Umstrittener Schutzbügel:Heiligenschein für Formel-1-Fahrer

Williams Formula One Launch

Weißer Bügel vor schwarzem Hintergrund: Die Präsentation des FW41 geriet für viele Besucher zur Enttäuschung. Gezeigt wurde nicht der Rennwagen, sondern nur ein Foto des Rennwagens.

(Foto: REUTERS)
  • Williams präsentiert den Rennwagen für die Formel-1-Saison 2018 - inklusive Halo-Schutzbügel.
  • Der Bügel soll die Fahrer schützen: Kräften von 15 g soll er widerstehen und im Falle eines Überschlags als zweiter Überrollbügel wirken.
  • Dennoch ist um die Schutzvorrichtung eine heftige Debatte entbrannt.

Von Philipp Schneider

Der erste Eindruck? Schwarz. Sehr viel Schwarz. Wie auf einer Beerdigung. Die alte Lagerhalle im Londoner Szene-Treffpunkt Village Underground ist abgedunkelt wie bei einer Filmpremiere. Und eine Filmpremiere gibt es in der Tat, sehr zur Enttäuschung der geladenen Gäste, die einen wahrhaftigen Rennwagen erwartet hatten. So zum Anfassen. Claire Williams, die Teamchefin des drittältesten Rennstalls der Formel-1-Serie, hat am Donnerstagabend geladen, um gemeinsam mit ihrem im Vorjahr von Mercedes gewechselten Technikchef Paddy Lowe das Auto für die kommende Saison vorzustellen. Physisch ist der Williams FW41 allerdings nicht anwesend. Es gibt nur Fotos von ihm, die ein Projektor in der Lagerhalle auf eine Leinwand wirft.

Der Williams ist auch 2018 wieder weiß lackiert, der Hintergrund ist schwarz, der Kontrast ist also maximal. Normalerweise wird der Blick des Betrachters bei so einer Präsentation als erstes auf technische Innovationen gelenkt, auf neue Anbauteile, auf erstaunlich hässlich geratene Flügel und Nasen, auf Design-Pannen. Am Donnerstagabend blicken die Gäste in London auf einen massiven Bügel, der sich oberhalb des Cockpits spannt.

Von der Seite sieht er aus wie ein Überrollbügel. Von oben betrachtet wird der Rennwagen optisch zu einer Art Flip-Flop, einer Havaiana für Riesen. Inklusive Spange, die sich zwischen den großen Zeh und den Zeigezeh spannt. Vielleicht also war es keine gute Idee von Williams, das neue Sicherheits-Anbauteil der Formel 1 weiß zu lackieren und vor schwarzem Hintergrund auszustellen. Es soll ja Leute geben, die den Anblick des sogenannten "Halo" kaum aushalten.

Andererseits, die Zuschauer müssen sich ohnehin gewöhnen an den Heiligenschein, den sich die Formel 1 zu dieser Saison verordnet hat, und der vor allem die Köpfe der Fahrer vor fliegenden Teilen schützen soll. Wegen der Einführung des Halo stöhnen Motorsport-Puristen schon seit Monaten, und das Gestöhne wird sich noch steigern bis zum ersten Rennen in Melbourne am 25. März. Den ersten Höhepunkt wird es erfahren am kommenden Donnerstag, wenn Mercedes und Ferrari in Silverstone und Maranello zeitgleich ihre neuen Rennwagen präsentieren. Dann gibt es nicht länger nur Projektionen, sondern Heiligenscheine zum Anfassen.

Die Einführung des Halo berührt das Wesen der Formel 1, ihre DNA. Die Diskussion ist heftiger als bei der Einführung des Kopf-und-Schulterschutzes "Hans" im Jahr 2003. Denn, so befürchten viele: Am Ende stünde als sicherste Variante konsequenter Weise ein Dach. Die Formel 1 ist allerdings seit jeher eine Freiluftveranstaltung, das gilt auch für die Fahrer. Mercedes-Teamaufsichtsrat Niki Lauda, der kürzlich auch die Abschaffung der sogenannten Grid-Girls kritisiert hatte ("wie dumm kann man sein?"), sieht die Formel 1 seit der Halo-Entscheidung auf Abwegen. "Man muss in einer solchen Frage die richtige Entscheidung treffen. Der Halo ist die falsche", urteilte er. Der Haas-Pilot Kevin Magnussen versuchte, eine komplexe Debatte auf einen vermeintlich simplen Wesenskern herunterzubrechen: "Was scheiße aussieht, ist auch scheiße." So einfach ist es nicht. Rechtlich betrachtet ist der Heiligenschein ziemlich alternativlos.

Kräften von 15 g soll der Halo widerstehen

Die Fia, der Automobilweltverband, hatte sich selbst unter Druck gesetzt, mit einer Erklärung vor zwei Jahren, man habe jetzt mit Halo ein System, das die Sicherheit für die Fahrer um 17 Prozent erhöhe. Diese 17 Prozent, diese Stochastik, schweben seitdem über den Rennstrecken. Und so kommt es, dass die Verantwortlichen im Falle eines Unfalls Klagen befürchten müssten. Die Fia ist diesbezüglich sehr sensibel, seit die Familie des 2014 in Suzuka verunglückten Jules Bianchi Rechtsmittel gegen den Verband eingereicht hat.

Der 15-fachen Schwerkraft soll der Halo widerstehen und im Falle eines Überschlags als zweiter Überrollbügel wirken. Vor allem aber soll er den Kopf der Fahrer schützen. Vor neun Jahren verunglückte Felipe Massa in seinem Ferrari, als in Ungarn eine Metallfeder bei voller Fahrt an seinen Helm krachte. Er zog sich schwere Kopfverletzungen zu und lag einige Zeit im Koma. Im gleichen Jahr verstarb der Formel-2-Pilot Henry Surtees nach einem Unfall in Brands Hatch. Ein Hinterrad hatte sich an einem Wagen vor ihm gelöst, war über die Strecke gehüpft und dann an den Helm von Surtees, der das Bewusstsein verlor und in die Leitplanke fuhr. 2014 war Bianchi in einen Bergungskran gekracht, er erlag später seinen Kopfverletzungen. Und in der verwandten IndyCar-Serie in den USA verstarb 2015 Justin Wilson, nachdem ihm ein Teil einer Fahrzeugnase gegen den Helm gekracht war.

Kritiker befürchten, lose Kleinteile könnten vom Halo so abgelenkt werden, dass sie den Fahrer am relativ ungeschützten Oberkörper treffen. Doch die meisten Piloten, darunter sind auch Sebastian Vettel und Fernando Alonso, haben sich zuletzt sehr aufgeschlossen gezeigt gegenüber dem neuen Sicherheits-Bügel.

Für die Ingenieure ist der Halo eine Herausforderung. James Allison, Technikchef bei Mercedes, erklärte, dass der Titan-Bügel nicht einfach auf ein bestehendes Auto gesetzt werden konnte. "Wir mussten das Design des Chassis so verstärken, dass es ungefähr das Gewicht eines Doppeldeckerbusses aushält, der auf dem Halo liegt", verriet Allison. Dies sei eine "beträchtliche Herausforderung" gewesen - vor allem wegen des Gewichts, das dafür an anderer Stelle wieder eingespart werden musste.

Was wäre die Alternative? Jene Variante, die derzeit in der IndyCar-Serie getestet wird, der "Shield". Eine transparente Schutzscheibe aus Kunststoff, die in der Tat weniger optische Wucht hätte. Dass diese Idee in der Formel 1 wieder verworfen wurde, lag auch an Vettel. In Silverstone drehte der Ferrari-Pilot ein paar Runden mit einem Prototypen, anschließen klagte er, ihm sei schwindelig geworden, das Glas habe seine Sicht verzerrt. "Es war als würde man schielend durch die Gegend fahren." Das wollte dann auch niemand.

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