Immer höhere Zuzahlungen:Wenn der Zahnarztbesuch teuer wird

Immer höhere Zuzahlungen: Im Idealfall steht auf der Abrechnung das, was auch während der Behandlung passiert ist.

Im Idealfall steht auf der Abrechnung das, was auch während der Behandlung passiert ist.

(Foto: Cultura/mauritius images)
  • Viele Patienten erhalten beim Zahnarztbesuch mittlerweile Rechnungen, die sie privat begleichen müssen.
  • Die Rechnungen sind für Patienten oft kaum zu verstehen - die Krankenkassen interessieren sich nicht dafür.

Von Hans von der Hagen

Kathrin Hertrich ist noch immer fassungslos: "Die Zahnärzte hören nur 'privat', dann ist für sie die Bahn frei zum Abzocken", sagt sie. Hertrich stammt aus Baden-Württemberg, arbeitet aber in der Schweiz. Zum Zahnarzt geht sie nach wie vor in Deutschland und bezahlt alles selbst. Jahrelang hatte sie nie einen Grund zu Beanstandungen. Die Rechnungen ihres Arztes waren fair, die Behandlung gut. Doch dann wurde die Praxis von einer neuen Ärztin übernommen. Die Behandlungen liefen kaum anders ab als vorher, aber im Nachhinein wurde ihr eine Rechnung präsentiert, auf die sie nicht gefasst war. "Das muss man sich mal vorstellen, für zwei Füllungen, die ersetzt wurden, habe ich 500 Euro gezahlt", sagt sie. Die Knirschschiene kostete plötzlich 320 Euro statt wie zuvor 80 Euro. Allein für das Ausfüllen des Fragebogens vor dem Anfertigen der Schiene sollte sie 60 Euro zahlen. "Warum", fragt sie, "bin ich mit keinem Wort vorgewarnt worden?"

Mit der Rechnung bleiben die Patienten allein

So wie Hertrich, die eigentlich anders heißt, geht es vielen Patienten, auch wenn sie gesetzlich versichert sind, weiß Tanja Wolf, die bei der Verbraucherzentrale das Portal "Kostenfalle Zahn" verantwortet. Gerade beim Zahnarzt ist es zur Regel geworden, dass Patienten nicht nur über ihre Versichertenkarte abgerechnet werden, sondern zusätzlich eine Rechnung in die Hand gedrückt bekommen, die sie privat begleichen müssen.

Davon profitieren viele Seiten: die Mediziner, die gesetzlich Versicherte in Privatpatienten umfunktionieren, die Anbieter von Zahnzusatzversicherungen, aber letztlich auch die gesetzlichen Krankenkassen, die vor allem bei Zahnersatz meist nur noch Basislösungen anbieten und darum günstiger davonkommen. Die gesetzlichen Krankenkassen geißeln zwar die fortschreitende Privatisierung der zahnmedizinischen Versorgung, aber Wolf zufolge gibt es "keine Bestrebungen für eindeutige Änderungen im bestehenden System".

Bei einer Befragung durch die Verbraucherzentrale zeigte sich, dass viele Patienten bereits für Zahnersatz, Füllungen oder Wurzelkanalbehandlungen zahlen. Und das gar nicht mal wenig: Schon eine Füllung kostete fast 60 Prozent der Befragten mehr als 50 Euro. Auffällig ist, sagt Wolf, dass nur etwa die Hälfte der Patienten angab, sich gut über die durch die Behandlung entstehenden Kosten informiert zu fühlen. Einem Viertel der Befragten war auch nicht klar, dass es Alternativen gegeben hätte - zum Beispiel eine Kassenleistung ohne Zuzahlung.

"Das ist wirklich erstaunlich, was da passiert", sagt Christine Heyner, die früher selbst als Zahnärztin arbeitete und mittlerweile in Köln Patienten berät. "Als Zahnärztin musste ich früher mit meinen Patienten jede Zuzahlung eine halbe Stunde diskutieren, heute gehen Patienten davon aus, dass sie zuzahlen müssen." Aber mit allen Fragen zu ihrer Rechnung blieben sie allein. Die Krankenkassen interessierten sich nicht dafür. Auf der Suche nach Hilfe landen Patienten dann bei den Beratungsstellen. Wie etwa jener, der sich bei Wolf meldete, weil er für die Ausmessung zweier Wurzelkanäle knapp 120 Euro zahlen sollte. Er wechselte den Zahnarzt - der neue nahm für die gleiche Leistung etwa 18 Euro. Wie kommen solche Unterschiede für die gleiche Leistung zustande? Um die Schwierigkeit eines Falls abzubilden, können Zahnärzte den in einer Gebührenordnung festgelegten Grundpreis mit einem Faktor multiplizieren. Im Falle der Wurzelbehandlung etwa setzte der erste Zahnarzt bei einem Grundpreis von 3,94 Euro für die Ausmessung einer Wurzel den Steigerungsfaktor 15 an, der zweite nur den Faktor 2,3.

"Überdurchschnittlich hoher Zeitaufwand durch vorsichtiges, langsames Injizieren"

Auch Patientin Hertrich hatte ihre liebe Mühe, sich die Steigerungsfaktoren auf ihrer Rechnung zu erklären. Begründet wurden sie mit Sätzen wie: "Erhöhter Zeitaufwand und Schwierigkeitsgrad aufgrund schwieriger Trockenlegungen wegen hohem Speichelfluss" oder "überdurchschnittlich hoher Zeitaufwand durch vorsichtiges, langsames Injizieren". Erbost schrieb sie ihrer Zahnärztin, dass sie noch nie "aufgrund solch grotesker Begründungsweisen" eine Rechnung in einer solchen Höhe erhalten habe. Schon der "plötzlich erhöhte Speichelfluss ist mir ein ganz und gar neues Phänomen und muss äußerst spontan aufgetreten sein". Als Antwort bekam sie daraufhin einen langen Brief von einem Abrechnungszentrum. In dem Schreiben wurde Hertrich darüber aufgeklärt, dass ein Steigerungssatz von 2,3 angesetzt werde, wenn es um Leistungen von durchschnittlicher Schwierigkeit ginge. Ohne weitere Vereinbarung könnte ein Arzt aber auch einen Faktor von bis zu 3,5 ansetzen, wenn die Behandlung schwieriger als gewöhnlich sei. Keine Praxis hatte sich je die Mühe gemacht, das Hertrich zu erklären.

Die mangelnde Transparenz bei der Zahnarztabrechnung ist ein großes Problem, sagt Heyner. Selbst wenn Rechnungen korrekt seien, verstünden Patienten schon oft nicht, was sie dort läsen. Noch schlimmer sei es, wenn die Rechnungen, wie Heyner es nennt, optimiert würden - durch überhöhte Steigerungssätze oder Rechnungsposten, die nie erbracht wurden. In Seminaren könnten Ärzte und Praxishelferinnen lernen, wie sie mit besseren Begründungen mehr Geld verlangen könnten.

Wenn vor Beginn einer Behandlung offen gesagt wird, dass grundsätzlich zu einem erhöhten Satz abgerechnet wird, mag das ja in Ordnung sein, sagt Heyner. Und wenn ein Doktor während der Behandlung wahrheitsgemäß einem Patienten sage, dass es nun doch schwieriger würde als gedacht, helfe das einem Patienten auch. "Aber bei mir landen oft Fälle, in denen weder das eine noch das andere geschieht. Das geht nicht. Wie soll denn ein Patient, dem gerade ein Implantat eingesetzt wird, noch nachvollziehen, was in seinem Mund geschieht?" Damit sich das ändert, drängen die Verbraucherzentralen darauf, dass die gesetzlichen Krankenkassen Patienten besser als bisher bei Fragen zur privaten Abrechnung unterstützen müssten. Und: Dass beispielsweise kontinuierlich geprüft werden müsse, ob Leistungen mit medizinischem Nutzen nicht auch von den Krankenkassen übernommen werden könnten.

Auch die Ärzte stehen in der Pflicht: Patientin Hertrich sagt, dass während der Behandlung zwar die ganze Zeit gesprochen worden sei - nur nicht mit ihr. Sie schrieb später ihrer Praxis, dass sie nun wisse, wie das Kind der Zahnärztin heiße, welche Tiere es schon kenne und wann es seine letzten Fieberschübe gehabt habe. "Wäre die behandelnde Zahnärztin auch mir gegenüber in Sachfragen so aufgeschlossen gewesen, wie sie es ihrer Gehilfin gegenüber in privaten Angelegenheiten war, wäre ich bestens aufgeklärt gewesen." Hertrich bekam einen kleinen Betrag erstattet. Sie habe, entschuldigte sich die Praxis, als Patientin bei der Behandlung wohl nicht im Mittelpunkt gestanden.

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