Sondierungen von Union und SPD:Anders weiter

Das Sondierungspapier umreißt ein in weiten Teilen respektables Koalitionsprogramm. Den Preis dafür zahlen die Flüchtlinge. Europapolitisch ist der GroKo-Text ein Soufflé - viel Luft, wenig Substanz.

Kommentar von Heribert Prantl

Die 28 Seiten muss man nicht in den Papierkorb werfen. Man muss sie aber auch nicht einrahmen. Dieses Sondierungspapier ist ein ordentliches, in bestimmten Teilen sogar respektables, in manchen Teilen aber auch beschämendes Arbeits- und Verhandlungsprogramm für die Koalitionsgespräche.

Dieses Papier hat Licht- und Schattenseiten. Auf der Schattenseite stehen die Flüchtlinge. Sie zahlen den Preis für die Koalition; man kann wirklich nicht sagen, dass die SPD mit Herzblut für sie gekämpft hätte. Das hat die CSU getan - gegen die Flüchtlinge; und sie hat sich durchgesetzt.

Davon abgesehen ist das Sondierungspapier ein soziales Papier, auch wenn die Bürgerversicherung nicht kommen wird. Es wird viel mehr Geld als bisher in Pflege und Gesundheit fließen, die paritätische Finanzierung ist positiv; die neue Familienförderung ist vorbildlich, das Recht auf Ganztagsbetreuung in der Schule ist respektabel, der Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit und die Solidarrente ebenso.

Weit, weit weg von Macron

Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern erhält also einen neuen Stups, die Renten werden sicherer und lebenstauglicher, weil die Grundrente deutlich über der Grundsicherung liegen wird. Es gibt künftig viel mehr Kindergeld und das Kinderrecht wird im Grundgesetz verankert. Das ist nicht nichts. Das ist schon ziemlich viel. Da ist vieles dabei, was schon lange notwendig ist.

Ergebnisse der Sondierungsgespräche von Union und SPD

"Wir wollen eine stabile und handlungsfähige Regierung bilden, die das Richtige tut" schreiben die Sondierer in ihrem Abschlusspapier. Lesen Sie das 28-seitige Dokument hier.

Die Steuerpolitik freilich - da setzt sich das alte Kleinklein fort. Und in der Europa-Politik: Da finden sich schöne Worte, aber keine Kraft und wenig Konkretes. Zwischen dem Brandenburger Tor und dem Eiffelturm liegen etwas mehr als 1000 Straßenkilometer. Aber zwischen den EU-Konzepten des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem Sondierungspapier der künftigen großen Koalition liegen fünftausend Kilometer

Das ist schade. 2019 sind die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament. Spätestens diese Europawahl wird die Antwort geben müssen auf die neuen Nationalismen und Aggressivpopulismen. Antworten findet man nicht viele in diesem Sondierungspapier. Europapolitisch ist es ein Soufflé. Viel Luft, wenig Substanz.

Zu viele Gummiformeln

Aber auch das Gute in diesem Papier - etwa in den Passagen zu Gesundheit und Pflege - wird erst dann wirklich gut, wenn Gummiformeln durch belastbare Präzisierungen ersetzt werden. Wo liegen, zum Beispiel, die Untergrenzen für Pflegepersonal in den Abteilunge der Heime? Solche weiche Stellen gibt es ganz, ganz viele in diesem Sondierungspapier. Da haben die drei Parteien bei den Koalitionsgesprächen noch Konkretisierungsarbeit vor sich - ansonsten wird der Klärungsbedarf Jahre dauern, länger jedenfalls als die GroKo amtiert.

Dieses Sondierungspapier ist besser als das, was die Gegner einer großen Koalition befürchtet haben. Über dem Papier steht nicht "Weiter so". Über dem Papier steht: "Anders weiter". Das ist nicht ganz schlecht. Bitter ist der Abbau der Flüchtlingsrechte. Diese Bitterkeit wird auch von einem Einwanderungsrecht nicht gemildert.

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