Pflege:Es fehlt der Mut zum großen Wurf

Was die wohl künftige große Koalition als großen Wurf in Sachen Pflege verkauft, wird zu keinerlei Verbesserungen führen. Zu einer wirklichen Reform sind die Politiker der beteiligten Parteien weder willens noch fähig.

Pflege: SZ-Zeichnung: Jan Rieckhoff

SZ-Zeichnung: Jan Rieckhoff

"Alarm am Lebensabend" vom 2. Februar:

0,6 Stellen pro Heim

Es gehört schon eine Portion Dreistigkeit dazu, die Einigung in Sachen Pflege von CDU/CSU und SPD als Erfolg zu verkaufen. Auch wenn dies die Ikone der SPD, Malu Dreyer, mit ihrem Lächeln versucht. 8000 zusätzliche Stellen (in welchem Zeitraum und woher?) ergeben 0,6 Stellen pro Heim. Bessere Bezahlung der Pflegekräfte ist erfreulich und notwendig, doch wer zahlt? Die zu Pflegenden und/oder deren Angehörige? Was verbessert sich für BewohnerInnen in den Heimen? Nichts!

Seit über 30 Jahren ist die Misere in der Pflege bekannt. Und alle Politiker verweisen stets und ständig auf die demografische Entwicklung, auf unsere alternde Gesellschaft. Zu einer echten Reform, zu Lösungen, wie etwa in Skandinavien, ist man nicht willens und fähig.

Ich selbst (75 Jahre, ohne Kinder und Geschwister und sehr krank) kümmere mich noch täglich in einem auswärtigen Heim schon seit dreieinhalb Jahren um meine Frau und bin allein drei Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Für meine Mutter, eine Kriegswitwe mit kleiner Rente, habe ich binnen fünf Jahren als einziger Sohn etwa 50 000 Euro berappt, und für meine Frau schon wieder mehr als 80 000 Euro. Alle Politiker, mindestens die, die es wissen wollten oder von Amts wegen wissen sollten, haben bisher grob fahrlässig gehandelt. Nicht das Richtige bzw. Ausreichende zu tun ist gar vorsätzlich, da sie die Probleme kennen. Ich kann nur sagen: Schämt euch! Wolfgang Schneider, Altrip

Kaputt gemacht

"Pflegekräfte einstellen, Rentenbeitrag deckeln" vom 1. Februar: Ich bin gespannt, wann unsere Politiker endlich begreifen, dass es keine Pflegekräfte mehr gibt, die man einstellen kann. Unser Berufsstand wurde in den letzten zwanzig Jahren systematisch kaputt gemacht. Schon jetzt müssen Einrichtungen schließen, weil vorhandene Planstellen nicht besetzt werden können. Dieser Punkt der Koalitionsverhandlungen ist absolut nichts wert, wird zu keinerlei Verbesserungen führen, ist nur Makulatur. Laura R. Bauer, Berlin, Ex. Krankenschwester

Durch die Mangel gedreht

"Aufopferung" ist das passende Worte für alle Angestellten in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Hospizen, ambulanten Pflegediensten und die Angehörigen, die Verwandte pflegen. Die Angestellten werden zu wenig unterstützt durch das Einstellen weiterer Kollegen, häufen eine schlecht bezahlte Überstunde nach der anderen an, können diese nicht abbauen, weil nicht genug Personal vorhanden ist, und sollen allen Ernstes nach getaner Arbeit zufrieden nach Hause gehen, da ein Teil ihres Lohns aus Glück durch die Hilfe an anderen Menschen bestünde?! Ein einfacher Anreiz für mehr Personal in diesen Bereichen wären höhere Löhne und ein klares Signal der Betreiber und der Politik, dass man in diesen Betrieben nicht aus Kostengründen so lange durch die Mangel gedreht wird, bis nichts mehr von einem da ist. Wer jetzt reflexartig nach der Finanzierung fragt, hat die Problematik nicht erkannt.

Ein weiteres riesiges Problem ist die Pflege von Angehörigen zu Hause. In vielen Fällen ist dies ein 24-Stunden-Job an sieben Tagen der Woche und so vielen Tagen im Monat, wie dieser hat. Der lächerlich kurze Urlaub, der durch die Krankenkassen gewährt wird, und die hanebüchene Vergütung machen es einem allerdings leichter, seine Verwandten ins Heim zu geben. Ich bitte um Verzeihung für meinen Zynismus, der über Jahre mit Verwandten in Pflegeheimen und vor allem der Pflege zu Hause gedeihen konnte. Stefan Ninnig, St. Ingbert

Mär vom schönen Lebensabend

Ich möchte Heribert Prantl, dessen Ausführungen schonungslos aufzeigen, in welche Lage uns die Ökonomisierung der Pflege seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 gebracht hat, in einem Punkt widersprechen: Der "behagliche Lebensabend" war schon immer eine Mär und galt allenfalls für die, die aktiv davon berichten konnten. Schwer- und Schwerstpflegebedürftigkeit war noch nie behaglich, weder vor 30 Jahren noch heute. Nur wollte das vor 30 Jahren schon niemand wissen und heute erst recht nicht. Pflegebedürftigkeit findet in der öffentlichen Wahrnehmung nur dann statt, wenn sie außer Kontrolle gerät. Ein Großteil der Menschen in unserem Land schiebt diese Frage für sich selbst so lange vor sich her, bis sie sich plötzlich stellt. Mithin zu spät. Zu ändern wäre das nur, wenn es im Leben jedes Bundesbürgers immer wieder zu Berührungspunkten mit dem Thema "Pflegebedürftigkeit im Alter" ganz generell und mit dem Thema "Sterben" im Besonderen käme. Das ist jedoch nicht der Fall. So bleibt die Materie ein Spezialthema für die Fachleute und für diejenigen, auf deren Rücken die historischen Versäumnisse ausgetragen werden: die Pflegerinnen und Pfleger.

Es ist angesichts bereits heute unbesetzter Stellen im höheren Zehntausenderbereich in der Pflege nahezu nicht zu glauben, dass es die Politik als Erfolg anpreist, weitere 8000 Stellen zu schaffen, die ebenfalls nicht besetzt werden können. Aus dieser defätistischen Gemengelage heraus wird es zum Super-GAU kommen: Jede/r Bundestagsabgeordnete, die/der mit Gleichgültigkeit, Desinteresse und Mutlosigkeit aktiv zu diesem Desaster beigetragen hat, wird sich in nicht allzu ferner Zukunft in einer ganz persönlichen Gewissensentscheidung Gedanken über die Legalisierung aktiver Sterbehilfe machen müssen. Peter Reil, Erlangen

Schlechte Vorbilder

Vor der Pflege kommt die Aufzucht. Die dort erworbenen Erfahrungen und Prägungen sind grundlegend für alles Weitere: Erziehe deine Kinder so zu Selbständigkeit, Bescheidenheit und Einsatzbereitschaft, wie du gerne erzogen worden wärst! Geschieht dies heute? Lernen unsere wenigen

Kinder durch Vorbild in Familie, Krippe, Kindergarten und Schule Geduld, reale Aufmerksamkeit, Selbständigkeit und Empathie mit sich selbst, ihrem eigenen Körper, ihren Nächsten und ihrem Umfeld? Erleben unsere Kinder die Zuwendung und die Vorbilder, die sie motivieren, sich aktiv einzusetzen und später so wenig wie möglich anderen zur Last zu fallen? Die ihnen die Augen und Ohren öffnen für die Not der Anderen, Schwächeren, Behinderten und Alten? Frühe Leistungsorientierung, Elite- und IT-Förderung, aggressives Konsummarketing und unkontrollierbarer Medieneinfluss lassen nichts Gutes für die künftig wirklich Pflegebedürftigen erwarten. Dr. Norbert M. Hien, München

Viertes Gebot

Du sollst Vater und Mutter ehren (und pflegen gehört auch dazu), auf dass es ihnen wohlergehe und sie lange leben auf Erden, so das Vierte Gebot. Doch wer kennt heute noch die Zehn Gebote!? Und handelt danach? Jeder lebt und stirbt für sich allein, entspricht schon eher heutiger Wirklichkeit. Dieser Erkenntnis gilt es gegenzusteuern. Es ist hilfreich und motivierend, den Kant'schen Imperativ in der Abwandlung zum gerontologischen Imperativ vor Augen zu haben: Pflege die alten Menschen so, wie du im Alter auch gepflegt werden willst! Es gibt nichts Gutes, außer du tust es! Der brave Mensch denkt an sich selbst zuletzt. Der Glaube daran versetzt Berge! Harald Dupont, Ettringen

Haltung und Stellung

Im Kommentar "Von Schrauben und Menschen" vom 1. Februar liest man den Satz: "Pfleger bekommen fürs Hintern-Abwischen nur einen Hungerlohn." Es ist gut zu verstehen, dass der Autor die Meinung vertritt, dass Pfleger besser bezahlt werden sollten. Der Satz schließt sich aber einer weit verbreiteten Haltung an, die eben eine bessere gesellschaftliche und finanzielle Stellung der Pfleger verhindert. Ihre Arbeit wird als "Hintern-Abwischen" angesehen. Ihre Arbeit wird durch die idiotischen und unwürdigen Zeitregelungen (zehn Minuten für dies, fünf Minuten für das) bezahlt, wobei ihre eigentliche berufliche Tätigkeit vor allem eine fürsorgliche ist, die sowohl zwischenmenschliche wie praktische Aspekte umfasst. Daher ist der oben kritisierte Satz unwürdig, schockierend und trägt zu den bedauerlichen Umstände bei, die im Artikel kritisiert werden. François Bry, München

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