SPD:Nach "Blutgrätsche" der CSU will kommende SPD-Vize lieber Minderheitsregierung

Natascha Kohnen

Die kommende SPD -Vize Natascha Kohnen hält nicht viel von einer neuen großen Koalition.

(Foto: dpa)
  • Die bayerischen SPD-Landeschefin Natascha Kohnen will nicht wieder in die große Koalition.
  • Kurz vor ihrer Wahl zur Vize-Chefin der Bundespartei erklärte sie, die Tolerierung einer von Merkel geführten Bundesregierung sei besser.
  • Die große Koalition hätte aus ihrer Sicht schon weit vor der Wahl aufgekündigt werden müssen.

Die designierte SPD-Vizechefin Natascha Kohnen hat sich für eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung ausgesprochen. "Seit 70 Jahren machen wir Regierungsbildung nach Schema F. Aber ich finde, wir müssen als Land insgesamt mutiger werden", sagte Kohnen einen Tag vor dem Beginn des SPD-Bundesparteitags in Berlin der Rheinischen Post. Dafür sei es die richtige Zeit.

"Ich habe nichts gegen Experimente", erklärte die bayerische SPD-Landesvorsitzende. "Es wäre ja auch aus der Oppositionsrolle heraus möglich, mit einer Minderheitsregierung verschiedene politische Projekte zu vereinbaren und im eigenen Sinne durchzusetzen." Das wäre neu für die Bundesrepublik.

Mit Blick auf die vergangenen vier Jahre in der großen Koalition sagte Kohnen: "Wenn man ehrlich ist, hätten wir zum Ende der Regierungszeit aus mehreren guten Gründen die große Koalition aufkündigen müssen."

Hinzu komme das unabgestimmte Abstimmungsverhalten von CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt in der Glyphosat-Frage. Kohnen sprach von einem "schlimmen Vertrauensbruch" und einer "Blutgrätsche". "Wir dürfen die große Koalition jetzt nicht schönfärben", sagte die SPD-Politikerin.

Kubicki machte Eindruck, als hielte er neue Jamaika-Sondierungen für möglich

Die SPD-Spitze hatte sich für die Aufnahme von ergebnisoffenen Gesprächen mit CDU und CSU ausgesprochen. Die könnten schon in der kommenden Woche losgehen, wenn der am Donnerstag beginnende Parteitag der Sozialdemokraten dem Verfahren zustimmt.

Sollten auch diese Gespräche scheitern, hält FDP-Vize Wolfgang Kubicki eine Neuauflage der Jamaika-Sondierungen für möglich. So schien es jedenfalls. "Eines ist doch klar: Scheitert die GroKo, haben wir eine andere Lage", sagte Kubicki den Zeitungen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). "Selbstverständlich werden die Freien Demokraten im Licht der Entwicklung neue Bewertungen vornehmen. Wir sind schließlich keine Dogmatiker."

Kubicki stellt sich damit zunächst gegen seinen Parteichef Christian Lindner. Der sagte dem RND: "Die widersprüchlichen Wahlprogramme von FDP, Grünen und Union werden sich nicht in Luft auflösen." In dieser Wahlperiode sei Jamaika "für niemanden mehr ein Thema". Eine von der Union geführte Minderheitsregierung würde die FDP aber konstruktiv aus dem Parlament begleiten. Auf Facebook nahm Kubicki sich später selbst zurück: Was er gesagt habe sei "überhaupt nicht sensationell, da selbstverständlich alle politischen Kräfte mit dem Umstand eines Scheiterns der großen Koalition umgehen müssten".

Womöglich könnte die Frage eines Scheiterns der großen Koalition tatsächlich auf Lindner zukommen. CDU, CSU und SPD belasten schon jetzt mögliche Gespräche über eine Regierungsbildung mit roten Linien. CSU-Chef Horst Seehofer stellt sich etwa gegen die von der SPD verlangte Wiederaufnahme des bis Mitte März ausgesetzten Familiennachzugs von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz. Seehofer sagte der Bild-Zeitung, er könne sich so eine Übereinkunft nicht vorstellen. "Das wäre wieder eine so massive Zuwanderung, dass die Integrationsfähigkeit Deutschlands total überfordert wäre."

SPD-Chef Martin Schulz traf sich am Dienstag mit den Grünen-Chefs Simone Peter und Cem Özdemir. Beide sagten danach: "Wir bleiben weiterhin im Austausch." SPD und Grüne hätten "in guter Gesprächsatmosphäre" über die Regierungsbildung gesprochen und sich darüber verständigt, "was die größten Herausforderungen für unser Land und Europa sind". Weitere Treffen seien vereinbart.

Der Termin mit den Grünen kurz vor dem SPD-Parteitag dürfte ein Signal an die eigenen Reihen und auch an die Union sein, dass die sich abzeichnenden Gespräche mit CDU und CSU keineswegs Selbstläufer sind.

In der Partei wird ein offener Schlagabtausch von Anhängern und Gegnern einer erneuten großen Koalition erwartet. Ausgang offen. Bei der Bundestagswahl war die SPD auf 20,5 Prozent abgestürzt und wollte sich eigentlich in der Opposition erholen.

Gibt der Parteitag grünes Licht, wollen Schulz und Fraktionschefin Andrea Nahles sich in der nächsten Woche mit den Unionsspitzen treffen. Am 15. Dezember soll der SPD-Vorstand über Sondierungen entscheiden, die Anfang Januar stattfinden sollen. Voraussichtlich am 15. Januar könnte ein kleiner Parteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen abstimmen, hieß es aus Vorstandskreisen.

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