Ein loses Blatt mit angetackertem Foto - eine Tazkira sieht nicht gerade wie das aus, was sie eigentlich ist, nämlich ein sehr wichtiges Dokument. Bis vor einem Jahr hatte Andrea Finsterwald noch nie davon gehört. Heute weiß sie, dass die Tazkira Afghanen als Geburtsurkunde und Identitätsnachweis gilt. Dass sie eigentlich persönlich in Afghanistan abgeholt werden muss, dass Verwandte väterlicherseits sie bestätigen müssen, dass sie bis zu 3000 Euro kostet. Und sie weiß , dass es ohne "Mithilfe bei der Identitätsbeschaffung" in Bayern keine Ausbildungserlaubnis gibt.
Genau ein Jahr ist es her, da hatte Finsterwald, Chefin der Finsterwald Stahlbau GmbH in Dingolfing, endlich wieder einen Azubi gefunden: Alizada H. aus Afghanistan, 23 Jahre alt, Mittelschulabschluss: drei Mal "sehr gut", drei Mal "gut". Er war Leiharbeiter bei BMW, doch er wollte eine richtige Ausbildung machen. Feierlich unterschrieb er seinen Vertrag.
Nach zwei Monaten der Schock: ein Brief vom Landratsamt, Alizada müsse seine Ausbildung sofort abbrechen. Es fehle die hierfür nötige Erlaubnis. Finsterwald: "Wissen Sie, was man mir gesagt hat? Wir hätten uns leider den Verkehrten gesucht."
Sehr viel Zeit, Nerven, Geld und ja, auch Tränen, hat sie seitdem der Versuch gekostet, den "verkehrten" Flüchtling doch noch auszubilden. Alizada H.s Personalakte ist mittlerweile so dick wie die von Mitarbeitern, die seit 30 Jahren bei der Firma sind. "Wenn ich den ganzen Wahnsinn nicht selbst erlebt hätte, ich würde es nicht glauben", erzählt Finsterwald. "Nicht nur das Wohl meiner Firma, sondern unser ganzer sozialer Friede hängt doch davon ab, dass die Leute arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen!"
Auch an Alizada H. hat dieses Jahr der Unsicherheit gezehrt. Der Kampf gegen "diese verrückten Sachen", sagt er, habe ihn "kaputt" gemacht. Statt bis sechs Uhr schläft er jetzt oft bis mittags, dabei bräuchten sie ihn so dringend, die Stahlbauer der Finsterwald GmbH.