Fachkräftemangel:In zwölf Wochen zum IT-Experten

Informatikstudium IT-Experte It-Consultants

Linh Vuong wird im Schnellkurs innerhalb von zwölf Wochen zur IT-Spezialistin ausgebildet.

(Foto: Robert Haas)

Computer-Spezialisten werden in München händeringend gesucht. Eine Akademie aus Schweden will diese Marktlücke nutzen - und Laien im Express-Verfahren ausbilden.

Von Pia Ratzesberger

Es ist die erste von zwölf Wochen. Wenn die vorbei sind, werden sie jemand anderes sein, zumindest einen anderen Beruf haben. Sie werden wie jetzt vor ihren Bildschirmen sitzen, mit den schwarzen Kontrollfeldern. Aber dann werden sie wissen, was zu tun ist. Hoffentlich.

In diesem Raum im Zentrum Münchens warten elf Männer und drei Frauen, weiße Tische, kaltes Licht. Es sieht nicht danach aus, als würde hier über die Zukunft der Arbeit entschieden werden, doch in diesem Raum spielt sich ab, was sich vielleicht schon bald in immer mehr Städten zutragen wird: Menschen die bisher keine Ahnung von IT hatten, werden zu ITlern ausgebildet. Im Schnellverfahren, und zwar nicht von einer öffentlichen Schule, sondern von privaten Unternehmen. Die Wirtschaft holt sich jetzt selbst, was sie braucht.

In der dritten Reihe hat gerade Hans-Georg Hammerbacher Platz genommen, 51 Jahre. Einer der Ältesten im Kurs, er hat lange im Vertrieb gearbeitet. Links neben ihm sitzt Leonardo Palomino, 19 Jahre, einer der Jüngsten. Er hat vor einem Jahr Abitur gemacht. Rechts neben ihm dann Linh Vuong, 27, Ostasienwissenschaftlerin, und vor ihr Rajiv Althaus, 31, zuletzt Nachwuchskoordinator bei den Basketballern in Ulm. Die Alternative zum Programmieren sei ein Fernstudium in Pädagogik gewesen, sagt der Mann, der so aussieht, als würde er auf dem Basketballplatz mit leichter Hand viele Bälle werfen, "aber das ist auf jeden Fall ein Skill, den man gut brauchen kann". Und einer, der dringend gebraucht wird.

Noch nie wurden so viele ITler gesucht wie in diesem Jahr, zuletzt gab es in Deutschland mehr als 40 000 offene Stellen. Hatten früher nur größere Unternehmen Informatiker angestellt, braucht sie heute jeder Gründer und jeder Mittelständler. Erst vor Kurzem hat die Industrie- und Handelskammer berechnet, dass in der Region München bis zum Jahr 2030 in der technischen Entwicklung und Konstruktion 19 000 Menschen fehlen werden. Wenn diese Stellen frei bleiben, werden die Unternehmen gebremst, mit ihnen die Wirtschaft. Die Zukunftsaussichten für Rajiv Althaus und die anderen in diesem kleinen Raum in der Hochschule München könnten also besser nicht sein. Aber erst müssen sie durch die zwölf Wochen kommen.

Zwölf Wochen Vollzeitkurs, ohne Gebühren

Vorne an der Wand erklärt der Lehrer gerade den Unterschied zwischen dem Quellcode (*.java) und dem Bytecode (*.class), seine Schüler werden an diesem Tag die ersten Worte der Programmiersprache Java lernen. Niemand in den Reihen spricht, Konzentration. Sie wissen, dass sie nicht viel Zeit haben. Leonardo Palomino, der Abiturient, hebt die Hand, fragt, ob er auch lernen wird, Apps für Ios zu programmieren, also das Betriebssystem von Apple. Der Lehrer schüttelt den Kopf, erst einmal nur für Android, die Konkurrenz. Palomino sieht so aus, als würde ihm der Schnellkurs in diesem Fall nicht schnell genug gehen.

Mit den Computersprachen hat er mit 16 Jahren angefangen, sein Großvater war Programmierer bei Siemens. Palomino hatte überlegt, Informatik an der Universität zu studieren, aber dann sah er die Werbung in der U-Bahn. Das Angebot der Firma aus Schweden habe zu gut geklungen: Zwölf Wochen Vollzeitkurs, ohne Gebühren, auch ohne Gehalt, aber Palomino lebt ohnehin beim Vater. Danach verspricht Academic Work, zu der die "Academy" gehört, einen unbefristeten Arbeitsvertrag und verleiht die neuen ITler zunächst für ein Jahr an Unternehmen, die pro Stunde für die sogenannten IT-Consultants zahlt - Zeitarbeit. Bei der Academy hört man diesen Begriff nicht gerne, man lege Wert darauf, dass die Gehälter denen der Angestellten in den Firmen entsprechen, heißt es. Im ersten Jahr verdiene man mindestens 42 000 Euro brutto, in der Branche ist das nicht viel. Nach dem Jahr können die Firmen die ITler übernehmen, ohne eine Ablöse zu zahlen.

Hans-Georg Hammerbacher in der dritten Reihe, Hemd und Sakko, will sich mit dem Kurs auf die weitere Zeit vorbereiten, bis zur Rente. Er sei für was Neues zu haben gewesen, er stelle sich später einen Job an einer Schnittstelle vor, sagt er, nicht nur Programmieren. 70 Prozent der schwedischen Absolventen arbeiten heute als Entwickler. 30 Prozent an solchen Schnittstellen.

Academic Work ist ein Personalvermittler, der sich auf junge Absolventen spezialisiert und dem aufgefallen ist, dass Firmen vor allem ITler suchen. Daraus machte er ein Geschäftsmodell. Vor zwei Jahren begannen die Ersten in einem Kurs programmieren zu lernen, mittlerweile sind es mehr als 500 Absolventen aus Stockholm, Malmö, Sundsvall, Linköping. Das Modell ist nicht neu, in den USA gibt es seit Jahren sogenannte Coding-Bootcamps, und auch wenn eines schon einmal 20 000 Dollar kosten kann, haben sie Erfolg. Die Camps geben ein Versprechen ab, das in die Zeit der Selbstoptimierung passt: in möglichst kurzer Zeit möglichst viel lernen mit möglichst großem Output. Die Frage ist aber auch: Werden solche Programme irgendwann das Studium der Informatik an der Universität ersetzen?

"Drei Jahre studieren wollte ich nicht mehr"

Rajiv Althaus, der Basketballer in der zweiten Reihe, hat vor dem Kurs noch nie einen Code geschrieben. Linh Voung hatte zuvor ein erstes kleines Spiel programmiert, Schere, Stein, Papier. Mehr nicht. Beide haben den Test im Internet bestanden, bei dem logisches Denken und Mathematik geprüft werden, dann noch ein Interview, ein Motivationsschreiben. Linh Vuong sagt: "Drei Jahre studieren wollte ich nicht mehr." Sie hat Ostasienwissenschaften und International Economics studiert, Abschluss Master, danach ein Jahr gearbeitet. Rajiv Althaus hat Soziologe studiert, war am Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, danach Basketball. Er sagt: "Ich wollte neuen intellektuellen Input." Aber lieber in drei Monaten statt in drei Jahren.

Viele der Initiatoren der amerikanischen Programme werben damit, dass die Universitäten mit ihren Lehrplänen zu träge seien, um in einem Fach auf dem neuesten Stand zu bleiben, in dem heute obsolet ist, was gestern galt. Der Lehrer im Kurs der Academy sagt, an der Uni lerne man vieles, was man später in der Praxis nicht anwende. Ein Professor würde entgegnen: Ein Universitätsstudium ist gerade auch deshalb ein Universitätsstudium, weil es mehr vermittele als nur Praxis.

Die Academy hat in München erst eine Klasse, für die hatten sich mehr als 800 Leute beworben. Im Herbst soll die zweite starten, allerdings nicht mehr in der Hochschule in der Arnulfstraße, sondern in eigenen Räumen auf dem Campus der Technischen Universität in Garching.

Hans-Georg Hammerbacher, Leonardo Palomino, Linh Vuong, Rajiv Althaus und die zehn anderen, die vorher einmal Bühneninspizienten oder Bankkauffrauen waren, werden dann ihren Kurs beendet haben. Sie werden in München arbeiten oder in Hamburg, in den Städten der Büros von Academic Work. Sie werden wie jetzt vor ihren Bildschirmen sitzen, mit den schwarzen Kontrollfeldern. Sie werden dann eine Sprache sprechen, die nur wenige beherrschen. Aber so viele brauchen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: