Stachelige Schützlinge:Verhungern oder überleben

Zwischen 100 und 180 junge Igel werden jeden Herbst und Winter ins Tierheim Erding gebracht. Unter 600 Gramm Gewicht stehen ihre Chancen schlecht. Oft müssen sie eingeschläfert werden

Von Regina Kirschner, Erding

Abgemagert, verletzt und voller Würmer und Flöhe: Schlecht geht es allen Igeln, wenn sie zu Tierpflegerin Michaela Maier ins Tierheim Erding kommen. Etwa ein Drittel von ihnen wird den Winter nicht überleben. "Sie sind einfach zu krank", sagt Maier. Da die Säuger nachtaktiv sind, bleiben viele trotz ihres schlechten Zustands unentdeckt. Wenn sie der Hunger dann tagsüber aus ihren Verstecken treibt, kommt die Rettung oft zu spät. Einige fressen aus Verzweiflung sogar Vogelfutter, erklärt die Tierarzthelferin. Aber das schade den Tieren. "Meist braucht jeder Igel, den man ab Oktober tagsüber findet, Hilfe."

Ihre stacheligen Patienten bringt Maier in Boxen im Carport des Tierheims unter. Für jeden Igel eine, denn die Säuger sind Einzelgänger. Im Moment wohnen dort etwa 100 Tiere aus dem ganzen Landkreis. "Die genaue Zahl ist schwer zu sagen, weil viele sterben", sagt die Tierpflegerin. An Pflege mangelt es den Igeln aber nicht. Sobald sie bei Maier sind, werden sie entwurmt und entfloht. Davor scheuen einige Menschen, die Igel finden, zurück. Außerdem sei die Geruchsbelastung durch die Tiere enorm. "Sie kacken ihre Kisten voll, und Igel stinken einfach", weiß Maier. Denn in ihrem Kot fühlen sich die Säuger ausgesprochen wohl.

Tierpflegerin Michaela Maier

"Sie kacken ihre Kisten voll. Igel stinken einfach"

Dass nicht jeder den strengen Geruch in seiner Wohnung haben möchte, versteht die Tierpflegerin. Daher findet sie die Anlaufstelle im Tierheim wichtig, denn "die Leute sind damit überfordert". Wegen des Gestanks dürfen auch nur sehr schwer kranke Igel zu Maier nach Hause. Dort bekommt jeder eine eigene Kiste wie im Tierheim. Doch nicht jede beliebige Box eignet sich, denn ein Igel braucht in etwa zwei Quadratmeter. Die Kiste legt die Tierpflegerin mit Zeitungspapier aus und stellt ein Schlafhäuschen hinein. Wer ebenfalls in den eigenen vier Wänden einen stacheligen Säuger betreuen möchte, sollte die Box an einem warmen Ort platzieren. "Hausbesitzer, die einen beheizten Keller habe, können den Igel dort unterbringen", empfiehlt Maier. Allerdings nur, wenn es dort Fenster gibt.

90 Prozent der aufgegriffenen Tiere im Landkreis leben erst seit diesem Sommer und wiegen viel zu wenig für den Winterschlaf. 600 Gramm sollten sie dafür auf die Waage bringen. Bis dahin päppelt die Tierpflegerin die Igel auf. Dafür benötigt man keinen Fachmann, außer der Igel ist krank.

"Ich füttere sie mit hochwertigem Katzenfutter. Das kann auch jeder Finder zu Hause", sagt sie. Um die Kalorienanzahl einer einzelnen Portion zu erhöhen, fügt sie noch durchgegartes Hackfleisch, Trockenfutter oder Haferflocken hinzu. Hat der Igel das Winterschlafgewicht erreicht, kommt er samt isolierter Kiste nach draußen. Dann gibt es für den Igel nichts mehr zu fressen. Sonst bleibt er nämlich wach. Das Tierheim wildert die Säuger wieder aus, sobald die kalte Jahreszeit überstanden ist. "Igel sind sehr standorttreu. Wir bringen sie dorthin zurück, wo die Leute sie gefunden haben."Das gelte natürlich nicht für Stellen an viel befahrenen Straßen. Dann sucht Michaela Maier für ihre Schützlinge einen "igelfreundlichen" Platz. Das sind Gärten, in denen die Tiere viele Winkel zum Verstecken, Hecken und Sträucher vorfinden.

Igel vor dem Winterschlaf

Wenn kleine Igel im Spätherbst tagsüber auf Nahrungssuche zu sehen sind, ist das ein Alarmsignal. Denn dann haben die eigentlich nachtaktiven Tiere Hunger und nicht genügend Fettreserven für den Winterschlaf. Im Tierheim werden sie aufgepäppelt, aber viele sterben trotzdem.

(Foto: dpa)

Denn nicht alle Gärten sind optimal. "An Fußballtoren für Kinder können sich die Igel Gliedmaßen abschnüren", sagt Maier. Dass die Netze schaden können, "da denkt keiner dran". Die übrigen zehn Prozent der älteren Igel im Heim haben Zusammenstöße mit Autos oder Mährobotern hinter sich. Allein in Deutschland werden nach Angaben des Vereins Pro Igel 500 000 Tiere in einem Jahr überfahren. Im Landkreis Erding kommen noch weitere Probleme hinzu, denn Agrarland und Monokulturen bieten weder Unterschlupf noch Nahrung. Allerdings ist die Sterberate der Jungtiere von Natur aus hoch. Daher liegt die Zahl der Igel, die ab Herbst zu Maier kommen, stets im Bereich zwischen 100 und 180 Tieren. "Dass es so viele sind, ist nicht ungewöhnlich", sagt sie.

Für einige der Igel ist das Tierheim die letzte Station. Wenn die Säuger nicht aus eigener Kraft in der Natur überleben können, werden sie eingeschläfert. Das passiert zum Beispiel, wenn der Igel keine Vorderfüße hat, mit denen er nach Nahrung graben könnte. Die Wildtiere im Heim zu behalten, ist nicht nur gesetzlich verboten, sondern auch "Tierquälerei", findet Maier. Artgerechte Haltung ist ihr wichtig. Das Tierheim Erding hilft Findern von Igeln gerne telefonisch unter 08122/9597500 weiter. Für die Igel im Heim sammelt es zudem leere Aluschalen, wie sie für Katzen- und Hundefutter verwendet werden.

Am Samstag, 2. Dezember, veranstaltet das Tierheim Erding von 13 bis 17 Uhr einen Weihnachtsbasar mit Nikolausbesuch. Das Heim ist während dessen für die Besucher geöffnet. Alle Einnahmen kommen den Tieren zu Gute.

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