Neues Album von Ian Gillan:A very personal song

Ian Gillan

Ian Gillan bringt Ende August eine neue Platte raus. In diesem Satz sind zwei Anachronismen: Ian Gillan und Platte.

(Foto: dpa)

Es gibt Rockbands, die aus der Zeit gefallen und deshalb zeitlos sind. Und dann gibt es Bands wie Deep Purple, deren Sänger Ian Gillan diese Woche eine neue Platte veröffentlicht. Über das Altern im Rock.

Von Kurt Kister

In einem sehr alten Song von Eric Burdon (San Franciscan Nights, 1967) heißt es am Anfang: "... this is a very personal song..." und dann geht es ungefähr so weiter, dass Leute, die nicht verstehen, warum San Francisco so toll ist, vor allem Europäer, einfach nach San Francisco fliegen sollen: "... then maybe you'll understand the song...". Das Folgende also ist ein sehr persönlicher Text und wenn der Leser und die Leserin ihn nicht versteht oder anderer Meinung ist, dann soll das so sein. Nach San Francisco muss man nicht fliegen, um ihn zu verstehen, zumal da San Francisco auch nicht mehr das ist, was Eric Burdon mal war.

Ian Gillan bringt Ende August eine neue Platte raus. In diesem Satz sind zwei Anachronismen: Ian Gillan und Platte. Der eine Anachronismus ist schnell geklärt. Wenn man älter ist, spricht man immer noch von Platten, auch wenn man Tonträger jeder Art meint, sogar solche, die nicht physisch als Tonträger existieren weil ihre Songs als miteinander verknüpfte Dateien in der Großen Wolke wohnen. In diesem Sinne ist die Große Wolke unter anderem auch eine sehr große Platte.

Dass jetzt Menschen wieder Platten, echte Platten, kaufen und sie in Unterscheidung zur Großen Wolke Vinyl-LPs (als ob es wirkliche, andere Platten gäbe) nennen, ist eine Mischung aus Nostalgie nach nie Erlebtem und Schuldgefühl darüber, dass man durch Streaming und Ähnliches auf dem Grab der Platte "an sich", also der Platte im Sinne Immanuel Kants, tanzt. Nicht verstanden? Macht nichts. This is a very personal song.

Der andere Anachronismus ist weniger leicht zu klären. Ian Gillan ist ein am 19. August 1945 geborener Engländer aus Hounslow, Middlesex, das einst eine Grafschaft war und heute de facto ein Teil von Greater London ist. Gillan war früher einmal ein enorm langhaariger Rockmusiker, der neben anderen Fähigkeiten ganz wunderbar kreischen konnte. In den frühen Siebzigerjahren konnte man mit Gillan hervorragend konservative Eltern oder Verwandte erschrecken, weil er so aussah und weil er mit Deep Purple jene Art von rhythmischem Krach machte, den die damaligen Sarrazins und Gaulands für ähnlich abendlandgefährdend hielten wie die heutigen Sarrazins und Gaulands den Islam.

Gillan, 73, hat eine sehr lange Vita als Rockmusiker hinter sich. Seine bedeutendste Zeit war zwischen 1969 und 1973 bei Deep Purple in jener Besetzung, in der Deep Purple zur Legende wurde: Ritchie Blackmore (Gitarre), Roger Glover (Bass), Jon Lord (Orgel, gestorben 2012), Ian Paice (Drums) und eben Ian Gillan (Gesang). Nach Gillans erstem Bruch mit Deep Purple kam er noch zweimal zur Band zurück, was die Welt und die Musik nicht wesentlich weiterbrachte, wenn es auch durchaus besser war als Gillans nicht langes Gastspiel bei Black Sabbath.

Bei Black Sabbath war Gillan so eine Art Ersatz für den weggelaufenen Ozzy Osbourne, einen der großen Untoten des Krawallrocks, der schon als Zombie geboren wurde, aber immer noch lebt. Zwar hatte Deep Purple seit 1970 noch mehr Leadsänger als der Spiegel seit 2005 Chefredakteure hatte. Dennoch (oder gerade deswegen) entstanden die vier LPs, mit denen Deep Purple Musik- und Kulturgeschichte schrieben, alle mit Gillan am Mikro: "Deep Purple in Rock" (mit "Speed King" und "Child in Time"), "Fireball", "Machine Head" (mit "Highway Star" und "Smoke on the Water") sowie "Made in Japan", der genialen Live-Doppel-LP, die Deep Purple auf ewig einen Platz im Tower of Song sichern wird, wenn auch ein paar Etagen unter den Doors, aber nicht weit weg von Ten Years After.

Auf Made in Japan, im Original in einer goldfarbenen Hülle, zeigt Gillan, dass seine Stimme damals das fünfte, vielleicht auch das erste Instrument der Gruppe war. Das nach ungefähr 2:30 Minuten Spielzeit einsetzende Geschrei bei "Child in Time" ist sensationell; das Duett zwischen Blackmores Gitarre und Gillans Stimme bei "Strange Kind of Woman" hat Rockgeschichte geschrieben; über "Smoke on the Water" muss man sowieso niemandem nix mehr sagen, es sei denn dieser Niemand mag Florian Silbereisen oder hat die Welt abonniert.

Allerdings steht gerade "Smoke on the Water" idealtypisch für eine Erfahrung, die sich einstellt, wenn man Deep Purple von damals heute wieder hört und sie eben schon damals gehört hat: Man kann sie eigentlich nicht mehr so recht hören.

Es gibt Rockbands, die aus der Zeit gefallen und deswegen an keine Zeit gebunden sind. Die Rolling Stones zum Beispiel werden über den Tod hinaus, der trotz aller Sympathie für den Teufel hoffentlich möglichst spät eintritt, so bleiben wie sie immer waren. Sie haben den Status der Band einer bestimmten Zeit überwunden, und selbst wenn Menschen irgendwann auf dem Mars leben, wird unter den Sauerstoffkuppeln "Satisfaction" oder eben "Sympathy for the Devil" gehört werden. Ähnlich ist es mit den Beatles, Bob Dylan oder vielleicht sogar U2 und Police.

Man kann Deep Purple eigentlich nicht mehr hören - es sei denn, man trägt schwarze Lederjacken

Deep Purple aber ist schon heute so etwas wie das Leitfossil der ersten Hälfte der Siebzigerjahre. Man hört "Child in Time" in erster Linie, weil man es wieder mal hören möchte, wenn man gerade Lust auf das Leben als Playlist der frühen Siebziger hat. Wer die nicht bewusst erlebt hat, der kann sich durch eine solche Playlist einen Eindruck davon verschaffen, wie die für ihn heute Alten damals drauf waren als sie die damals Alten für noch seltsamer hielten wie dies die heute Jungen mit den damals Jungen, also den heute Alten, tun.

Weil dies ein very personal song ist: Ich habe in meinem Auto eine ziemlich gute Anlage, denn der Hauptgrund dafür, dass ich ein Auto habe, liegt darin, dass ich auf dem Mittleren Ring manchmal sehr laute, manchmal leise Musik höre. Hin und wieder befehle ich dem Streaming-Dienst, er möge Deep Purple spielen. Er tut es, denn wenigstens der Streaming-Dienst tut was ich sage und nörgelt nicht rum deswegen.

Er gibt mir also, sagen wir, "Strange Kind of Woman" aus Made in Japan. Es ist sehr laut. Nach drei Minuten sage ich dem Streaming Dienst dann, er soll mir lieber Lucinda Williams oder wenigstens die Neue von Death Cab for Cutie geben. Man kann Deep Purple eigentlich nicht mehr hören - es sei denn, man trägt schwarze Lederjacken, hat immer noch lange Haare und hört auch manchmal Ozzy Osbourne. Kein Problem, aber eher was für Nischenbewohner.

Eigentlich ist das schade. Ian Gillan war ein großartiger Sänger. Selbst als Jesus in dem frühen Andrew-Lloyd-Webber-Musical "Jesus Christ Superstar" war er phänomenal. So phänomenal, dass unser damaliger Religionslehrer glaubte, er könne unsere Seelen dadurch retten, dass er uns in zwei Religionsdoppelstunden (er hatte dem Deutschlehrer dafür Zeit abgehandelt) die gesamte LP-Box vorspielte. Immerhin kann ich heute noch ein paar Passagen aus dem Werk auswendig.

Werde ich die neue Ian-Gillan-Platte anhören? Wahrscheinlich. Werde ich sie gut finden? Wahrscheinlich nicht. Werde ich das Gefühl beibehalten, ich sollte wieder mal Made in Japan ganz hören? Sicher. Werde ich es tun? Sicher nicht.

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