Krise:Nichts wie weg

Die Inflation schießt in die Höhe, die politische Unterdrückung nimmt weiter zu. Warum viele Ägypter am liebsten auswandern würden.

Von Moritz Baumstieger

Autokratische Regime bieten ihren Untertanen oft eine Art Handel an: Sie enthalten den Bürgern Rechte vor, sorgen dafür aber zumindest für die Chance auf etwas Wohlstand. In China ist das zum Beispiel so. Oder sie vermitteln ein Gefühl von Sicherheit und nationaler Größe, wie es etwa Wladimir Putin den Russen zu geben versucht. In seiner Heimat funktioniere derzeit aber nicht einmal dieser Deal, sagt der ägyptische Soziologe Amro Ali, der an der American University in Kairo lehrt: "Versprochen wurden Stabilität, Sicherheit und Entwicklung - wirklich geliefert hat die Regierung davon aber bisher nichts."

Die To-do-Liste, die Präsident Abdel Fattah al-Sisi aus seiner ersten Amtszeit mit in seine mutmaßlich zweite nehmen wird, ist tatsächlich lang. Seine Regierung hoffte, durch Megaprojekte wie die Erweiterung des Suezkanals Wirtschaft und Staatsfinanzen anzukurbeln. Doch nach oben ging seit seiner Wahl 2014 vor allem ein Index: die Inflationsrate. Sie stieg von zwölf auf zeitweise 35 Prozent, Ende 2016 sah sich die Regierung gezwungen, den Wechselkurs für das ägyptische Pfund freizugeben. Eine massive Abwertung folgte. Der Soziologe Amro Ali beobachtet seither eine Verarmung der Mittelschicht - eine breite Masse von Ägyptern, die eigentlich gute Jobs habe und Hoffnungen für die Zukunft hege, könne sich diese nicht mehr erfüllen.

Wie stark die anhaltende Wirtschaftskrise aber die Unterschicht trifft - fast 28 Millionen Ägypter leben unter der Armutsgrenze -, ist am Mindestlohn ablesbar: Seit 2013 liegt der bei 1200 Pfund, was damals etwa 174 Dollar entsprach. Heute notiert der Gegenwert noch bei 68 Dollar, gleichzeitig sind viele Güter durch den Abbau von Subventionen teurer geworden: Der Preis eines Liters Benzin stieg von 1,8 auf fünf Pfund, der eines Kilo Hackfleischs von 53 auf 145 Pfund.

Immerhin, die Arbeitslosenquote ging zurück: von 13,2 auf 11,6 Prozent

Eine leicht positive Entwicklung lässt sich bei der Arbeitslosigkeit feststellen: Lag die Quote bei Sisis Amtsantritt noch bei 13,2 Prozent, beträgt sie heute offiziell 11,6 Prozent. Selbst wenn die Erholung anhalten sollte, dürfte sie aber bald von der Bevölkerungsentwicklung aufgefressen werden: Fast 105 Millionen Ägypter gibt es nach dem Zensus von 2017, 95 Millionen davon leben in Ägypten. Die Bevölkerung hat sich also in 30 Jahren mehr als verdoppelt.

Das Bevölkerungswachstum sei für Ägypten so gefährlich wie der Terrorismus, sagte Sisi daraufhin. Und der bedroht Ägypten trotz der von der Regierung angekündigten "größtmöglichen Härte" nach wie vor enorm: Vor allem im Norden der Halbinsel Sinai sieht sich der Staat von einem Aufstand lokaler Beduinenstämme herausgefordert. Sie wurden jahrzehntelang vernachlässigt, eine der militanten Gruppen hat Ende 2014 der Terrormiliz IS die Treue geschworen. Das Militär führt dort mittlerweile Krieg mit Bombardements und Bodentruppen. Aber auch Mitglieder der nun verbotenen Muslimbruderschaft haben sich im Untergrund radikalisiert und verüben Anschläge im Kernland.

Amro Ali, der Soziologe, zieht ein pessimistisches Fazit: Er sieht wachsende Verzweiflung. Schon früher sei das Leben in Ägypten hart gewesen, doch die Leute hätten an eine bessere Zukunft geglaubt. "Diese Hoffnung haben die meisten verloren." Viele würden lieber heute als morgen das Land verlassen.

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