch öffentlich diskutiert werden lieber Trumps Tweets. Mit ausgesuchten Konflikten (etwa mit schwarzen Football-Spielern, die bei der Nationalhymne knien und so gegen Polizeigewalt protestieren) und Twitter-Tiraden (etwa gegen die Russland-Ermittlungen und Hillary Clinton) versteht es der US-Präsident, die Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken. Ob bewusst oder rein zufällig, sei dahingestellt.

Es sind oft nur kleine Veränderungen, die da Tag für Tag unter der neuen Regierung passieren. Die für sich genommen nicht so bedeutend erscheinen. Doch in der Summe können sie den Alltag vieler Amerikaner völlig verändern. Laut einer aktuellen Studie leiden 63 Prozent der US-Bürger unter Stress und Angstzuständen, wenn sie an die Zukunft ihres Landes denken.

Bisher waren die USA stolz darauf, ein Schmelztiegel der Kulturen zu sein - und sahen sich selbst als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Macht US-Präsident Donald Trump so weiter, wird es besonders für Minderheiten und Ärmere schwer werden, den Traum von der Freiheit weiter zu träumen.

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