Sterbehilfe:Straftat oder Akt der Menschlichkeit

Gesundheitsminister fordert bessere Sterbebegleitung zu Hause

Eine Pflegerin reicht einem krebskranken Patienten ein Glas Wasser. Dem Recht auf Sterbehilfe sind in Deutschland enge Grenzen gesetzt.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Ein Gutachten des Ex-Verfassungsrichters Udo Di Fabio erneuert den Streit über die Frage, ob der Staat unheilbar Kranken beim Sterben helfen darf.

Von Wolfgang Janisch und Kristiana Ludwig, Berlin/Karlsruhe

Ist der Tod käuflich? In Bonn beschäftigt sich zurzeit eine deutsche Behörde mit dieser Frage. Denn mehr als 80 Menschen haben beim Bundesinstitut für Arzneimittelforschung und Medizinprodukte, kurz Bfarm, im vergangenen Jahr beantragt, ihnen den Erwerb von tödlichen Medikamenten zu erlauben. Nun hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zu dieser Frage erneut Stellung bezogen. Eine staatliche Behörde dürfe "niemals Helfershelfer einer Selbsttötung werden", sagte er. Deshalb müsse der Bundestag nun das Betäubungsmittelgesetz verschärfen.

Die Abgeordneten hatten bereits im Jahr 2015 eine Gewissensentscheidung getroffen. Damals untersagten sie eine "geschäftsmäßige" und auf Wiederholung angelegte Sterbehilfe. Vereine oder Ärzte dürfen demnach keine Beihilfe zum Suizid als Dienstleistung anbieten. Mit diesem neuen Straftatbestand drohen ihnen bis zu drei Jahre Haft, wenn sie etwa einem unheilbar Krebskranken geschäftsmäßig ein tödliches Medikament gewähren. Allein Angehörige des Kranken oder ein Mensch, der ihm "nahesteht" - so heißt es im Gesetz - bleiben straffrei, wenn sie bei der Beschaffung eines tödlichen Mittels helfen.

Di Fabio zweifelt nicht das Recht auf Selbsttötung an. Aber der Staat dürfe nicht assistieren

Dann aber urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im vergangenen Jahr, dass auch der Staat unter gewissen Bedingungen verpflichtet sei, einem "schwer und unheilbar kranken Patienten" zu helfen, sein Leben freiwillig zu beenden. Das Bfarm reagierte, indem es seinerseits ein Rechtsgutachten in Auftrag gab, bei dem ehemaligen Verfassungsrichter Udo Di Fabio. Seine 119 Seiten starke Analyse veröffentlichte die Behörde am vergangenen Montag, sie enthält einige apodiktische Aussagen: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei "verfassungsrechtlich nicht haltbar", schreibt Di Fabio. Es gebe keine "Schutzpflicht" des Staates, einem Sterbewilligen den Zugang zum tödlichen Gift zu verschaffen. Di Fabio, Professor in Bonn, stellt nicht in Abrede, dass die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen auch sein Recht auf Selbsttötung umfasst. Der Staat dürfe aber nicht die Hand dazu reichen, es gebe kein Recht auf staatliche Assistenz zum Suizid. Und zwar deshalb, weil ansonsten ein "absoluter Selbstbestimmungsanspruch die sozial-ethischen Grundentscheidungen einer demokratischen Gesellschaft zur Seite drängt".

Sozial-ethische Grundentscheidungen? Der wortmächtige Jurist, seit seinem Ausscheiden aus dem Karlsruher Gericht Ende 2011 ein begehrter Redner und Gutachter, meint damit ein staatliches Leitbild, das jeglicher Förderung des Suizids diametral entgegensteht. In dieselbe Richtung zielt das jüngste Gesetz zur Strafbarkeit geschäftsmäßiger Sterbehilfe.

Di Fabio führt zur Bekräftigung dieses Leitbilds sogar noch das Euthanasieprogramm der Nazis ins Feld - als Argument dafür, dass die in diesen Dingen besonders sensible Bundesrepublik einer "schleichenden Etablierung einer Kultur der Euthanasie" frühzeitig vorbeugen wolle. Wie weit die Würde des Menschen reicht, definiert sich laut Di Fabio mithin aus dem "Kontext" des Staates, der seine Hilfe zur Selbsttötung verweigert, "und zwar aus prinzipiellen Gründen der Lebensachtung und der Prävention." Soll heißen: Zwar duldet der Staat den Suizid - aber jeder stirbt für sich allein.

Nun mag man Di Fabios Ansatz für fragwürdig oder - wie offenbar Gröhe es tut - für überzeugend halten. Allerdings handelt es sich um nicht mehr als um die Meinungsäußerung eines Ex-Richters, der dafür wahrscheinlich ein ordentliches Honorar erhalten hat. Das Urteil, das er angreift, ist dagegen von der obersten Instanz gefällt worden. Es ist rechtskräftig und verbindlich für das Bundesinstitut. Daran kommt man in einem Rechtsstaat schwerlich vorbei.

Der Gesundheitsminister will deshalb jetzt das Betäubungsmittelrecht ändern. Schafft man neue Paragrafen, läuft das Urteil möglicherweise ins Leere. Ein Verfassungsanspruch auf das tödliche Mittel ließe sich dann nur noch beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe durchsetzen.

Die wirklich heikle Frage aber ist: Was geschieht in der Zwischenzeit mit den 83 Menschen, die beim Institut eine Ausnahmegenehmigung beantragt haben? Nach geltendem Recht haben sie - unter den engen Voraussetzungen des Gerichtsurteils - einen wirksamen Anspruch. Daran ändert auch das Gutachten nichts. Ein sol-cher Anspruch ist auch einklagbar. Die Betroffenen müssten den mühsamen Weg durch die Instanzen antreten.

Di Fabio hat für Gröhe jedoch noch eine weitere Idee parat. Sie nimmt sich geradezu ketzerisch aus: Der Minister könnte das Urteil erst einmal durch einen "Nichtanwendungserlass" aushebeln. Dieses Instrument kennt man bisher nur aus dem Steuerrecht, und dort ist es hoch umstritten: Der Bundesfinanzminister verfügt bisweilen, höchstrichterliche Urteile des Bundesfinanzhofs schlicht nicht anzuwenden. Di Fabios Empfehlung läuft also auf eine Anleitung zum Rechtsungehorsam hinaus. Dass ein ehemaliger Verfassungsrichter einem amtierenden Minister die Missachtung eines höchstrichterlichen Urteils empfiehlt, ist tatsächlich eher ungewöhnlich.

Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, sagte, das Gutachten mache abermals deutlich, "dass solche Fragen nicht durch Gerichte geklärt werden können, nicht einmal durch das Bundesverfassungsgericht". Auch er sagt, das Parlament müsse jetzt handeln. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hält dagegen. Das Bundesverfassungsgericht solle für Klarheit sorgen, forderte er.

Im Bundestag sprechen sich mittlerweile auch Abgeordnete anderer Parteien für eine Neuregelung der Sterbehilfe aus. Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus plädiert für eine Korrektur des Strafrechts: Der Paragraf, der vor zweieinhalb Jahren beschlossen wurde, habe "zu Unsicherheit geführt und sollte deshalb geändert werden", sagt sie.

Petra Sitte von der Linksfraktion war im Sommer 2015 eine derjenigen, die für ein liberaleres Gesetz plädiert hatten. Heute sagt sie: "Wenn Herr Gröhe das Betäubungsmittelgesetz verschärft, unterläuft er die Entscheidung des Bundestags zur Sterbehilfe von vor zwei Jahren, indem er den Zugang zu Medikamenten erschwert." Denn Familienmitglieder dürfen schließlich laut Gesetz ihren Angehörigen beim Sterben helfen. Sitte schlägt vor, dass künftig statt einer Behörde eine Ethikkommission entscheiden könnte, ob Menschen Zugang zu tödlichen Medikamenten bekommen.

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