Brexit:Brexit, zweiter Akt

Brexit: Die britische Premierministerin Theresa May, Kommissions-Chef Jean-Claude Juncker und EU-Unterhändler Michel Barnier beim gemeinsamen Frühstück in Brüssel.

Die britische Premierministerin Theresa May, Kommissions-Chef Jean-Claude Juncker und EU-Unterhändler Michel Barnier beim gemeinsamen Frühstück in Brüssel.

(Foto: Eric Vidal/AFP)

Und es wird nicht leichter: Bislang haben die verbleibenden 27 EU-Staaten geschlossen verhandelt. Das könnte sich ändern, wenn es nun um die Wirtschaftsbeziehungen geht.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

"Nichts ist vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist" - so steht es auf der ersten Seite des gemeinsamen Berichts der EU-Verhandler und der britischen Regierung. Auf den 14 folgenden Blättern haben sie die Ergebnisse ihrer Gespräche zusammengefasst. Die Staats- und Regierungschefs müssen bei ihrem EU-Gipfel in der kommenden Woche formal noch zustimmen. Dann kann die nächste Phase der Brexit-Verhandlungen beginnen. Eines steht jetzt schon fest: Einfacher wird es ganz sicher nicht. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Warum ist die Irland-Frage noch immer sehr heikel?

Wohl nirgendwo ist die Rolle der Europäischen Union als Friedenswerk von so praktischer Bedeutung wie in Irland. Die Mitgliedschaft sowohl des Vereinigten Königreiches als auch der Republik Irland hat den Rahmen geschaffen für die Befriedung Nordirlands. Die EU ist Garant des Karfreitagsabkommens von 1998. Der Brexit bedroht also nicht nur das grenzenlose Reisen und Wirtschaften in Irland, sondern gefährdet schlimmstenfalls sogar den Frieden.

In ihrer Vereinbarung bekennen sich das Vereinigte Königreich und die EU dazu, alle Errungenschaften des Abkommens erhalten zu wollen. Die irische Regierung verlangte Garantien dafür und übte deshalb zuletzt sehr viel Druck aus. London "garantiert", dass eine "harte" Grenze zwischen Nord und Süd verhindert werden soll. Vorzugsweise hätten die Briten gerne eine Handelsvereinbarung mit der EU, die so eine Grenze unnötig macht. Das gilt aber als fast illusorisch, solange die Briten den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen wollen. Die Vereinbarung enthält daher eine ganze Reihe von Rückversicherungen für die Iren. So will London notfalls "spezifische" Lösungen für Nordirland vorschlagen.

Falls es keine Einigung gibt, soll die "volle Angleichung" an jene Regeln des Binnenmarktes erhalten bleiben, die für die Nord-Süd-Kooperation und die Wirtschaft in Irland wichtig sind. Das ist ein enorme Zusage, denn in der Konsequenz blieben erhebliche Teile des EU-Rechts so in Kraft. Auch ein Sonderstatus für Nordirland wäre möglich, wiewohl May behauptet, die Integrität des Vereinigten Königreiches bleibe gewahrt.

Wie steht es um die Rechte der EU-Bürger, die auf der Insel leben?

Etwa 3,5 Millionen EU-Bürger leben in Großbritannien, mehr als eine Million Briten in anderen Staaten der EU. Sie haben vielfach ihre ganze Existenz auf die Gewissheit gebaut, als Bürger der EU in der EU zu leben. Die Vereinbarung soll ihnen nun die Sicherheit geben, dass sie ihr Leben so fortführen können wie bisher. Sie genießen weiter uneingeschränktes Aufenthaltsrecht, können ihre Angehörigen nachholen und werden etwa bei der Sozialversicherung nicht benachteiligt. Die EU hat Wert darauf gelegt, dass auf EU-Bürger keine kostspieligen bürokratischen Prozeduren zukommen. Besonders schwierig war die Frage der Rechtssicherheit. Die Vereinbarungen werden in britische Gesetze überführt und vor britischen Gerichten einklagbar sein. Beachten sollen die britischen Gerichte dabei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Acht Jahre lang sollen sie ihn zurate ziehen können.

Wie viel kostet das Vereinigte Königreich nun die Scheidung?

EU-Chefunterhändler Michel Barnier vermied es von Anfang an, eine genaue Summe zu nennen. Auch am Freitag weigerte er sich, darauf eine Antwort zu geben. Ein Sprecher der britischen Premierministerin Theresa May gab sich weniger zugeknöpft und bezifferte die Schlussrechnung auf 40 bis 45 Milliarden Euro. In Brüssel war intern stets von bis zu 60 Milliarden Euro die Rede gewesen. Nun haben sich beide Seiten auf die Methodik der Berechnung geeinigt. Großbritannien wird 2019 und 2020 weiter seine Beiträge zum EU-Haushalt zahlen - ganz, als ob es weiter Mitglied wäre. Doch auch danach ist das Königreich noch zu Zahlungen verpflichtet, die vor dem Brexit eingeplant worden waren - etwa langfristige Strukturprogramme.

Wie soll das Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien künftig aussehen?

Großbritannien will nach dem Brexit nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes oder der Zollunion sein. "Wenn man das zugrunde legt, was bleibt dann übrig?", fragte Barnier und gab gleich selbst die Antwort: "Nur eins: ein Freihandelsabkommen nach kanadischem Modell." Doch so schnell wird das nicht gehen. Mit Kanada verhandelte die EU mehr als sieben Jahre. Am Ende drohte der Ceta-Vertrag gar am Veto der belgischen Region Wallonie zu scheitern. Eine mögliche Alternative wäre ein Bündel von Einzelabkommen nach Schweizer Modell. Die britische Regierung dürfte vor allem darauf erpicht sein, den Finanzplatz London zu erhalten. Ein Abkommen à la Ceta wird der britischen Regierung nicht viel helfen, denn Kapitalmärkte tauchen in dem Abkommen mit Kanada gar nicht auf.

Wie geht es jetzt weiter?

Weil sich die Gespräche über ein Handelsabkommen Jahre hinziehen können, wird es nach dem offiziellen Brexit-Austrittsdatum eine Übergangsphase geben. Im Gespräch sind bislang zwei Jahre, in denen Großbritannien aber weiter alle Pflichten einer EU-Mitgliedschaft akzeptieren muss - dazu würden dann auch die Personenfreizügigkeit und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zählen. "Wir haben unsere Bedingungen", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Freitag. Er wird kommende Woche beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs die sogenannten Guidelines zur Abstimmung stellen. Diese sind die formale Voraussetzung für Barniers Team, die Verhandlungen über die künftige Beziehung aufzunehmen.

Das Ziel in Brüssel ist klar: Bis Oktober 2018 soll es einen Austrittsvertrag im Sinne von Artikel 50 des EU-Vertrags geben. Dem muss, neben allen Mitgliedsstaaten, auch das Europäische Parlament zustimmen. Das alles dauert, und so hat Barnier einen zeitlichen Puffer vorgesehen, um pünktlich zum 29. März 2019 fertig zu werden. Am Tag darauf wird Großbritannien nicht mehr Mitglied der Europäischen Union sein, sondern ein sehr spezieller Drittstaat. Doch auch nach dem offiziellen Abschied aus der EU wird der Brexit die Mitgliedsstaaten noch lange beschäftigen. Ob die bislang gewahrte Einheit dann aufrechterhalten kann, ist zweifelhaft. Denn bislang hatte die EU ein gemeinsames Interesse: die Scheidung so abzuwickeln, dass kein Mitgliedsstaat dadurch Nachteile hat. Bei den nun folgenden Verhandlungen ist das anders. Wirtschaftsstarke Länder wie Deutschland und die Niederlande haben in Großbritannien andere Interessen als etwa Griechenland oder Bulgarien.

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