Außenansicht:Welt ohne Atomwaffen

Sascha Hach

Sascha Hach, 35, ist Friedensforscher und Mitgründer des deutschen Zweigs der Anti-Atomwaffen-Organisation ICAN, die 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

(Foto: Antje Siemon/OH)

Ein radikaler Vorschlag zur Überwindung der nuklearen Ordnung. Deutschland sollte aus historischer Verpflichtung mitwirken.

Von Sascha Hach

Am 6. und 9. August jähren sich die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Als das nukleare Zeitalter mit größtem Schrecken anbrach, spielte Deutschland eine Schlüsselrolle: Von hier ging der Zweite Weltkrieg aus, hier wurde die Kernspaltung entdeckt, und am Rande der Potsdam-Konferenz traf Präsident Truman die Entscheidung zum Abwurf der Atombomben. Die Bundesrepublik trägt daher in ihrer Außen- und Nuklearpolitik eine Verantwortung, dass sich ein solcher Massenmord niemals wiederholt und das nukleare Zeitalter beendet wird.

2019 und 2020 wird Deutschland einen Sitz im UN-Sicherheitsrat innehaben. Das Vertrauen, das sich in der breiten Unterstützung für die deutsche Kandidatur spiegelte, korrespondiert mit dem seit Jahren wachsenden Anspruch der Bundesregierung, international mehr Verantwortung zu übernehmen.

Außenminister Heiko Maas bemüht sich immer wieder, Deutschlands ordnungspolitische Rolle in Abgrenzung zu Donald Trump zu profilieren. Dabei folgt er der von Bundeskanzlerin Merkel beschriebenen Linie, Berlin als Ankerstelle für all jene Kräfte zu positionieren, die sich für Stabilität und Systemerhalt in stürmischen Zeiten einsetzen.

Das stoische Festhalten Deutschlands am Status quo in der Nuklear- und Bündnispolitik verhindert jedoch offensichtlich nicht, dass das Völkerrecht ausgeschwemmt wird und die Nato an Bindekraft verliert.

Der Niedergang des Atomwaffensperrvertrages, die zerbröselnde europäische Rüstungskontrolle, die anhaltende Besetzung der Krim und die unilaterale Aufkündigung des Iran-Deals durch die USA zeugen davon, dass internationale Vereinbarungen unvermindert erodieren. Die Bundesregierung und die Europäische Union werden weiter gedemütigt, weil sie tatenlos zuschauen müssen, wie ihr engster Bündnispartner fortwährend Vertrauen zerstört. Der Glauben an die USA als verlässliche Alliierte und nukleare Schutzmacht schwindet.

Geht es nun wirklich darum, dem Druck auf den internationalen Ordnungsrahmen, wie es Angela Merkel ausdrückt, mit Kontinuität zu begegnen? Ist das die richtige Strategie?

Das Gegenteil ist richtig: Es ist an der Zeit, einen neuen Ordnungsrahmen zu schaffen. Wenn Deutschland und Europa angesichts der globalen Großwetterlage handlungsfähig bleiben wollen, müssen grundlegende außen- und sicherheitspolitische Koordinaten neu berechnet werden. Dies gilt für die Atomwaffenpolitik ebenso wie für die Ausrichtung im Bündnis. Es nützt nichts, sich geo- und nuklearpolitisch an die untergegangene Epoche westlicher Abschreckungspolitik zu klammern. Wer in rauer See dort Anker wirft, findet keinen Grund. Deutschland und Europa sind gefordert, sich der neuen, multipolaren Ära zu stellen und sie mitzugestalten.

Europa darf sich nicht den Aggressionen Russlands und der USA ausliefern

Dies schließt eine Erneuerung der globalen Institutionen mit ein. Für Deutschland und Europa heißt das nicht weniger, als einen bündnisneutralen, von alten Machtverhältnissen befreiten Multilateralismus zu wagen. Nur durch eine engere und gleichberechtigte Zusammenarbeit auch mit Akteuren in Afrika, Asien und Lateinamerika können die Pfeiler für eine neue Ordnung gesetzt werden.

Als nichtständiges Mitglied im Sicherheit sollte Deutschland einen Vorschlag für die längst überfällige Reform der Vereinten Nationen einbringen. Einen mutigen. Etwa für eine föderale Verfasstheit der Weltorganisation, die eine Neuordnung der Regionalgruppen ermöglicht und weitgehend kontinental gruppierte Zusammenschlüsse der Mitgliedsstaaten schafft.

Diese Zusammenschlüsse könnten neben der Generalversammlung befugt sein, mit qualifizierter Mehrheit ihre jeweiligen Vertreter in einem neu komponierten Sicherheitsrat zu bestimmen. Nur mit einer gänzlich neuen Zusammensetzung und der Abschaffung der ständigen Mitgliedschaft sowie des Vetorechts kann das Gremium Legitimität und politische Bedeutung erlangen. Es ist realitätsfern zu glauben, dass der Sicherheitsrat so bleiben kann, wie er ist.

Die Neuaufstellung der internationalen Gremien verlangt zugleich den Abschied von der nuklearen Weltordnung, wie wir sie kennen. Die Zeit, in der fünf Atommächte die Geschicke im Weltsicherheitsrat per Veto bestimmen konnten, wäre dann vorbei.

Vor allem dürfen sie auch die Agenda der Nuklearpolitik nicht weiter alleine bestimmen. Raum für eine neue, nicht bi-, sondern multilaterale Abrüstungspolitik muss geöffnet werden. Selbst die schrittweise Multilateralisierung der Atomwaffenarsenale auf Ebene der UN darf kein Tabu sein, wenn sie an eine drastische globale Reduktion auf wenige Hundert Sprengköpfe gekoppelt wird. Der vollständige Abbau der 14 000 Atomsprengköpfe weltweit wird sich ohne den Zwischenschritt eines denuklearisierenden Gewaltmonopols sicherheitspolitisch kaum durchsetzen lassen.

Für Deutschland würde eine solche Neuausrichtung und die Hinwendung zu einer denuklearisierenden Weltordnungspolitik bedeuten, den Abzug der hier stationierten US-Atomwaffen einzuleiten und sich von der Doktrin der nuklearen Abschreckung abzuwenden. Die bevorstehende Modernisierung und Aufrüstung der hier gelagerten B61-Bomben und ihrer Trägersysteme müsste gestoppt werden.

Die Bundesregierung müsste stattdessen dem im vergangenen Jahr von 122 Staaten beschlossenen Verbot von Atomwaffen beitreten. Nur durch den Zusammenschluss gleichgesinnter Kräfte kann die nukleare Ordnung neu justiert und die Abschreckungspolitik marginalisiert werden. Im Verhältnis zu den USA und Russland müssen Deutschland und Europa umsteuern zu einer Außen- und Verteidigungspolitik, die die gegenseitigen Sicherheitsinteressen berücksichtigt. Der Nato-Russland-Rat ist dieser Herausforderung nicht gewachsen. Es müssten neue eigenständige Strukturen kooperativer Sicherheit geschaffen werden, die nach und nach die Nato als kompetitive Sicherheitsallianz ablösen. Die Zeit der Militärbündnisse wäre dann vorbei.

Vielleicht bietet diese Radikalität die einzige Chance für Europa, nicht Opfer eines wachsend aggressiven Nationalismus Russlands und der USA zu werden. Auf dem Kurs hin zu einer eigenständigen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und einer neuen, denuklearisierten Weltordnung wird es so deutlich besser vorangehen.

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