Soziologe Stephan Rammler:"Wir schaffen es nicht, klug zu handeln"

Berlin Verkehr Erklaerung äNew Urban Agenda Pressekonferenz zur Uebergabe der äNew Urban Agenda Erk

Der Soziologe Stephan Rammler, 49, ist Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Er beschäftigt sich mit Fragen zukunftsfähiger Umwelt- und Gesellschaftspolitik.

(Foto: Christian Ditsch/imago)

Warum so viele Menschen daran scheitern, Gebote zum Klimaschutz auch im eigenen Alltag zu beherzigen.

Interview von Jan Heidtmann

SZ: Herr Rammler, Sie beschäftigen sich damit, wie die Erkenntnisse zum Klimaschutz in einen anderen Lebenswandel umgesetzt werden können. Klappt das bei Ihnen selbst?

Stephan Rammler: Ich mache zumindest den angestrengten Versuch. Man ist ja auch selber Teil des Problems. Ich esse Fleisch, aber nicht viel. Ich habe ein Elektroauto, das ich manchmal benutze. Und ich fliege so wenig wie nur möglich, in den letzten zehn Jahren zweimal beruflich, privat gar nicht. Ich habe deshalb auch Vorträge in den USA ausgeschlagen.

SZ: Angesichts der Größe des Klimaproblems hätte es aber vermutlich gar keinen Unterschied gemacht, wenn Sie die Vorträge gehalten hätten.

Das ist Unsinn. So wie das Argument, der Thunfisch, der in der Dose liegt, sei ja schon tot. Deshalb kann ich ihn kaufen. Jede neue Nachfrage aber erzeugt neue Angebote. Und umgekehrt gibt jeder Flug, den ich am Ende nicht antrete, ein Signal in den Markt.

Während Hunderttausende andere weiterfliegen.

Es ist ja ein sehr deutscher Anspruch, immer alles perfekt machen zu wollen. Dabei helfen auch kleine Schritte. Das ist wie beim Sport: Wenn ich gleich Marathonläufer werden will, fange ich nie mit dem Joggen an. In den Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition wird gerade über großartige Klimastrategien diskutiert, darüber, Kohlekraftwerke zu schließen. Das ist alles ganz wichtig. Aber wenn jeder Bundesbürger zweimal in der Woche auf Fleisch verzichten und das Auto stehen lassen würde - das würde schon eine Menge bewirken.

Und warum passiert da dann überhaupt nichts?

Es ist ja nicht so, dass gar nichts passiert. Es gibt nur sehr unterschiedliche Arten, mit der Bedrohung durch den Klimawandel umzugehen: Einige sagen, das interessiert uns nicht, also Ignoranz. Andere sagen, sie sehen die Probleme, aber ändern nichts, also der Tanz auf dem Vulkan. Und es gibt die, die sagen: Jetzt trotzdem - wir wollen einen Beitrag leisten.

Der größte Teil werden wohl diejenigen sein, die das Problem erkennen, aber trotzdem nichts ändern.

Es gibt einen fast paradoxen Widerspruch von Intelligenz und Klugheit, der die gesamte Gesellschaft betrifft. Einerseits sind wir technologisch extrem intelligent. Andererseits schaffen wir es nicht, gesamtgesellschaftlich klug zu handeln. Das liegt aber nicht daran, dass der einzelne Mensch zu blöde wäre. Es gibt Tausende unterschiedlicher Gründe dafür, Bequemlichkeit zum Beispiel. Ein zentraler Grund ist sicherlich das, was ich Pfadabhängigkeit nennen würde: Wir haben in den letzten Jahrzehnten Leitbilder, Lebensgewohnheiten, Selbstverständlichkeiten entwickelt, von denen wir nicht mehr loskommen - selbst wenn sie uns langfristig umbringen. Nehmen Sie das Auto: Unsere gesamte Gesellschaft, der ganze Alltag ist drum herum gebaut. Das macht es so schwer, über alternative Mobilitätskonzepte überhaupt erst einmal nachzudenken.

Klimaschutz muss man sich auch leisten können. Wie erklären Sie einer Verkäuferin oder einem Arbeiter bei VW, dass sie oder er das Auto einfach mal stehen lassen sollen?

Diejenigen, die am wenigsten finanziellen Spielraum haben, hinterlassen eh den kleinsten ökologischen Fußabdruck. Die grünen oder linksliberalen Eliten, aber auch der Prenzlauer-Berg-Biedermeier, das sind ja diejenigen, die oft hochgradig bigott sind: ein bisschen Carsharing, ein bisschen Radfahren, ein bisschen Biofutter für die Katze kaufen. Die wählen ökologisch, fahren dann aber - weil das alles so anstrengend ist - zwei-, dreimal im Jahr in den Süden, um Sonne zu tanken. Diese Leute kritisiere ich viel eher als diejenigen, die wenig Spielraum haben.

Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit sich an dieser Haltung grundlegend etwas ändert?

So wie wir derzeit leben, in den Routinen, kann man das kaum von jedem Einzelnen verlangen. Es braucht Anstubser dafür, zum Beispiel, indem die zerstörerischen Dinge einen Preis bekommen. Eine Steuer auf Kaffeebecher wäre so etwas. Ich glaube auch, dass viele Menschen auf solche Anstöße warten oder wenigstens mitmachen würden. Sie müssen nur kommen - und das ist eindeutig Aufgabe der Politik.

Die Klimapolitik, die Landwirtschaft, der Verkehr sind mit die großen Knackpunkte bei den Verhandlungen um eine Jamaika-Koalition. Haben Sie den Eindruck, die Sondierungen gehen in die richtige Richtung?

Nein, den habe ich nicht.

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