Nordkoreas Atomraketen:Warum Nordkoreas Diktator alle Ressourcen in Raketen steckt

Eine Nachrichtensendung in Seoul, Südkorea, berichtet über den Raketenstart Nordkoreas.

Eine Nachrichtensendung in Seoul, Südkorea, berichtet über den Raketenstart Nordkoreas.

(Foto: dpa)

Technisch sind enorme Fortschritte zu verzeichnen. Fast die Hälfte der Tests entfällt auf Flugkörper mit langer Reichweite. Das ist ein klares Signal.

Von Stefan Kornelius

Kein anderer Teil des nordkoreanischen Sicherheitsapparats bekommt so viel Aufmerksamkeit, Fürsorge und Mittel wie die Nuklearstreitmacht. Während Luftwaffe, Heer und Marine ein Kümmerdasein führen und über keine nennenswerte Einsatzbereitschaft verfügen, fließen alle Ressourcen des Staates in die Entwicklung eines Nuklearsprengkopfs und von Raketen.

Geheimdienste, Sicherheitsexperten und die Schar der Nordkorea-Fachleute besonders in Japan und Südkorea beobachten den Trend schon seit Jahren. Die Konzentration auf die Raketenstreitmacht ist überall im Alltagsleben auszumachen. Propagandaposter, Parolen an Hauswänden, die Bilderdichte mit Diktator Kim Jong-un vor den Lieblingsspielzeugen und selbst die Briefmarken des Landes: Die Raketen sind Nordkoreas Staatsmittelpunkt.

Nach Experten-Informationen verfügt das Land über etwa 300 Kurzstreckenraketen und dieselbe Zahl von Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 1500 Kilometern. Etwa 25 Raketen vom Typ Musudan mit einer Reichweite von 4500 Kilometern sollen im Arsenal stecken. Alle Aufmerksamkeit aber gilt den Interkontinentalraketen, die unter dem Namen Hwasong in verschiedenen Ausfertigungen getestet wurden. Der Typ mit der größten Reichweite, die Hwasong 15, wurde Mittwochnacht in eine bemerkenwerte Höhe geschossen. Legte man die Flugbahn flacher, könnte die Rakete Ziele in einer Distanz von 13 000 Kilometern treffen, also quasi das gesamte Festland der USA, aber auch Europa.

Raketenexperten verwenden viel Aufwand mit der Analyse von Flugbahn und anderen Daten, die Militär und Geheimdienste sammeln. So wie man davon ausgehen muss, dass Nordkorea einen gewaltigen Datenstrom aus den abgefeuerten Raketen auffängt (mutmaßlich mithilfe eines Forschungsschiffs), so sind auch Militär und Geheimdienste der Nachbarn fleißige Datensammler. Dabei kommt es den Experten nicht nur auf die Flughöhe und damit die potenzielle Reichweite an, sondern sie messen auch Flugstabilität, Hitzeentwicklung und Treffergenauigkeit - entscheidende Faktoren, um die Frage aller Fragen zu beantworten: Kann die Rakete einen nuklearen Sprengkopf transportieren und unbeschadet zu seinem Ziel bringen?

Bemerkenswert beim jüngsten Start war die Reichweite. Nach nordkoreanischen Angaben erreichte der Flugkörper eine Höhe von 4475 Kilometern während seines steilen Parabelflugs. Das ist eine deutliche Verbesserung verglichen mit dem letzten Interkontinental-Test vom Juli. Unklar ist aber, ob diese Reichweite erzielt werden kann, wenn die Rakete einen schweren, nuklearen Gefechtskopf trägt. Nach herrschender Meinung kann ein Gefechtskopf nur von einer dreistufigen Rakete transportiert werden, wenn er so weit fliegen soll - eine Technologie, über die Nordkorea aber nicht verfügt. Möglicherweise lässt sich durch Flugdaten auswerten, welche Last die Hwasong 15 trug. Unklar ist auch, wie stabil der Sprengkopf beim Wiedereintritt in die Erdatomsphäre blieb. Hier hatten Experten die bisher größten Entwicklungsschwierigkeiten ausgemacht.

Allerdings haben die Nordkoreaner auch andere Fortschritte erzielt: Die Raketen werden leichter, weil sie aus Faserverbundstoffen gefertigt werden. Die Treibstofftechnologie scheint sich auch zu verbessern. Immer mehr Raketen auch kürzerer Reichweite wurden mit Festtreibstoff getestet, was den Abschuss unberechenbarer macht: Die Rakete kann schnell transportiert und kurzfristig abgefeuert werden. Die gefährliche und per Satellit zu beobachtende Befüllung mit Flüssigtreibstoff macht einen Präventivschlag wahrscheinlicher. Am Mittwoch wurde die Rakete in der Dunkelheit gestartet und offenbar horizontal befüllt, also nicht in der aufrechten Startposition. Auch das lässt sich besser vor Satellitenaugen verbergen.

22 unterschiedliche Raketentypen hat Nordkorea entwickelt, manche wurden nicht getestet, andere werden demonstrativ der Weltöffentlichkeit vorgeführt, ohne dass klar ist, wie weit die Entwicklung gediehen ist. So war auf der Militärparade zum 105. Geburtstag des Staatsgründers Kim Il-sung am 15. März der Prototyp einer Interkontinentalrakete zu sehen, die in einem Startrohr steckte. Dieser Raketentyp wird mit einem festen Treibstoff betrieben. Auch wenn Nordkorea diese Technologie noch nicht getestet zu haben scheint, so wird damit klar, wohin die Entwicklung gehen soll. Zu sehen war auch eine Interkontinentalrakete mit einem steuerbaren Gefechtskopf - ein Hinweis auf den Stand der technologischen Entwicklung Nordkoreas.

20 Raketentests und ein Nukleartest wurden 2017 gezählt, damit könnte das Regime die Testzahl aus dem Vorjahr (21) zumindest bei den Raketen noch erreichen. Fast die Hälfte der Tests entfällt auf Raketen mit langer Reichweite, auch das ein Signal über die Prioritäten.

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