SZ-Serie Nahverkehr weltweit:In Rom brennen ständig die Busse

Ein brennender Mercedes-Bus der Verkehrsbetriebe in Rom nahe des Trevi-Brunnens.

Feuer mitten im Zentrum von Rom: In unmittelbarer Nähe des berühmten Trevi-Brunnens brennt ein Linienbus aus.

(Foto: AP)

Der Verkehrsbetrieb ist pleite und korrupt, die Fahrzeuge ächzen ihrem Tod entgegen, die Fahrer haben einen miesen Ruf: Es gibt viele Gründe, warum die Römer ihren ÖPNV für einen der schlechtesten der Welt halten.

Von Oliver Meiler, Rom

Manchmal brennen in Rom Busse, das passiert sogar ziemlich oft. Vor einigen Tagen brannte ein Bus der Linie 63, bis nur noch das Skelett der Karosserie übrig war. An der Via del Tritone, mitten im alten Zentrum, nicht weit von der Fontana di Trevi. Die Feuerwehr ließ das bekannte Kaufhaus La Rinascente räumen, so groß war die Gefahr, dass die Flammen auf den schönen, neuen Palazzo übergreifen. Als dann auch noch ein Reifen platzte, mit lautem Knall, muss es zumindest den Touristen so vorgekommen sein, als passiere da gerade etwas ganz Schlimmes. Die Römer nicht, sie filmten die Szene in aller Seelenruhe mit ihren Handys, posteten die Bilder in den sozialen Medien. Eine Zeitung titelte am Tag danach sarkastisch und morbid: "Atac Akbar! Nur in Rom denkt niemand an einen Terroranschlag, wenn ein Bus explodiert, sondern an die Stadtverwaltung."

Atac, so heißen die städtischen Verkehrsbetriebe Roms. Die Abkürzung steht für: Azienda per i Trasporti Autoferrotranviari. Da gehört alles dazu: die Busse, das Tramnetz, die U-Bahn-Linien A, B und C und die Züge in die Vororte. Gegründet wurde Atac 1909, heute zählt das Unternehmen 11 500 Angestellte. Es ist ein Koloss von einem Betrieb und einer der großen Arbeitgeber der Stadt. Das Personal würde locker ausreichen, um dem Bürger einen einigermaßen akzeptablen Dienst anzubieten.

Doch nichts in dieser Stadt ist so verrufen wie die "mezzi", wie die Römer ihre öffentlichen Transportmittel nennen. Ähnlich schlecht ist nur der Ruf der Müllabfuhr, der Ama, doch es handelt sich da um einen engen Wettlauf um den letzten Platz auf der Beliebtheitsskala. Dutzende Skandale gab es schon bei Atac. Mal kreisten sie um hohe Managerlöhne, mal um plötzliche Grippeepidemien unter Busfahrern, die ausgerechnet an Feiertagen besonders häufig erkranken.

Barock ist auch das Ausmaß an Vetternwirtschaft. Ein Bürgermeister, der Postfaschist Gianni Alemanno, von 2008 bis 2013 im Amt, begann sein Mandat mit der Anstellung von 845 neuen Mitarbeitern für Atac. Es waren alles Freunde, Freunde von Freunden, Verwandte von Freunden, Parteifreunde ohne Einkommen, auch eine Stripteasetänzerin war dabei. Der Fall ging als "Parentopoli" in die Geschichte ein, das hört sich nur nett an: Es ist die Kombination aus den Wörtern Verwandte und Korruptionsskandal. Das Unternehmen wird seither mit einem Bankomaten verglichen: Jeder zieht aus ihm raus, was er nur rausziehen kann.

50 brennende Busse in zwei Jahren

Atac gehört wohl zu den unseligsten Verkehrsbetrieben der Welt. Ja, der ganzen Welt. Das sagen wenigstens die Römer selbst, und die haben mittlerweile ein ziemlich gutes Gefühl für solche Dinge. Atac ist die Chiffre für einen bitteren Scherz.

Zum Glück haben die Römer auch die nötige Ironie, um mit den Alltagsmühen, die ihnen der Betrieb beschert, einigermaßen klarzukommen. Nachdem der 63er ausgebrannt war, schrieb die Zeitung La Repubblica: "Rom ähnelt immer mehr Caracas, bei allem Respekt für Caracas." Es war ja nicht das erste Mal, dass ein Bus in Flammen aufging. In den vergangenen zwei Jahren haben 50 Busse gebrannt. Meist waren Passagiere an Bord, schwer verletzt wurde aber niemand. Die häufigsten Gründe: Probleme mit dem Motor, den Ölschläuchen oder Kurzschlüsse in der Kühlanlage. 50 Busse! Es wurde schon vermutet, es könnte sich um Sabotage handeln, die Ermittlungen der Justiz ergaben jedoch nichts.

Die irrwitzige Häufung lässt sich viel einfacher erklären: Der Betrieb ist pleite. Eigentlich sollte es ihn gar nicht mehr geben. 1,4 Milliarden Euro Schulden hat Atac mittlerweile angehäuft, auch wegen "Parentopoli". Alle Versuche, den Betrieb zu reformieren oder zu privatisieren, zerbrachen am Widerstand der Gewerkschaften, die bei jeder Gelegenheit zum Streik aufrufen. Immer knickt die Politik ein. Allein in den vergangenen acht Jahren wurde zwölf Mal der Chef ausgewechselt, einmal holte man sogar einen Verwalter aus Mailand, der dort den Verkehrsbetrieb geleitet hatte. Alle scheiterten. Ende Mai soll nun ein Gericht entscheiden, ob Atac ganz aufgelöst wird oder ob es einen Konkursvergleich gibt. Dann müssten die Steuerzahler wieder für die Rettung aufkommen. Im vergangenen Jahrzehnt verpufften so schon sieben Milliarden Euro.

Die Touristen will man nicht vergraulen

Für Ersatzteile reicht das Geld schon lange nicht mehr aus. Und da die Flotte der Busse, der Tram und der Wagen der Metro die älteste ist in ganz Europa, klappern diese Busse, Tram und Wagen der Metro halt ächzend ihrem Tod entgegen. Mit lockeren Schrauben, undichten Dichtungen, ohne Wartung. Von den insgesamt 2100 Fahrzeugen und Zügen von Atac stehen derzeit 700 im Depot, ausrangiert. Dazu gehört auch eine Flotte von kleinen Elektrobussen, die bis vor einigen Jahren das historische Zentrum bedient hatten. Die Linien 116, 117 und 119 gehörten zu den populärsten. Dann wurden sie plötzlich aufgelöst, ohne Ankündigung, weil Atac keine Ersatzbatterien mehr kaufte. Auf den Schildern an den Haltestellen sind sie noch immer aufgeführt, samt Angabe zur Frequenz ihrer Fahrten in Minuten. Sie rosten nun irgendwo in einem traurigen Lager vor sich hin.

Andere Busse hätten es verdient, dass sie auf der Stelle verschrottet würden. Doch sie fahren noch. Manchmal sitzt man im Bus und hofft eine Fahrt lang, dass einem die Decke, die sie mit Klebeband festgemacht haben, beim Ritt über Kopfsteinpflaster und Schlaglöcher nicht auf den Kopf kracht. Kommt auch fast täglich vor. Wenn es regnet, regnet es schon mal rein. Wenn es richtig heiß ist, auch das ist eine heilige Konstante, fällt die Klimaanlage aus. Dann drängt man sich am Besten ganz nahe an diese schmalen Fensterschlitze, die einen Hauch warme Luft reinlassen.

Natürlich, die Linien 64 und 40, die die Pilger und Touristen vom Bahnhof Termini zum Petersplatz bringen, sind in der Regel modern. Die Stadt kann es sich nicht leisten, ihre wichtigste Kundschaft zu vergraulen. Bei den Einheimischen nimmt man das dagegen locker in Kauf. Wer nicht unbedingt muss, der nutzt keine "mezzi". Die Quote der Nutzer liegt bei 29 Prozent, es sind fast nur Schüler und Studenten, die weder Minicar noch Mofa fahren, Reinigungsfachkräfte aus den Philippinen, ältere Menschen, im Winter sind noch Obdachlose dabei, die etwas Wärme suchen. In keiner anderen großen Hauptstadt Europas ist die Nutzungsrate geringer.

Der Rest der Römer ist auch zur Rushhour privat unterwegs, unbeirrbar, trotz Stunden im Stau. Da es nur auf wenigen großen Verkehrsachsen exklusive Buslinien gibt, die auch als solche respektiert werden, kommen die Busse kaum vom Fleck. Auch dazu gibt es Zahlen, es sind keine guten. Das Durchschnittstempo der Busse in Mailand, der Rivalin im Norden, ist jedenfalls höher.

Die Busfahrer haben einen schrecklichen Ruf

Natürlich würde ein besseres U-Bahn-Netz den Verkehrsfluss etwas beschleunigen. Doch beim Graben neuer Strecken stößt man ständig auf den prächtigen Nachlass der Ahnen, auf Schätze aus dem antiken Rom, die alle ausgegraben und gepflegt gehören. Und so kommt man einfach nicht vorwärts. Sechzig Kilometer in siebzig Jahren - das reicht nirgends hin. Straßenbahnen wären viel gescheiter. Früher gab es in Rom Tramlinien kreuz und quer, dann fiel die Straßenbahn fatalerweise aus der Mode, übrig geblieben sind sechs Linien. Neuerdings werden sie ein bisschen ausgebaut. Den Großteil des kollektiven Transports aber besorgen Busse. Wenn sie denn kommen.

"Ma passa?", ist die häufigste Frage, die man an den Haltestellen hört - und selber stellt: Kommt hier noch ein Bus vorbei? In dieser Frage schwingt natürlich schon die Vermutung mit, dass er eben nicht kommt. Nie. Oder viel zu spät und dann so voll ist, dass niemand mehr reinpasst. Oder dass nach langer Wartezeit drei Busse derselben Linie gleichzeitig kommen, weil, und das ist die gängigste Theorie von allen, die Chauffeure an der Endstation zusammen Kaffee getrunken haben. Überhaupt, die Fahrer: Sie haben einen schrecklichen Ruf, freilich nicht alle zu recht. Sie gelten als Machtlobby, als arrogante Kaste, der kein Grund zu frivol ist, nicht zur Arbeit zu erscheinen. Jeden Tag fallen in Rom hunderte Fahrten aus, die eigentlich auf dem Fahrplan stehen.

Seit einiger Zeit gibt es eine App für die Fahrzeiten, real time, der vertraut man aber nicht so leicht. Eher schickt man eine Kurznachricht an die Dienststelle, die meist ziemlich schnell antwortet. Eine Konversation verläuft etwa so: "Wann kommt der 'H' - Via Arenula, Ecke Piazza Cairoli?" - "Noch zwei Haltestellen, dann ist er dort." Zehn Minuten später: "Und jetzt?" - "Drei." Einer fiel wohl aus. Oder brannte.

Die SZ berichtet in dieser Serie über den Nahverkehr in den Metropolen der Welt. Alle Folgen unter www.sueddeutsche.de/nahverkehr

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