Gesundheit:Warum es richtig ist, Zahnärzten mehr Geld zu geben

Patienten auf den Nerv fühlen: Zahnärzte müssen gut beraten können

Zahnärzte klagen schon länger über ein veraltetes Abrechnungssystem.

(Foto: dpa-tmn)

Die Kommerzialisierung in den Praxen ist zu einem Problem geworden - sie verunsichert Patienten und untergräbt das Vertrauen in die Ärzte. Das liegt auch am ziemlich reformbedürftigen Vergütungssystem.

Kommentar von Hans von der Hagen

Kein Mensch geht gern zum Arzt. Immer schwingt die Sorge vor unangenehmen Diagnosen und Schmerzen mit. Besonders gefürchtet ist der Zahnarzt. Konnte die Furcht früher recht konkret an Bohrer und Zange festgemacht werden, hat sich längst eine zweite Sorge hinzugesellt: Wie teuer wird es dieses Mal? Die Kommerzialisierung in den Praxen ist zu einem Problem geworden - sie verunsichert Patienten und untergräbt das Vertrauen in die Ärzte. Das Rezept dagegen? Ja, womöglich mehr Geld.

Die Diskussion um Kommerzialisierung und Ethos in den Praxen begleitet die Ärzte seit Langem. Das belegt schon ein Zitat des Mediziners Hermann Kerschensteiner aus dem beginnenden 20. Jahrhundert, das immer dann hervorgeholt wird, wenn Ärzte über ihr Verhältnis zum Patienten sinnieren: "Der ärztliche Beruf ist wunderlicher Natur, und immer wieder haben geistvolle Köpfe darüber nachgedacht, was eigentlich an diesem Gemisch von Wissenschaft, Kunst, Handwerk, Liebestätigkeit und Geschäft das Wesentliche ist."

Die Zahlungen der Kassen werden jährlich erhöht, die privat abgerechneten Anteile nicht

In vielen Praxen wird darüber allerdings gar nicht mehr nachgedacht - für manche ist die Frage beantwortet: Wesentlich ist das Geschäft. Und es stimmt ja auch, Personal muss genauso bezahlt werden wie die Miete für die Praxis, die Instrumente und natürlich das eigene Gehalt. Das Problem ist: Die Patienten hoffen, dass ihre Gesundheit im Zentrum der Bemühungen steht und der Doktor nicht allein das Geschäft im Blick hat. Gerade bei den Zahnärzten, wo Patienten oft zuzahlen müssen und nicht immer kontrollieren können, was genau in ihrem Mund geschieht. Immerhin verpflichtet sich die Ärzteschaft in ihren Gelöbnissen und Berufsordnungen zum Dienst am Patienten.

"Ach kommen Sie", antworten Standesvertreter dann schon mal. Die Patienten seien doch längst aufgeklärt und könnten sich wehren: Viele sähen sich die Bewertungen im Netz an und verglichen dort Diagnosen und Therapievorschläge, außerdem könnten sie Kostenvoranschläge verschiedener Praxen einholen. Bei einer Autoreparatur mache man das doch auch so. Autoreparatur? Ist der Arztbesuch nur noch das?

Gewiss, die Patienten hatten viel Zeit, sich an die Kommerzialisierung in den Praxen zu gewöhnen. Der Zuzahlungsreigen begann schon Ende der Achtzigerjahre, weil die Kassen damals der Kosten nicht mehr Herr wurden. Seither bezahlen Patienten Teile ihrer Behandlung selbst, so wie es in vielen anderen Ländern auch der Fall ist. Dieses Vorgehen war sinnvoll, denn es hat geholfen, die Versorgung durch die Krankenkassen bei der Zahnbehandlung noch immer auf einem vergleichsweise hohen Niveau zu halten, ohne dass die Beiträge völlig ausuferten. Und: Die Deutschen achten angesichts der hohen Kosten mehr auf ihre Zähne.

Aus Kassen- wurden langsam Privatpatienten

Aber die Änderungen verwandelten eben auch über die Jahre Kassen- in Privatpatienten, was manche überfordert, weil die privaten Rechnungen nicht leicht zu entschlüsseln sind. Hinzu kommt: Viele Zahnärzte sind unzufrieden mit ihren Einkommen. Seit 2005 erhalten sie von den Kassen für die Behandlung nur noch Festbeträge, zudem ist das Vergütungssystem erstaunlich planwirtschaftlich organisiert: Die von den Kassen vergüteten Leistungen werden nach einer anderen Gebührenordnung abgerechnet als jene Leistungen, die von privaten Versicherungen oder den Patienten direkt gezahlt werden.

Und während die Zahlungen der Kassen jährlich erhöht werden, verharren die privat abgerechneten Anteile auf dem Preisniveau vergangener Jahrzehnte. Der Grund dafür: Die Entscheidungshoheit für die private Abrechnung liegt bei der Bundesregierung. Und die hat schon wegen der privat versicherten Beamten kein Interesse daran, die Vergütungen der Zahnärzte in die Höhe zu treiben.

Die große Mehrheit der Praxen dürfte die Spielräume bei der Rechnungsstellung trotzdem nicht ausnutzen, auch wenn die Zahnärzte unisono über die veraltete Gebührenordnung murren. Einige treiben aber die Kommerzialisierung dann offenbar doch ein bisschen entschlossener weiter und optimieren Rechnungen, wo es geht, um ein aus ihrer Sicht angemessenes Einkommen zu erzielen - und schlagen Behandlungen mit fragwürdigem Nutzen vor oder steigern Rechnungsbeträge mit eigenwilligen Begründungen. Korrekt ist das natürlich nicht, gleichwohl sind derlei Auswüchse auch ein Signal dafür, dass die private Abrechnung tatsächlich reformbedürftig ist. Erst vor Kurzem forderte die Bundeszahnärztekammer deutlich mehr Geld. Wenn das im Gegenzug zu einer transparenteren und faireren Abrechnung führt, dann gilt: Recht hat sie.

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