Werk der Wahl:Familienaufstellung

Francois Goeske über Eugéne Bulands Bild "Propaganda"

Protokoll von Evelyn Vogel

Mich fasziniert dieses Gemälde, weil es so eine Enge hat, es wirkt fast klaustrophobisch auf mich. Der ganze Bildraum ist wie vollgestopft, die Menschen sind nah beieinander platziert. Als ich das Bild das erste Mal sah, fragte ich mich sofort: Worum geht es hier? Bewusst habe ich mich erst einmal nicht informiert und wollte der Geschichte in dem Bild selbst auf den Grund gehen. Aber das ist gar nicht so einfach. Zentral ist der alte Mann auf dem Stuhl, um den herum sich die Familienmitglieder gruppieren. Ins Auge springt aber sofort auch der Mann rechts. Er wirkt dominant, ist recht groß und korpulent, er beherrscht fast die ganze rechte Seite des Bildes. Er hält ein Bild eines hohen Militärs in der einen Hand und scheint dem alten Mann die andere Hand zu reichen. Nennen wir ihn den Besucher.

Worum geht es hier also? Um das Überbringen einer Todesnachricht? Oder handelt es sich um eine Würdigung? Da ist eine große Traurigkeit in dem Bild, die man umso mehr spürt, je näher man ihm kommt. Da ist aber noch etwas anderes in den Gesichtern erkennbar. Besonders deutlich wird das in dem Gesicht der Frau oben rechts, die den Kopf dem Besucher zuneigt. Was spricht aus ihrem Blick? Ist es Bewunderung oder Neugier? Dann fällt das Schränkchen auf, das relativ bunt und fröhlich wirkt und vollstopft ist mit Büchern und so etwas wie Kinderspielzeug. Das steht in Kontrast zu der eigentlichen Bildsprache. Und diesen Kontrast finde ich ungemein spannend und er erinnert mich an das Filmmetier, mit dem ich ja sehr viel besser vertraut bin als mit der Kunst. Im Film mag ich auch dieses sehr genaue Hinsehen.

Vielleicht fühle ich mich dem Film deshalb auch so viel näher verbunden als dem Theater, das für mich vieles übersteigert, zu laut macht. Das muss es vielleicht, weil da ja eine gewisse Distanz ist zwischen dem Betrachter und dem, was auf der Bühne geschieht. Nur mir ist das oft zu viel. Der Film hingegen holt den Betrachter nah an das Geschehen heran. Und Eugène Buland macht das auf seine Weise genauso. Er holt den Betrachter nah heran, versetzt ihn hinein in die Szenerie, lässt ihn teilhaben.

Werk der Wahl: Eugène Buland: „Propaganda“ aus dem Jahr 1889.

Eugène Buland: „Propaganda“ aus dem Jahr 1889.

(Foto: bpk/RMN - Grand Palais/Hervé Lewandowski)

Beim Anblick des alten Mannes kam mir mein Großvater in den Sinn. Die ganze Familie strahlt auf mich einen großen Zusammenhalt aus. Und das berührt mich ganz persönlich. Denn meine Familie ist sehr verteilt. Meine Mutter lebt in Frankreich, meine Oma in Lüneburg, mein Vater tingelt zwischen Stuttgart und München, und ich selbst bin ja auch viel unterwegs. Vielleicht steckt da auch eine gewisse Sehnsucht dahinter, dass die alle mal auf einem Platz sind. Und auch dass man Respekt der älteren Generation gegenüber pflegt. Dass man die nicht beiseite schiebt, wenn sie alt sind, sondern integriert. Die ganze Szenerie hat etwas Wohliges, Heimeliges.

Das Bild steht in großem Kontrast zu den meisten Bildern in der Ausstellung, die mythologisch überhöht sind, oft pathetisch wirken. Bilder, deren Gestalten vor Kraft und Stärke strotzen und den Betrachter in ganz andere Zeiten entführen. Ich habe gehört, dass Buland sich schon bald vom Symbolismus abgewandt und der Genremalerei zugewandt hat.

Dafür ist dieses Bild ein wunderbares Beispiel. Es holt uns herunter auf die Erde. In den Alltag der kleinen Leute. Die Holzschuhe, die der Großvater trägt, seine an der Schulter zerrissene oder geflickte Weste. Das hat so etwas Menschliches, das fühlt sich für mich gut und nah an, macht es nahbar.

Erst als ich mich schon längst für dieses Bild als mein "Werk der Wahl" entschieden hatte, habe ich erfahren, was Buland da tatsächlich gemalt hat, nämlich eine Propaganda-Szene. Ein Straßenverkäufer wirbt bei einer Bauernfamilie mit Reproduktionen für die populistische Bewegung um den ehemaligen Kriegsminister Georges Boulanger. Das heißt, etwas Öffentliches, Staatliches dringt in die Privatsphäre der Familie ein. Weiß man das, deutet man die Neugier und Skepsis in den Gesichtern der Familie noch mal anders.

Werk der Wahl: François Goeske gab sein Kinodebüt mit zwölf Jahren in der Neuverfilmung des „Fliegenden Klassenzimmers“ (2002). Seitdem war der deutsch-französische Schauspieler in zahlreichen Hauptrollen zu sehen, wie in Joseph Vilsmaiers „Bergkristall“ oder Christian Ditters „Französisch für Anfänger“. 2018 wird er als Held einer Adventure Serie in Kanada drehen.

François Goeske gab sein Kinodebüt mit zwölf Jahren in der Neuverfilmung des „Fliegenden Klassenzimmers“ (2002). Seitdem war der deutsch-französische Schauspieler in zahlreichen Hauptrollen zu sehen, wie in Joseph Vilsmaiers „Bergkristall“ oder Christian Ditters „Französisch für Anfänger“. 2018 wird er als Held einer Adventure Serie in Kanada drehen.

(Foto: Klaus Faltin)

Der Großvater scheint in seiner Erfahrung, seinem Schatz an Erinnerungen zu suchen, um zu überprüfen, was ihm da aufgetischt wird. Wo stimmt was, wo verkauft sich der andere einfach nur gut? Auch in den Gesichtern der anderen Erwachsenen taucht dann so etwas wie Skepsis auf, während die Kinder doch eher - vielleicht verständnislos - zuzuhören scheinen. Mir scheint, am Ende wird es um das Wort des Großvaters gehen, ob die Partei eine Chance hat oder nicht. Das Bild ist wohl in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs gemalt worden. Damals wie heute fragt man sich, welcher Partei man glauben kann, welcher Partei man vertrauen soll. Deshalb ist das Bild für mich auch hochaktuell.

Gut. Wahr. Schön. Meisterwerke des Pariser Salons aus dem Musée d'Orsay, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, bis 28. Januar, täglich 10-20 Uhr

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