Kinderbuch:Glitzernd vor Freude

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Trauer um den unerwarteten Tod der Mutter. Der Erzähler muss für den jüngeren Bruder die Verantwortung übernehmen, weil der Vater mit der Situation nicht zurecht kommt. Erschütternd und wahrhaftig erzählt.

Von Hilde Elisabeth Menzel

Stefanie Höfner stellt ihrem neuen Roman "Der große schwarze Vogel" Rose Ausländers tröstliches Gedicht "Noch bist du da" voran. Es bereitet die Leser auf Abschied und Tod vor, aber es ist auch ein Gedicht über das Leben.

Im ersten, kursiv gedruckten Kapitel, überschrieben mit "Davor", erzählt der 14-jährige Ben von seiner ersten bewussten Erinnerung als Vierjähriger an seine wilde, fröhliche Mutter, die in einen Kastanienbaum geklettert war, um Kastanien für ihn hinunterzuwerfen. "Alles an ihr glitzert vor Freude." Die eigentliche Geschichte beginnt dann mit Bens schonungsloser Schilderung des völlig unerwarteten Todes seiner Mutter zu Hause, an einem "strahlenden Oktobertag", den Reaktionen seines kleinen sechsjährigen Bruders Karl, genannt Krümel, und seines Vaters, der fassungslos völlig außerstande ist, seinen Kindern eine Hilfe zu sein. Und er erzählt von der einen Woche vom Tod der Mutter bis zu ihrer Beerdigung, immer wieder unterbrochen von Erinnerungen zurück in seine glückliche Kindheit mit der lebensfrohen Mutter. Mit dem Kapitel "Jetzt", in dem Ben die Erfahrung macht, dass er im Gegensatz zu seiner Mutter kein Bäumekletterer ist, sondern eher ein Bäumeumarmer, beendet Ben seinen Rückblick und erzählt im Folgenden unter der Überschrift "Danach", dass das Leben weitergeht und auch wieder glückliche Momente kommen.

Mit dieser raffinierten Dramaturgie gibt Stefanie Höfler - eine der großen Begabungen unter den jungen deutschen Autorinnen und Autoren und mit ihrem Jugendbuch "Tanz der Tiefseequalle" für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2018 nominiert - auf nur 180 Seiten einen intensiven Einblick in das Leben der Familie mit der Mutter und der Zeit danach, in welcher der Vater und die beiden Jungen auf diesen Abschied auf völlig unterschiedliche Weise reagieren. Besonders gelungen ist ihr das Porträt des kleinen "Krümel", um den sich der große Bruder liebevoll kümmert und der seiner Mutter noch sehr nah ist.

Krümel nimmt auf seine ganz eigene Weise Abschied von ihr, indem er nachts ganz allein zum Friedhof geht, um dort in der Kapelle den Sarg der Mutter mit mitgebrachten Farben wild und bunt zu bemalen. Auch die Nebenfigur der neuen Klassenkameradin Lina bereichert die Geschichte sehr. Sie spricht Ben auf den Tod der Mutter an, und es stellt sich heraus, dass sie "Expertin für alles ist, was mit dem Tod zu tun hat" , weil ihr Bruder im Koma liegt. Der Vater allerdings kehrt erst in die Realität zurück, nachdem Ben ihn angeschrien und an seine Vaterpflicht erinnert hat. Doch als Krümel noch einmal verschwindet, ist es Ben, der ihn auf dem Dach der Friedhofskapelle findet. Ganz ohne jeden Kitsch erzählt die Autorin vom wiederholten Auftauchen der Mutter, und wie Ben sie wegschickt, "ein für alle Mal", damit sein kleiner Bruder trauern kann. Trauer und Tod sind wichtige Themen in der Kinder- und Jugendliteratur, doch selten wurde so berührend, so erschütternd und wahrhaftig davon erzählt wie in Stefanie Höflers "Der große schwarze Vogel". (ab 12 Jahre)

Stefanie Höfler : Der große schwarze Vogel. Beltz & Gelberg, Weinheim 2018. 182 Seiten. 13,95 Euro

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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