Nachruf auf Christian Krügel:Grenzenlos gut

Christian Krügel war Lokalchef der Süddeutschen Zeitung.

In seiner Bereitschaft, sich für die Zeitung und Kollegen zu engagieren, kannte Christian Krügel kaum Grenzen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Alter von 48 Jahren ist Christian Krügel gestorben, der Lokalchef der "Süddeutschen Zeitung".

Von Wolfgang Krach

Es gibt Tage im Leben, die man nie vergisst. Und es gibt Nachrichten, die einen so unvorbereitet, überraschend und hart treffen, dass man glaubt, den Halt zu verlieren. Eine solche Nachricht ist die vom Tode Christian Krügels. Ein Aneurysma, eine geplatzte Schlagader im Gehirn, hat unseren Kollegen, den München-Chef der Süddeutschen Zeitung, mitten aus dem Leben gerissen. Er war gerade mal 48 Jahre alt. Es ist ein Tod, der in der Nacht kam, der sich nicht wahrnehmbar angekündigt hatte, heimtückisch, unfassbar - vor allem für jene, die Christian Krügel gerade noch in Konferenzen und am Newsdesk gesehen hatten oder plaudernd auf dem Flur.

Ressortleiter zählen in einer Redaktion in der Regel nicht zu den Menschen, die besonders beliebt sind. Sie müssen jeden Tag Entscheidungen treffen, darunter solche, die unangenehm oder hart sind, die der eine für falsch hält und die der anderen nicht passen. Je größer ein Ressort ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, viele vor den Kopf zu stoßen und vielen nicht zu gefallen.

Krügel leitete in der SZ das größte Ressort: München, Region und Bayern. "Seine" Redakteurinnen und Redakteure saßen in München, in den Außenredaktionen von Freising bis Wolfratshausen sowie in den Büros in Augsburg, Regensburg oder Nürnberg. Er war, gemeinsam mit seiner Co-Ressortleiterin Nina Bovensiepen, verantwortlich für die SZ-Berichterstattung in München, aus der Region und aus ganz Bayern.

Einer der besten Ressortleiter, die diese Zeitung je hatte

Hätte es in der Redaktion eine Abstimmung über den beliebtesten Ressortleiter gegeben, Christian Krügel hätte sie vermutlich gewonnen. Nicht, weil er keine harten oder strittigen Entscheidungen traf, nicht, weil er Leuten nach dem Mund redete, nicht, weil er sich scheute, Unangenehmes an- oder auszusprechen. Er wäre gewählt worden, weil er mit Überzeugung und Leidenschaft für seine Meinung werben, andere Menschen mitreißen und begeistern konnte und oft die besseren Argumente auf seiner Seite hatte. Und weil er Konflikte so austrug, dass er dabei niemanden persönlich verletzte.

Christian Krügel war klug, hartnäckig, uneitel, respektiert, empathisch und sympathisch. Er war einer der besten Ressortleiter, die diese Zeitung je hatte.

Krügel, ein "gebürtiger und überzeugter Münchner", wie er selbst gerne sagte, war ein Lokaljournalist par excellence. Geboren 1969, wuchs er im Münchner Westen auf und machte 1988 sein Abitur am Ludwigsgymnasium. Nach dem Zivildienst in einem Seniorentreff im Stadtteil Neuhausen studierte er Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität. Parallel dazu begann er, als freier Mitarbeiter für die Dachauer Neuesten Nachrichten zu schreiben, eine Lokalausgabe der SZ.

Seine journalistische Ausbildung führte ihn nach Niederbayern, zur Passauer Neuen Presse, wo er sich während des Volontariats in den Redaktionen von Altötting und Burghausen, neben anderem, um Stadträte, Verkehrsunfälle und das Vereinswesen kümmerte. 1995 landete er als Redakteur wieder bei der SZ, genau dort, wo er einst als freier Mitarbeiter begonnen hatte: in Dachau. Weil Krügel nicht nur ein guter Schreiber, sondern auch ein herausragender Organisator war, beförderte ihn der damalige Chefredakteur Hans Werner Kilz erst zum stellvertretenden Redaktionsleiter in Dachau, dann zum Vize-Ressortleiter für die Region und schließlich, 2005, zum Chef vom Dienst der gesamten Zeitung.

2010 übernahm er das Ressort München, Region und Bayern.

Zwei Dinge waren ihm wichtig: Familie und Zeitung

In seinem Leben gab es zwei Dinge, die für Krügel so wichtig waren wie nichts anderes: die Familie und die Zeitung.

Wenn Krügel selbst schrieb, schrieb er oft über Kunst und Kultur. Der klassischen Musik galt seine Leidenschaft. Über die Einzelheiten des neuen Konzertsaals für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wusste allenfalls der Maestro des Orchesters, Mariss Jansons, so viel wie Krügel. Mit ihm tauschte sich Krügel regelmäßig aus, bei Jansons' 75. Geburtstag im Januar in der Hamburger Elbphilharmonie war er dabei. Redaktionsintern hieß der Konzertsaal, der nun im Werksviertel am Ostbahnhof entstehen soll, deshalb nur "der Christian-Krügel-Saal".

Krügel war gerne Autor, aber das Schreiben stellte er häufig zurück. In all den hierarchischen Positionen, die er mehr als 20 Jahre lang für die SZ bekleidet hat, ging es ihm stets nicht um sich selbst, sondern um das Wohl der anderen: das der Kolleginnen und Kollegen sowie das der Leserinnen und Leser. Krügel sorgte dafür, dass "seine" Leute journalistisch glänzen konnten und die Abonnenten jeden Tag eine möglichst gute Zeitung erhielten. Wenn beides der Fall war, dann war er glücklich. Uneigennützigkeit hatte einen Namen: Christian Krügel.

Menschen, die lange Verantwortung für etwas tragen, neigen dazu, möglichst wenig verändern zu wollen und sich Neuem zu verschließen, wenn es halbwegs gut läuft. Zu dieser Spezies Führungspersonal gehörte Krügel nie. Oft unvermittelt kam er mit Ideen, Anregungen, Vorschlägen. Als einer der ersten in der Redaktion begriff er, wie tief greifend sich der Beruf des Journalisten und das Zeitungsmachen durch die Digitalisierung verändern würden. Und mit am beherztesten ergriff er die Chancen, die sich hieraus ergeben. Er trieb in seinem Ressort das Zusammenwachsen von Print und Online voran, ohne dass man ihn dazu ermuntern musste. Für sich selbst lotete er auf Facebook und Twitter aus, ob und wie soziale Medien Journalisten helfen könnten. Zum einen, um ihre Botschaften unter die Leute zu bringen. Zum anderen, um die Anliegen der Leser besser zu verstehen.

Die Armut in München verletzte sein Gefühl von Gerechtigkeit

In seiner Bereitschaft, sich für die Zeitung und Kollegen zu engagieren, kannte Krügel kaum Grenzen. Er gehörte morgens zu denjenigen, die - meist froh gelaunt von der S-Bahn schlendernd - als Erste in der Redaktion eintrafen und abends zu denen, die das SZ-Hochhaus als Letzte verließen. Er war gut darin, anderen Ratschläge zu geben, dass sie sich schonen und auf sich aufpassen sollten. Wenn er einem zum Geburtstag gratulierte, verband er das etwa mit dem Wunsch, man möge "genügend Zeit für die Familie" haben und "zwischendurch einfach mal kurz dieses Haus vergessen". Wenn er selbst aber an einem freien Wochenende daheim im Garten werkelte, schickte er vom Handy aus zwischen zwei Gängen Rasenmähen schon mal kurz seine Überlegungen zur Besetzung einer Stelle in der Lokalredaktion. Krügel dachte stets viel mehr an andere als an sich selbst.

Da er immer mit Eifer und ganzem Herzen bei der Sache war, tat Krügel sich schwer abzuschalten. Wenn ihm das gelang, dann im Kreis der Familie. Nur nach der Rückkehr aus einem mehrwöchigen Sommerurlaub mit Frau, Sohn und Tochter aus der Toskana oder Kroatien konnte man das Gefühl haben, jetzt sei Krügel endlich mal mit seinen Gedanken anderswo gewesen und habe den Konzertsaal und die Gestaltung der Service-Seiten in Ebersberg vergessen.

Krügel war gläubiger Christ und hatte - im Unterschied zu anderen - wenig Scheu, darüber zu reden. Er drängte sich nicht auf; aber wenn man mit ihm über die Armut im reichen München sprach oder über die oft schäbige Unterbringung von Flüchtlingen, merkte man, wie sehr ihn beides umtrieb. Das verletzte sein Gefühl von Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit, und auch deshalb hatten diese Themen im Lokalteil ihren Platz. Als Mitglied im Allgemeinen Rat der Katholischen Akademie in Bayern beteiligte er sich an der Diskussion darüber, was die Rolle der Kirche in einer zunehmend weniger christlich orientierten Gesellschaft sein könnte. Im Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung engagierte er sich als Vorstand, um ganz praktisch mitzuhelfen, die Not von Menschen zu lindern.

Seit Wochen freute sich Christian Krügel auf die Firmung seines Sohnes an diesem Donnerstag. Sie war der Familie und ihm wichtig. Doch er konnte sie nicht mehr bewusst miterleben, er lag seit Mittwoch im Koma. Am Freitagnachmittag starb Christian Krügel in einer Münchner Klinik.

Um diesen großartigen Menschen trauern seine Familie und seine Freunde. Und sein Tod erschüttert die ganze Redaktion.

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