DEL-Finale:Nicht mehr der wilde Yannic

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Vom Stürmer zum Verteidiger: Yannic Seidenberg (re, hier gegen Jonas Müller) hat eine bemerkenswerte Wandlung hinter sich. (Foto: O.Behrendt/imago/Contrast)

Am Sonntag kann der EHC München gegen Berlin den Titel-Hattrick perfekt machen - auch weil Nationalspieler Seidenberg eine erstaunliche Metamorphose vom Angreifer zum Verteidiger vollzogen hat.

Von Christian Bernhard, Berlin/München

Manchmal reicht eine Szene aus, um den Wert eines Spielers für seine Mannschaft zu verdeutlichen. So wie jene am Freitagabend in Berlin, als sich Yannic Seidenberg im eigenen Drittel elegant von seinem Gegenspieler löste, Jonas Müller überlief und die Scheibe im gegnerischen Drittel gegen zwei Berliner behauptete, obwohl kaum Platz da war. Diesen vergrößerte er sich noch mit einer Drehung auf engstem Raum, und ließ sich dann nach hinten fallen, um einen freien Schussweg zu finden. Auch das gelang ihm: Maximilian Kastner fälschte seinen Schuss vor dem Berliner Kasten zum 1:1 ab.

Später legte Seidenberg auch noch das spielentscheidende Tor zum 4:2-Sieg nach. Der EHC München führt nun in der Finalserie der Deutschen Eishockey Liga (DEL) mit 3:1 gegen die Eisbären Berlin und kann mit einem Heimsieg am Sonntagnachmittag den Titel-Hattrick perfekt machen.

Seidenberg ragt trotz seiner 172 Zentimeter Körpergröße aus dem Münchner Kollektiv hervor, da hinter seiner Dominanz eine spezielle Geschichte steckt. "Das ist schon krass", sagt Teamkollege Frank Mauer dazu. Der 34-Jährige ist der Verteidiger der Playoffs schlechthin, er füllt diese Rolle mit einer Selbstverständlichkeit aus, als ob er sie immer innegehabt hätte. Hat er aber nicht.

Seine Teamkameraden blicken voller Respekt, ja fast schon bewundernd, auf Seidenberg

Erst seit etwas mehr als einem Jahr ist aus dem Angreifer Seidenberg der Abwehrspieler Seidenberg geworden. Und aus diesem mittlerweile der DEL-Verteidiger des Jahres. Manchmal "denke ich mir: Wow, das hätte ich mal früher machen sollen", berichtet Seidenberg mit einem Lächeln. Danny aus den Birken teilt diese Meinung: "Schade, dass er es nicht schon vorher gemacht hat", sagt der National-Torhüter über seinen Teamkollegen, den er mittlerweile für "einen der technisch besten Verteidiger Deutschlands" hält. Seidenberg sei ein großer Grund dafür, "dass wir da stehen, wo wir heute stehen", unterstreicht der DEL-Spieler des Jahres, Keith Aucoin. Aus den Birkens Fazit fällt ähnlich aus: "Er hilft uns mehr als nur enorm."

Seine Teamkameraden blicken voller Respekt, ja fast schon bewundernd, auf Seidenberg. So spät in seiner Karriere eine völlig neue Position zu übernehmen, gleich Verteidiger des Jahres zu werden und offensiv so stark zu produzieren: "Es ist verrückt und zeigt, was für ein Spieler Yannic ist", betont Aucoin. Seidenberg lasse den Wechsel von Stürmer zu Verteidiger "wirklich einfach ausschauen. Ich könnte das nicht".

Der einzige, der nicht überrascht scheint, ist Seidenberg selbst. "Ich konzentriere mich einfach auf die Sachen, die mich gut machen", sagt er. Und das sind viele. Aucoin zählt sie auf: Seidenbergs Fähigkeit, sich aufgrund seiner Schnelligkeit und Wendigkeit vom gegnerischen Forechecking zu lösen, seine sauberen Pässe, mit denen er den Spielaufbau einleitet. Und seine Überzahl-Qualitäten an der Blauen Linie, die ihn für Aucoin zum "besten Powerplay-Verteidiger der Liga" machen. "Er siehst schon vorher, wenn kritische Situationen entstehen", ergänzt Mauer. "Wie er die Situationen liest, das ist schon beeindruckend."

Seidenberg ist ein heißer Kandidat auf den Titel des wertvollsten Spielers der Finalserie

Rick Goldmann war viele Jahre lang Abwehrspieler, er bestritt sogar ein Spiel in der NHL. Heute ist er TV-Experte und sagt, es sei einfach schön mit anzuschauen, "wie Seidenberg sein Spiel als Verteidiger entwickelt hat." Goldmann ist begeistert davon, "mit welcher Ruhe er die Scheibe verteilt, wie er sie abdeckt." Die Ruhe spielt eine zentrale Rolle in Seidenbergs Spiel, weil er "nicht mehr der wilde Yannic von früher" ist, wie er selbst sagt. Als Seidenberg bei den Olympischen Spielen im Februar, die für Deutschland mit der sensationellen Silbermedaille endeten, im Halbfinale einem Kanadier eine mitgab, der ihn geschubst hatte, dachte sich der Münchner: "Das war irgendwie ich vor acht Jahren, da habe ich so was öfter gemacht." Heute ist es die Ausnahme. "Egal in welcher Spielsituation", Seidenberg mache immer das Richtige, schwärmt DEB-Vizepräsident Marc Hindelang, der den Münchner als den "größten kleinen Spieler der DEL" bezeichnet.

Einen gehörigen Anteil an Seidenbergs gelungener Metamorphose hatte das Münchner Trainer-Team. "Die Trainer haben sehr viel im Videoanalyse- und Taktik-Bereich mit ihm gearbeitet", sagt Patrick Hager. Seidenberg hebt speziell EHC-Co-Trainer Matt McIlvane hervor. Dieser habe eine "riesengroße" Rolle dabei gespielt, sagt der 34-Jährige, "gerade am Anfang, als wir viele Einzel-Analysen gemacht haben." Den Rest trugen Seidenberg selbst und seine Spiel-Intelligenz bei. Er sei als Stürmer "auch schon immer ein sehr cleverer, intelligenter Spieler und sehr guter Schlittschuhläufer" gewesen, sagt Hager, "und das setzt er jetzt auch in der Defensive 1A um."

Zusammen mit Jon Matsumoto, der in allen vier bisherigen Endspielen getroffen hat, ist Seidenberg ein heißer Kandidat auf den Titel des wertvollsten Spielers der Finalserie. Seidenberg kann der Entscheidung gelassen entgegen sehen - er hat sich diese persönliche Auszeichnung bereits im vergangenen Jahr geschnappt. Und auf die Geschichte seiner wundersame Wandlung zum Top-DEL-Verteidiger hat er ja ohnehin schon das Copyright.

© SZ vom 22.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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