Übergriffe auf Juden:Deutschland muss dem Antisemitismus widerstehen

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Immer häufiger wurden jüngst Juden aufgrund ihrer Kippa Opfer von Beschimpfungen. (Foto: picture alliance / dpa)

Es ist nicht Aufgabe der Juden im Land, die Judenfeindschaft zu bekämpfen; es ist Aufgabe des gesamten Staates und seiner Bürger.

Kommentar von Matthias Drobinski

Furchtbarerweise ist es nicht neu, dass Juden beschimpft, bespuckt, geschlagen werden, wenn sie mit der Kippa auf dem Kopf durch die Straßen bundesdeutscher Großstädte gehen. Neu ist, dass nun einer einen solchen Angriff mit dem Handy aufgezeichnet und ins Netz gestellt hat; jetzt kann jeder sehen, wie ein junger Mann mit dem Gürtel den Filmenden attackiert und "Yahudi" ruft, arabisch für "Jude". Die Geschichte, die der Angegriffene erzählt, macht den Vorgang noch bedrückender: Er sei gar kein Jude, sondern israelischer Araber; er habe nicht glauben wollen, dass es in Berlin gefährlich sei, mit der Kopfbedeckung der frommen Juden auf die Straße zu gehen. Er habe die Kippa aufgesetzt - und schon sei es passiert.

Dass nun die Protagonisten des öffentlichen Lebens den Antisemitismus von Zuwanderern wie von eingesessenen Judenfeinden verurteilen, kann man als ritualisiert abtun. Es gibt aber notwendige Ritualisierungen in einer Demokratie. Es ist nicht Aufgabe der Juden im Land, die Judenfeindschaft zu bekämpfen; es ist Aufgabe des gesamten Staates und seiner Bürger. Der Grad der Menschlichkeit einer Gemeinschaft zeigt sich in ihrer Empfindlichkeit gegenüber Menschen, die wegen ihrer Religion, Hautfarbe, sexueller Orientierung angegriffen werden; sie zeigt sich darin, dass auch die Abgründe der eigenen Geschichte nicht aus dem kollektiven Gedächtnis gedrängt werden. Die Gürtelschläge treffen diese beiden Empfindlichkeiten.

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Der 19-Jährige, der am Dienstag zwei kippatragende Männer in Berlin angegriffen haben soll, sitzt in Untersuchungshaft. Er hatte sich der Polizei gestellt.

Debatten über Tabus sind Empfindlichkeitsübungen

Die Empfindlichkeit der nicht betroffenen Mehrheit gegenüber einer wie auch immer bedrohten, mit Vorurteilen bedachten oder ins Abseits gedrängten Minderheit ist nie selbstverständlich. Sie ist Ausdruck einer Kultur, die immer wieder erarbeitet und erstritten werden muss - gegen die Versuchung des Einzelnen und des Kollektivs, der Amnesie zu verfallen, der Empfindungs- und Gedächtnislosigkeit gegenüber den Bedrängten. Sie muss erstritten werden gegen die Versuchung der Gewöhnung und der Abstumpfung: Sind die nicht irgendwo doch selber schuld? Die Juden am Antisemitismus, weil die Israelis so schlecht mit den Palästinensern umgehen? Auch deshalb ist es gut, dass die Texte der Rapper Kollegah und Farid Bang einen Skandal ausgelöst haben: Wer den Fettgehalt seines durchtrainierten Körpers mit dem von Auschwitzinsassen vergleicht, stößt an ein Tabu. Und Debatten über Tabus sind Empfindlichkeitsübungen.

Solche Empfindlichkeitsdebatten werden umso wichtiger, je stärker auf der politischen Rechten die Unempfindlichkeit gegenüber allem, was das Selbstgefühl der Mehrheit stören könnte, zum Programm erhoben wird: Warum müssen wir da ständig Rücksicht nehmen? Und ja: Auch muslimische Frauen, die täglich wegen des Kopftuchs beschimpft, beleidigt, herabgesetzt und auch tätlich angegriffen werden, haben die Empfindlichkeit der Zivil- und Bürgergesellschaft verdient, was immer man über das Kopftuch denken mag. Sie haben sie nicht weniger verdient als Juden mit Kippa und händchenhaltende Schwule. Die Empfindlichkeit ist nicht teilbar, wenn sie echt sein soll. Sie ist nicht billig zu haben.

Ein empfindliches Land wird den Antisemitismus so wenig verschwinden lassen können wie den Hass auf Fremde und Minderheiten. Es kann aber einen Weg finden, den Antisemiten und Fremdenhassern zu widerstehen.

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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