Bundesregierung:Die Drei von der Baustelle sprechen von großen Aufgaben

Merkel, Seehofer und Scholz werben in Berlin für die große Koalition. Die Kanzlerin antwortet auf heftige Kritik mit dem üblichen Gleichmut. Und greift dann doch zu einem bemerkenswerten Satz.

Von Stefan Braun, Berlin

Da stehen sie also und melden Vollzug. Lächelnd Horst Seehofer, sehr kontrolliert Angela Merkel, kühl schmunzelnd Olaf Scholz. Der Vertrag der neuen Koalition wird am Nachmittag unterschrieben. Das Bündnis aber möchte sich schon jetzt präsentieren. Das Trio will weg vom Suchen, will endlich regieren. Wie sagt es die Kanzlerin gleich zu Anfang der Pressekonferenz: "Alle haben das Gefühl, dass es Zeit ist, endlich anzufangen."

Nach mehr als fünf Monaten; nach der längsten Regierungsfindung in der Bundesrepublik will das neue Trio an der Spitze der Regierung nicht mehr "reden und streiten", wie Scholz sagt, sondern mit der "gewohnten Ernsthaftigkeit und dem notwendigen Pragmatismus vorangehen". Zuversicht ist unverzichtbar in solchen Zeiten. Genau die wollen die drei offenkundig ausstrahlen.

Was bitter nötig scheint, jedenfalls nach dem, was vorher stattfand. Schon am Vormittag nämlich waren die meisten anderen Parteien aufgetreten, die im Bundestag nun endgültig als Opposition Platz nehmen. Und sie fanden, kurz gesagt, kein gutes Wort für das neue Bündnis. FDP-Chef Christian Lindner erklärt, der Vertrag sei schon aus der Zeit gefallen, bevor die neue Regierung überhaupt im Amt ist. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock betont, man werde die "Finger in die Wunden legen" bei allen Lücken, die der Vertrag lasse. Und AfD-Chef Alexander Gauland kritisiert die Pläne der neuen Bundesregierung in der Migrationspolitik.

Merkel antwortet auf all das mit dem üblichen Gleichmut. Sie sei optimistisch, dass die Sache gut werde. Immerhin sei man auf einem guten Weg und habe gute Dinge beschlossen. Die Anwürfe der Opposition - sie sollen abprallen an der geballten Erfahrung.

An einer Stelle, spät in der Pressekonferenz, fügt sie allerdings einen Satz an, der ungewöhnlich klingt für eine Kanzlerin, die seit zwölf Jahren an der Macht ist: "Wir müssen viele Dinge vollkommen neu denken." Denn: "Alles verändert sich. Da können wir nicht so tun, als könnten wir einfach weitermachen."

Ein bemerkenswerter Satz ist das für eine Kanzlerin, die sich zwar oft hinterfragt, aber das nur selten öffentlich zur Diskussion stellt. Es zeigt, wie sehr das Wahlergebnis vom 24. September dann doch bei allen drei Parteien größeres Nachdenken ausgelöst hat. Merkel redet mehr als einmal davon, dass das Wohlfahrtsversprechen immer wieder neu gegeben und bestätigt werden, der Wohlstand also bei allen ankommen müsse. Seehofer betont wieder und wieder, dass dieser Koalitionsvertrag "in seiner sozialen Dimension so breit aufgestellt" sei wie keiner vorher. Und auch Scholz bemüht die Geschichte. Er erinnert an die großen Leistungen der SPD zu Beginn der Industrialisierung. Was so viel heißen soll wie: Auch dieses Mal werden wir diese Aufgabe nicht vergessen.

Was alle drei damit betonen wollen: Auch sie haben inzwischen verstanden, dass die Digitalisierung der Gesellschaft nicht nur eine Frage des Breitbandausbaus ist. Sie wird das Leben der meisten Menschen viel stärker verändern, als sie es bisher spüren. Das Einzige, was sie spüren, ist die Unsicherheit, die sich für sie inzwischen mit all den Fragen verbindet.

Deshalb verspricht Scholz, dass sich die SPD mit ihm und der künftigen Parteivorsitzenden Andrea Nahles - "Wir waren beide schon mal Arbeitsminister!" - um die damit einhergehenden Veränderungen besonders kümmern werde. Seehofer verweist an der Stelle schnell auf das neue Heimatministerium; nach seinen Worten soll dieses helfen, wachsende Ungleichheiten zu bekämpfen. Und ja, selbst Merkel spricht wieder und wieder davon, dass man den Zusammenhalt neu sichern müsse.

Mag sein, dass die drei Parteien diese Probleme lange vernachlässigt haben. An diesem Mittag im März aber wollen sie beweisen, dass sie sich ändern können. Bemerkenswert ist das auch deshalb, weil ansonsten bei diesem Auftritt doch vieles bleibt wie es ist. Seehofer spricht über innere Sicherheit und klare Positionen; Scholz verspricht, dass man das Land gerechter machen werde, "Schritt für Schritt, Tag für Tag". Und Merkel vermeidet es mit Blick auf die anstehenden Reformen in Europa, besonders konkret zu werden. Und natürlich tut sie es mit dem Verweis darauf, dass es nun mal "kompliziert wird, wenn man in die Details geht".

Eines freilich fällt auch da auf: Alle drei, die sich gut kennen, haben derzeit wirklich so gar kein Interesse daran, in neuen Streit zu verfallen. Das dürfte am ehesten erklären, warum Seehofer als neuer Innenminister vergleichsweise sanft auftritt. Und warum Scholz beim Thema Europa zwar mehr möchte, vor allem auch mehr Solidarität Richtung Frankreich - aber dann doch reichlich verschwommen bleibt, weil an der Stelle sowieso neue Diskussionen fällig werden.

Kleine Sticheleien spart sich Scholz für andere auf, die Wissenschaft zum Beispiel. Oder die Medien. Die nämlich könnten die Lage "einfach nur beschreiben". Politik müsse darüber hinausgehen. Müsse also entscheiden, Beschlüsse fassen, handeln. Und das sei nun mal "eine ganz besondere Aufgabe".

Wie sagt es die Kanzlerin, ganz zu Anfang: "Die Menschen wollen einen handlungsfähigen Staat." Darum geht es.

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