Strom für Smartphones:Afrikas Kampf gegen leere Handy-Akkus

Für viele Afrikaner ist das Smartphone so wichtig wie Strom, Wasser oder Toiletten. Aber oft fehlt die Möglichkeit, es aufzuladen. Das treibt Ingenieure und Entwickler zu Innovationen an.

Von Tahir Chaudhry und Tanja Grenzer

Jeder kennt solche Momente: Der letzte Balken verschwindet, die Leuchte blinkt bedrohlich rot - bald ist der Akku leer. Ärgerlich, aber solange Ladekabel und Steckdose in der Nähe sind, ist das in den europäischen Industrieländern nicht weiter tragisch. Anders sieht die Situation in Subsahara-Afrika aus. Laut dem britischen Marktforschungsinstitut Ovum nutzten 2016 fast 294 Millionen Afrikaner Smartphones, in den vergangenen drei Jahren verdoppelte sich ihre Zahl. Und 2021 sollen es bereits mehr als 900 Millionen sein. Mehr und mehr Menschen in Afrika profitieren vom digitalen Fortschritt, doch es gibt einen Haken.

Südlich der Sahara leben fast 70 Prozent der Bevölkerung ohne Strom. Wie aber sollen die vielen Smartphones aufgeladen werden, wenn die überwiegende Mehrheit der Nutzer keinen Zugang zu Strom hat? Kein Strom bedeutet nicht nur leere Akkus, sondern auch weniger Produktion, weniger Mobilität und eine mangelnde Wasser- und Lebensmittelversorgung. Und wenn Krankenhäusern der Strom fehlt, entscheidet das über Leben und Tod. Je nach Reichtum des jeweiligen Staates variiert die Elektrifizierungsrate in Afrika stark.

Der Kontinent hat enorme Ressourcen, doch die Energieversorgung klappt nicht

Während in Südafrika der Großteil der Bevölkerung mit Strom versorgt ist, haben im Südsudan die wenigsten Menschen Zugang zu Elektrizität. Es ist paradox: Ein Kontinent, der über enorme Energieressourcen wie Erdöl, Erdgas oder Sonnenenergie verfügt, kann sich nicht ausreichend mit Energie versorgen. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Viele Staaten haben ihre Wirtschaft seit der Kolonialisierung sehr einseitig auf den Export ausgerichtet und sind damit Preisschwankungen am Weltmarkt ausgeliefert. Hinzu kommt, dass Korruption und sich selbst bereichernde Eliten nach wie vor keine Seltenheit sind. Demokratische und rechtsstaatliche Strukturen sind nicht ausreichend gefestigt, um eine faire Teilhabe aller Menschen zu gewährleisten.

Gleichzeitig ist der Energiebedarf in Subsahara-Afrika enorm gestiegen. Laut Unicef werden bis 2050 zwei Milliarden Babys geboren werden - die Bevölkerungszahl würde sich gegenüber heute verdoppeln. Schon jetzt ist Strom vergleichsweise teuer, weil die Energieanlagen ineffizient arbeiten. Es gibt zu wenige Großkraftwerke und so gut wie kein Stromnetz, um die ländlichen Gebiete zu versorgen. Wenn doch, ist die Technik veraltet oder die Infrastruktur wegen mangelnder Wartung zusammengebrochen oder zumindest instabil. Stromdiebstahl ist weit verbreitet.

Trotz dieser ungünstigen Rahmenbedingungen verzeichnet Afrika ein rasantes Wachstum im Mobilfunkmarkt. Wie ist das möglich?

Mitte der 2000er-Jahre haben vor allem asiatische Mobilfunkanbieter früh auf das Geschäft in Afrika gesetzt. Sie bauten Mobilfunknetze auf, um das enorme Marktpotenzial abzuschöpfen. Dort vertriebene Smartphones sehen zwar wie westliche Premium-Modelle aus, tatsächlich verfügen sie jedoch über weniger Leistung. Das ermöglicht den günstigen Preis. Bisher dominieren chinesische Hersteller den Smartphone-Markt. Die vergleichsweise billigen internetfähigen Geräte sind schon für unter 35 Euro erhältlich. Für den Großteil der Bevölkerung sind sie dennoch unerschwinglich. Ein südafrikanisches Start-up, Onyx Connect, will das ändern und noch günstigere Modelle auf afrikanischem Boden produzieren. Die Region profitiert auf diese Weise vom Smartphone-Boom, da die Mobilfunkbranche Arbeitsplätze schafft. Bis 2020 sollen sechs Millionen Menschen in diesem Sektor beschäftigt sein.

Auf der Prioritätenliste kommt mittlerweile für viele Afrikaner das Smartphone noch vor Elektrizität, Wasser, Toiletten oder gar Lebensmitteln. Es ist die günstigste Tür zum Internet und eröffnet vielen einen Zugang zu Information und Bildung. Ingenieure und Informatiker entwickeln momentan Hard- und Software, die eine geringe Bandbreite und weniger Rechenleistung brauchen und dadurch die Akkulaufzeit verlängern.

Andreas Spiess ist Chef und Gründer des Unternehmens Solarkiosk AG mit Sitz in Berlin, das sich darauf spezialisiert hat, Energie in netzferne Gegenden zu bringen. Seit etwa zehn Jahren investiert er in erneuerbare Energien in den Ländern südlich der Sahara. Er erkannte das Problem mit dem Aufladen der Smartphones. "Viele Menschen in ländlichen netzfernen Gebieten müssen stunden-, manchmal tagelang laufen, um zu einem Ort zu kommen, der Strom hat und wo sie ihr Handy laden können, oft gegen horrende Gebühren von bis zu 50 Euro-Cent", sagt Spiess. Zusammen mit Partnern konzipierte er in jahrelanger Entwicklungsarbeit eine solarbetriebene Box, den sogenannten Solarkiosk. Etwa 250 davon gibt es inzwischen, größtenteils in Ostafrika. So ein Kiosk ist ein modulares und erweiterbares Gebäude in Leichtbauweise, in das ein kleines Solarkraftwerk mit ein bis vier Kilowatt Leistung integriert ist.

Dort kann man nicht nur sein Handy aufladen, sondern auch Solarprodukte oder solarbetriebene Services kaufen: Surfen im Internet, gekühlte Getränke, drucken oder kopieren. "Pro Kiosk haben wir im Schnitt um die 25 000 Kunden, weil die Produkte und Lösungen made in Germany in den Gebieten konkurrenzlos sind", sagt Spiess. Nach einer neuen Finanzierungsrunde will die Solarkiosk AG weltweit weitere Kioske aufstellen.

Erneuerbare Energien sind auch wirtschaftlich gesehen eine interessante Alternative

Die Kosten für deren Technologie sinken stetig. Deshalb sind erneuerbare Energien auch aus wirtschaftlicher Perspektive eine zunehmend interessante Alternative zur herkömmlichen Energiegewinnung. In Afrika geht es vor allem um Solarenergie. Sie ist nicht nur die effektivste Lösung, sondern auch die flexibelste, da sie sowohl durch ein Kraftwerk als auch durch ein mobiles Modul gewonnen werden kann. Biogas- oder Windkraftanlagen können dagegen durch Wetterphänomene wie Dürre oder Windstille zum Stillstand kommen.

Anders als hierzulande, wo der gesamte Ökostrom ins öffentliche Netz eingespeist wird, werden in ländlichen Gebieten Afrikas dezentrale, autarke Stromsysteme für einzelne Dörfer und Gemeinden eingerichtet. Da Solarmodule auf dem Dach oder Solar-Tower vor dem Haus für die wenigsten Menschen dort erschwinglich sind, gibt es Mini-Lösungen: Solarkocher, Solarkühlboxen, Solar-Wasseraufbereitungsgeräte, Solarmotoren oder auch Solarrucksäcke für Schüler, die damit tagsüber auf dem Schulweg Solarlampen laden, um am Abend ihre Hausaufgaben machen zu können.

620 Millionen Menschen können nicht warten, bis Stromnetze gebaut werden

Auf diese Weise wird der afrikanische Kontinent das Stromnetzzeitalter überspringen, so wie er auch schon das Festnetz- und das Desktop-Zeitalter übersprungen hat. Statt auf flächendeckende Datenleitungen hinzuarbeiten, setzte man auf den Ausbau des Mobilfunks und bezahlbare Smartphones.

Gleichwohl: Bleibt es bei der gegenwärtigen Entwicklungsgeschwindigkeit, wird es laut dem Thinktank African Progress Panel erst 2080 möglich sein, alle Einwohner Subsahara-Afrikas mit Strom zu versorgen. Heute sind 620 Millionen Menschen ohne Strom. "Sie können nicht warten, bis Stromnetze gebaut werden", sagt Kofi Annan, ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen und Vorsitzender des Thinktanks. Seine Kernbotschaft: Es gibt die Hoffnung, das Tempo der Elektrifizierung erheblich zu erhöhen. Statt Energie zu importieren, liege die Chance in kleinen Lösungen. Annan ist überzeugt: Wer Afrika mit Strom versorgen will, muss auf erneuerbare Energien in unabhängigen kleinen Regionalnetzen setzen. Bis 2025 könnten auf diese Weise 50 Prozent der ländlichen Bevölkerung einen Zugang zu Strom erhalten.

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