SPD:Widerstand gegen abgesprochene Machtübergabe

  • Mit Andrea Nahles könnte erstmals eine Frau den Vorsitz der SPD übernehmen - zunächst zumindest kommissarisch. Doch es werden Bedenken an dem Verfahren laut.
  • In der Debatte um die Nachfolge von SPD-Chef Schulz hat die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange ihre Kandidatur angekündigt. Lange kritisiert, dass das Amt des Parteichefs "nicht von einer kleinen Gruppe intern festgelegt werden" dürfe.
  • Auch weitere SPD-Mitglieder melden Bedenken an, darunter der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen.

Die Pläne der SPD-Spitze zur raschen Übergabe des Parteivorsitzes an Andrea Nahles stoßen intern zunehmend auf Widerstand. Nachdem die Parteilinke eine Urwahl gefordert hatte, gibt es jetzt auch rechtliche Bedenken gegen eine kommissarische Übernahme des SPD-Vorsitzes durch Nahles.

Zudem kündigte die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange überraschend ihre Kandidatur für den SPD-Bundesvorsitz an. Das geht aus einem Schreiben Langes an den Bundesvorstand der Sozialdemokraten hervor. Darin wirbt sie für eine "Basiskandidatur". Sie wolle "den Mitgliedern wieder eine Stimme geben und sie an diesem Entscheidungsprozess ernsthaft beteiligen", erklärte die 41-Jährige.

Lange schrieb in dem Brief weiter, sie wolle den Mitgliedern das Gefühl geben, "dass sie es sind, die die Stimmung und die Richtung der Partei bestimmen". Das Amt des Bundesvorsitzenden sei von weitreichender Bedeutung für die gesamte Partei und das gesamte Land und dürfe nicht von einer kleinen Gruppe intern festgelegt werden. Eine Einzelkandidatur, die von Funktionsträgern beschlossen und ohne große Diskussion durchgewinkt werde, könne kein Zeichen für einen Aufschwung oder einen Neuanfang sein. Sie werde nur das Ohnmachtsgefühl vieler bestätigen.

Damit könnte Lange gegen Fraktionschefin Andrea Nahles antreten.

Wird Nahles schon heute kommissarische Parteichefin?

Präsidium und Vorstand der Sozialdemokraten wollen am Nachmittag über das weitere Vorgehen beraten. Erwartet wird, dass der bisherige Vorsitzende Martin Schulz dort seinen sofortigen Rückzug verkündet. Die Spitzengremien könnten dann beschließen, Nahles zur kommissarischen Parteichefin zu ernennen. Sie müsste dann binnen drei Monaten formal auf einem Parteitag gewählt werden. Die SPD-Fraktionschefin wäre die erste Frau an der Parteispitze.

Dieser Plan stößt aber auch rechtlich auf Bedenken. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD zeigte sich irritiert. Es wundere ihn, dass Nahles "sofort, wenn auch nur kommissarisch, den Parteivorsitz übernehmen will", sagte Harald Baumann-Hasske der Welt. "Dafür gibt es satzungsmäßig keine Grundlage, dies ist in unseren Statuten nicht vorgesehen." Nahles könnte "Entscheidungen von großer Tragweite", etwa zu den Parteifinanzen, "auf dieser Basis keinesfalls treffen". Der Rechtsanwalt sagte der Welt weiter: "Die SPD-Führung will jetzt Geschlossenheit erzeugen und dabei auf die üblichen Vertretungsregelungen für den Vorsitzenden verzichten, obwohl es sechs stellvertretende Vorsitzende gibt."

Auch in der Berliner SPD formiert sich Medienberichten zufolge Widerstand. Nach Informationen des RBB war der Landesvorstand am Montagabend nahezu einhellig der Auffassung, dass zunächst einer der Stellvertreter von Schulz die Partei führen sollte. Dies sei kein Votum gegen Nahles. Es sollten aber vor einem möglichen Parteitag keine Tatsachen geschaffen werden, berichtete auch die Berliner Morgenpost.

Schulz hatte zunächst angepeilt, sich erst nach dem SPD-Mitgliederentscheid über den Eintritt in eine weitere große Koalition von der Parteispitze zurückzuziehen und an Nahles zu übergeben. Nötig wird der schnellere Wechsel, weil die Personalquerelen um Schulz drohen, die Befragung zu überlagern. Schulz hatte nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit der Union - entgegen vorheriger Aussagen - angekündigt, er wolle Außenminister in einem schwarz-roten Kabinett werden und den Parteivorsitz abgeben. Auf großen Druck hin erklärte er aber kurz darauf seinen Verzicht auf den Ministerposten.

"Die SPD kann nicht führungslos bleiben"

Der Parteienforscher Oskar Niedermayer hält es für "definitiv besser, wenn erst mal einer der Stellvertreter kommissarisch die Amtsgeschäfte von Martin Schulz übernehmen würde". Der Frankfurter Rundschau sagte er, Schulz und der Vorstand hätten viel von der Erneuerung der Partei gesprochen. Dabei hätten sie immer wieder deutlich gemacht, dass es mehr Mitwirkungsmöglichkeiten für die einzelnen Mitglieder geben solle - auch in Personalfragen. Jetzt wieder alles im kleinen Kreis auszumachen und einem Parteitag die Lösung einfach nur vorzusetzen, das erzeuge großen Unmut an der Basis. In Zeiten des Mitgliedervotums sei dies "brandgefährlich", so Niedermayer.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer unterstützte die mögliche Ernennung von Nahles. "Die SPD kann nicht führungslos bleiben. Es war deshalb richtig, dass Martin Schulz den Vorschlag gemacht hat, dass Andrea Nahles kommissarisch die Parteiführung übernimmt", sagte Dreyer. "Für ihre Bereitschaft, die SPD in dieser schwierigen Zeit zu leiten, bin ich ihr dankbar, und ich bin sicher, dass sie diese Aufgabe gut meistern wird." Auch SPD-Vize-Chefin Manuela Schwesig stärkte Nahles in der Rheinischen Post den Rücken.

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