Grenzen der Entwicklungshilfe:Afrika muss sich selbst helfen

Schmutzige Hände: Umweltschützer tauchen bei einer Protestaktion gegen den niederländisch-britischen Konzern Shell ihre Finger in Öl.

Einnahmen aus Rohstoffen sind ein Vielfaches höher als die Entwicklungsgelder.

(Foto: George Esiri/dpa)

Der Anspruch, die armen Länder der Welt durch Entwicklungs­hilfe zu retten, ist viel zu ambitioniert. Zumal Einnahmen aus Rohstoffen ein Vielfaches höher sind.

Gastbeitrag von Klaus Stocker

Seit so viele Flüchtlinge nach Europa kommen, sind die Chancen groß, dass Entwicklungspolitik zur Chefsache wird, einige hoffen sogar auf einen Marshallplan. Sie übersehen dabei, dass in den vergangenen 55 Jahren bereits eine Billion Dollar Hilfsgeld allein nach Afrika geflossen sind. Warum stellt niemand die Frage, ob es wirklich einen Marshallplan braucht? Hilft viel Geld viel?

Tatsache ist, dass es bereits heute nicht genügend Projekte für das vorhandene Geld gibt. Projekte, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, benötigen eine sensible Planung und Vorbereitung. Das braucht Zeit und kann nicht nach dem Gießkannen-Prinzip erfolgen, vor allem, wenn die Verwaltung in einem Land korrupt ist.

Nun werden Experten darauf hinweisen, dass sich in Jahrzehnten der Entwicklungszusammenarbeit die Zahl der Analphabeten und die Kindersterblichkeit reduziert, die Lebenserwartung erhöht und sich Wasser- und Stromversorgung verbessert haben. Das ist tatsächlich so, und es wäre unfair, das nicht auch den Entwicklungsbemühungen der reichen Staaten zuzurechnen.

Aber vielleicht wären diese Fortschritte auch erzielt worden, wenn es Entwicklungszusammenarbeit nicht gegeben hätte, weil die Regierungen der Empfängerländer dann gezwungen gewesen wären, selbst mehr Geld in die Entwicklung zu stecken und weniger Waffen zu kaufen? Der Rückzug des Westens aus Somalia hat allerdings gezeigt, dass auch das Gegenteil passieren kann, deshalb sollte man vorsichtig mit vorschnellen Folgerungen sein. Entwicklungsarbeit kann auch helfen, Regionen zu stabilisieren.

Rimbert Hemmer, einer der Altväter der deutschen Entwicklungswissenschaften, spricht von einem Mikro-Makro-Paradoxon: Trotz vieler guter und erfolgreicher Projekte im Kleinen ist es nicht gelungen, die betroffenen Länder insgesamt aus der Armut herauszuführen. Anders ausgedrückt: Entwicklungshilfe beschränkt sich auf Reparaturen an der Schiffsmaschine, ohne zu fragen, wohin der Kapitän das Schiff steuert.

Während kein Fall bekannt ist, in dem viel Geld viel geholfen hätte, gibt es stattdessen eine Reihe von Negativbeispielen in rohstoffreichen Ländern wie Nigeria, dem Kongo oder auch Angola, deren Einnahmen aus Rohstoffexporten das zigfache des Entwicklungsgeldes betragen und deren Entwicklung dennoch alles andere als positiv verlaufen ist.

Entwicklungshilfe unbedeutend im Vergleich zu Erdöl-Einnahmen

Beispielsweise betrugen im Jahr 2014 Nigerias Öleinnahmen 85,6 Milliarden Dollar, Migranten überwiesen etwa 20 Milliarden Dollar an ihre Familien und Freunde in der Heimat; dem stand Entwicklungshilfe in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar gegenüber. Obwohl Nigeria damit eines der Länder ist, die am meisten Entwicklungsgeld erhalten, sind diese Mittel im Vergleich zu den Einnahmen aus dem Ölgeschäft unbedeutend. Trotzdem ist Nigeria noch ein armes Land.

In dieser Situation befinden sich viele rohstoffreiche Entwicklungsländer. Auch in den Kongo fließen enorm hohe Summen für Rohstoffexporte, die allen möglichen Gruppierungen, aber nicht der Masse der Menschen im Land zugute kommen. Nimmt man das ölreiche Angola noch hinzu, dann lebt in diesen rohstoffreichen drei Ländern fast ein Drittel der Einwohner Afrikas südlich der Sahara. Erdöl, Gas, Gold, Kupfer, Kobalt, Coltan sind Rohstoffe, mit denen auch viele andere Länder Afrikas reich gesegnet sind.

Motto "Fluchtursachen beseitigen" löst Probleme nicht

Einige Experten wie der amerikanische Ökonom William Easterly sehen in Afrika südlich der Sahara sogar einen negativen Zusammenhang zwischen Entwicklungsgeld und Wachstum. Hier kommt es allerdings darauf an, welchen Zeitraum man zugrunde legt. Vergleicht man die Daten der Sechziger- und Siebzigerjahre mit heutigen Daten, kommt man zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass sich die Hilfen pro Kopf in Relation zu den Einkommen etwa verzwölffacht haben, während das Wirtschaftswachstum eher nach unten ging.

Man muss aber auch sehen, dass die Entwicklungstransfers keineswegs so bedeutend sind, wie oft angenommen wird: In Afrika liegt nach den Zahlen der Weltbank von 1960 bis heute der Anteil dieser Zuwendungen nur bei zwei Prozent des kaufkraftgewichteten Volkseinkommens. Die Transferzahlungen Deutschlands für die neuen Bundesländer waren in 20 Aufbaujahren pro Kopf annähernd 100 Mal höher als die Hilfen für Afrika.

Grenzen der Entwicklungshilfe: Klaus Stocker, 69, emeritierter Professor für Internationale Finanzierung an der Technischen Hochschule Nürnberg, war Projektmanager einer Entwicklungsbank und Berater von Entwicklungsinstitutionen.

Klaus Stocker, 69, emeritierter Professor für Internationale Finanzierung an der Technischen Hochschule Nürnberg, war Projektmanager einer Entwicklungsbank und Berater von Entwicklungsinstitutionen.

(Foto: oh)

Angesichts dieser Relationen fragt man sich, ob der Anspruch, die Welt zu retten, nicht ein paar Nummern zu groß ist. Kann man mit Entwicklungsgeld, selbst wenn man die Summen verdoppeln oder verdreifachen würde, tatsächlich weltweit den Klimawandel verhindern, erneuerbare Energien für jedes Dorf bereitstellen, Wohlstand mehren, Frauen emanzipieren, Kinderarbeit verhindern, Handwerk fördern und für Milliarden Menschen all das erreichen, was gut, schön und erstrebenswert ist? Sollten die reichen Staaten hier nicht etwas bescheidener und realistischer sein?

"Wer Afrika wirklich helfen will, darf das nicht mit Geld tun", glaubt der kenianische Ökonom James Shikwati. Der Starökonom Daron Acemoğlu und der Harvard-Politologe James Robinson kommen in ihrem Buch "Warum Nationen scheitern" zu dem Ergebnis, dass Entwicklung nur mit inklusiven Strukturen und nicht in einem Umfeld von Korruption und Vetternwirtschaft möglich ist. Die Forderung nach Inklusion bezieht sich nicht nur auf die oberste Politikebene, sondern vor allem auf Rechtssicherheit, Eigentum, freie Märkte und vor allem darauf, dass den arbeitenden wie auch unternehmerisch tätigen Menschen die Früchte ihrer Anstrengungen zugutekommen müssen.

Verantwortung liegt bei Regierungen der Entwicklungsländer

Wer die Machtverhältnisse besonders in Afrika kennt, der weiß, dass so etwas keine Aufgabe ist, die so einfach mit dem Motto "Fluchtursachen beseitigen" zu erledigen ist. Leider wird Entwicklungspolitik aber vom Westen wie auch neuerdings von China als Instrument benutzt, politischen und wirtschaftlichen Einfluss auszuüben.

Solange das so ist und solange immer wieder Ausreden gefunden werden, warum man korrupte Regime unterstützen soll, werden die Entwicklungsbemühungen allenfalls bescheidene Erfolge aufzeigen. Diese Erfolge werden aber allein schon durch das immense Bevölkerungswachstum aufgezehrt werden, das im Übrigen eher eine Fluchtursache darstellt als der Klimawandel.

Angesichts der relativ geringen Bedeutung der Entwicklungshilfe im Vergleich zu den Erlösen aus Rohstoffgeschäften und den Überweisungen von Migranten ist es wenig hilfreich, mit dem Finger auf den Westen zu zeigen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat recht, wenn er die Verantwortung vor allem bei den Regierungen und Eliten der Entwicklungsländer sieht.

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