Ressourcen:Gestaute Macht

Im Irak wird das Wasser knapp. Das hat einerseits mit dem Klimawandel zu tun - verantwortlich sind aber vor allem die Nachbarländer Türkei und Iran mit ihren zahlreichen Staudammprojekten.

Von Moritz Baumstieger

In der Nacht zum Freitag hatte Recep Tayyip Erdoğan ein Einsehen. Auf seine Anordnung öffneten Ingenieure vorübergehend wieder jene Schleuse des neuen Staudammes, die sie Anfang der Woche zum ersten Mal geschlossen hatten. Die erhoffte Folge der Order - endlich wieder mehr Wasser im Bett des Tigris - wird die erhitzten Gemüter im Irak aber frühestens im Verlauf des Wochenendes abkühlen: Mehr als 200 Kilometer sind es vom neuen Ilısu-Damm in der Südosttürkei bis zur nordirakischen Metropole Mossul, mehr als 600 in die Hauptstadt Bagdad.

Bis die Fluten in den zwei größten Städten des Iraks ankommen, wird es also noch dauern. Nach Angaben von Beamten, die den Wasserlauf beaufsichtigen, fehlen dem Strom derzeit an der türkischen Grenze 50 Prozent seines Volumens, flussabwärts wird es noch knapper. Wo das Wasser jetzt meterhoch stehen müsste, da der Schnee in den Bergen Kurdistans schmilzt, erstrecken sich oft Schlammbänke.

In Mossul im Norden des Landes entblößt der sinkende Wasserspiegel Überbleibsel einer der grausamsten Schlachten der vergangenen Jahre: Fotos zeigen aus dem Matsch ragende Trümmerteile und fehlgeleitete Bomben, die im Wasser landeten, als die irakische Armee und die internationale Militärkoalition die Stadt 2017 von der Terrormiliz IS befreiten. Was die Munition anrichtete, die ihr Ziel traf, zeigt sich jenseits des schmal gewordenen Tigris - am Westufer türmen sich noch ein Jahr nach Ende der Schlacht die Trümmer dessen, was einmal die Altstadt war.

Ressourcen: Kollateralschaden der Machtpolitik: Bis zu 12 000 Jahre alt sind die archäologischen Stätten bei Hasankeyf im Südosten der Türkei, das Areal ist Weltkulturerbe. Wenn aber der Ilısu-Staudamm gefüllt wird, versinkt es in den Fluten.

Kollateralschaden der Machtpolitik: Bis zu 12 000 Jahre alt sind die archäologischen Stätten bei Hasankeyf im Südosten der Türkei, das Areal ist Weltkulturerbe. Wenn aber der Ilısu-Staudamm gefüllt wird, versinkt es in den Fluten.

(Foto: Pascal Mannaerts/Mauritius Images)

In Bagdad, weiter flussabwärts, versuchen die Menschen unterdessen beim Besuch der Lokale an den Uferpromenaden den fauligen Gestank aus dem Flussbett zu ignorieren, wenn sie ein seltenes Schauspiel beobachten: Der Fluss lässt sich stellenweise fußläufig durchqueren, angeblich das erste Mal seit fast einhundert Jahren. Das Wasser reicht jenen, die es wagen, dabei teils nicht einmal ans Knie.

Zum ersten Mal seit 100 Jahren lässt sich in Bagdad der Tigris fußläufig durchqueren

Vor sechzig Jahren noch hatten Bagdad und viele anderer Städte des Iraks um diese Jahreszeit regelmäßig mit Überschwemmungen zu kämpfen. Seither nahmen zum einem wegen des Klimawandels die Niederschläge deutlich ab, vor allem aber wurden Euphrat und Tigris immer stärker reguliert, die dem Land 98 Prozent seines Oberflächenwassers bringen. Im Irak selbst wurden seit den Fünfzigerjahren Dämme errichtet, außerdem geht immer mehr Wasser in schlecht abgedichteten Kanälen und Leitungen verloren. In den Nachbarländern, aus denen der größte Teil des irakischen Wassers stammt, wird bis heute an neuen Talsperren gebaut. Iran arbeitet an einem Staudammsystem an den Zuflüssen des Tigris, was die Zufuhr massiv einschränkt: Der kleine Zab führt laut der kurdischen Regionalverwaltung derzeit nur 20 Prozent der üblichen Menge, Fotos zeigen ausgetrocknete Becken voller verendeter Fische. Und dem Sirwan, einem der größten Tigris-Zuflüsse, an dessen Lauf Iran 14 Dämme baut, fehlen 60 Prozent.

Hauptverantwortlich für die Trockenheit, die sogar den Streit um massiven Betrug bei den Parlamentswahlen am 12. Mai vom ersten Platz in irakischen Nachrichtensendungen verdrängt, ist jedoch die Fertigstellung des höchstumstrittenen Ilısu-Dammes in der Türkei. In den Siebzigerjahren wurde dort mit der Planung eines abgekürzt "GAP" genannten Systems von 22 Dämmen an Euphrat und Tigris begonnen, offiziell, um die Energie- und Wasserprobleme der Region zu lösen. Kritiker vermuteten hingegen, dass Ankara mit diesem Mega-Projekt sein Kurdenproblem auf brachiale Weise lösen wollte: Der Bau erlaubte großflächige Enteignungen und Vertreibungen, später würde das aufgestaute Wasser Verstecke und Rückzugsorte der PKK unter einer glitzernden Oberfläche verschwinden lassen. Dass gleichzeitig auch einzigartige Ökosysteme und etwa bei der Stadt Hasankeyf bis zu 12 000 Jahre alte archäologische Stätten untergehen werden, nimmt Ankara in Kauf.

Allen Protesten zum Trotz wurde gebaut - und obwohl die Eröffnung des zentralen Ilısu-Damms eigentlich erst für 2019 geplant war, ließ die Regierung die erste seiner drei Schleusen Anfang des Monats schließen. "Ich verstehe, dass sie am 24. Juni Wahlen haben und wohl die Unterstützung der Bauern gewinnen wollen", sagte am Dienstag Iraks Premierminister Haider al-Abadi, der vom Vorgehen der Türkei überrascht wurde, nach einer eilig einberufenen Sitzung seines Sicherheitskabinetts. Über den Protest hinaus konnte er wenig tun - Ankara hat bis heute die UN-Konvention zur Nutzung grenzüberschreitender Flüsse nicht ratifiziert. Erdoğans erste Reaktion klang dementsprechend ungerührt, man habe dem Irak schon vor zehn Jahren geraten, für heute vorzusorgen, doch "seine Führer haben nichts getan". Nachdem der Ton im Ramadan-trockenen Bagdad immer schriller wurde, gewährte der türkische Präsident einen Aufschub bis 1. Juli. Dann werde man den Ilısu-Staudamm jedoch zu füllen beginnen, dabei aber ausreichend Wasser in den Irak weiterlassen, wie der türkische Botschafter in Bagdad wieder und wieder betonte.

Dass die Türkei gut daran tut, die Stimmung im Irak zu beruhigen, zeigt ein Blick in den Süden des Landes: Am Zusammenfluss von Euphrat und Tigris ist das sagenumwobene Marschland nach seiner Trockenlegung durch Saddam Hussein seit kurzem wieder hergestellt. Doch derzeit misst man dort alarmierende Tiefstände, rechnet bereits mit 30 Prozent Ernteausfällen. In mehreren Provinzen kam es deshalb zu Gewalt: Buchstäblich auf dem Trockenen sitzende Stämme im Süden griffen flussaufwärts gelegene und vermeintlich Wasser zurückhaltende Nachbarn an.

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