Außenansicht:Viel zu diskret

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Die Vorschläge der Bundesregierung für eine verschärfte Mietpreisbremse bringen kaum etwas. Deutlich drastischere Gesetze wären angesichts der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht nur angemessen, sondern auch dringend notwendig.

Von Markus Artz

Markus Artz, 49, ist Direktor der Forschungsstelle für Immobilienrecht an der Universität Bielefeld. (Foto: Paul Maassen)

Nach dem Bohr'schen Atommodell, mit dem sich der Autor dieses Beitrags zuletzt in seiner Abiturprüfung 1988 zu beschäftigen hatte, ändern Atome ihre Energie nur in diskreten Schritten - man spricht von einem Quantensprung. Insoweit ist Justizministerin Katarina Barley uneingeschränkt zuzustimmen, wenn sie den Entwurf eines neuen Mieterschutzgesetzes als einen solchen bezeichnet. Denn die Besserstellung der Mieter durch das zukünftige Recht fällt bei genauerem Hinsehen außerordentlich diskret aus und bleibt weit hinter dem zurück, was für eine tatsächliche Verschärfung der 2015 eingeführten sogenannten Mietpreisbremse notwendig wäre.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass man in die Rechte von Vermietern enorm eingreift, wenn die Preisfindung einer Mietwohnung nicht mehr den Kräften des Marktes überlassen, sondern durch ein befristetes Gesetz reguliert wird. Angesichts der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt war und ist ein solcher Schritt aber angemessen und notwendig. Nach einer Studie der Berliner Humboldt-Universität aus dem September 2017 geben in deutschen Großstädten 40 Prozent der Haushalte mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Eine Million Haushalte wenden sogar über 50 Prozent des Einkommens fürs Wohnen auf.

Für Bürger und Familien mit Durchschnittseinkommen ist es in einigen Städten illusorisch, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Lehrer, Polizistinnen, Ärztinnen und Krankenpfleger pendeln stundenlang aus dem Umfeld in die Städte, um für Bildung, Sicherheit und Gesundheit der Menschen zu sorgen, die sich ein Leben in München oder Stuttgart, Köln und Düsseldorf noch leisten können. Paare, deren Kinder aus dem Haus sind, verlassen ihre viel zu große Altbauwohnung nicht, weil sie keine kleine Wohnung zu angemessenem Preis finden, sodass bestehender Wohnraum jüngeren Familien nicht zur Verfügung steht. Das tut unserer Gesellschaft nicht gut. Wohnraum ist kein Wirtschaftsgut wie jedes andere, sondern eine wesentliche Grundlage für das Leben der Menschen. Daher übertreibt die Politik nicht, das Wohnen als neue soziale Frage zu bezeichnen.

Es war deshalb auch richtig, vor drei Jahren die sogenannte Mietpreisbremse einzuführen, die zwar nicht wirkungslos geblieben ist, den Anstieg der Mietpreise allerdings noch nicht entscheidend eindämmen konnte. Woran liegt das, und was wäre nun zu tun?

Die Miethöhe wird in aller Regel vom Vermieter bestimmt. Er bringt die Wohnung zu einem bestimmten Preis an den Markt. Missachten Vermieter die gesetzlichen Grenzen, indem sie eine Miete aufrufen, die über dem Wert der ortsüblichen Vergleichsmiete plus zehn Prozent liegt, spricht nichts dagegen, dies mit einem Bußgeld zu belegen. Dazu müsste der bereits existierende, aber weitgehend wirkungslose § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzbuchs gangbar gemacht werden.

Wohnungsbau in allen Facetten und eine Aufwertung des ländlichen Raums tun not

Vermietern ist es nach dem geltenden Recht in Ausnahmefällen aber auch erlaubt, eine höhere Miete zu verlangen. Dies ist etwa bei Neubauten zur Förderung von Investitionen in Wohnraum nachvollziehbar und gerechtfertigt. Im Fokus des neuen Mieterschutzgesetzes steht jedoch ein anderer Ausnahmetatbestand: Die sogenannte Vormiete. Vermieter, die bislang schon eine höhere Miete verlangt haben, sind berechtigt, die Wohnung auch bei einer Neuvermietung zu diesem Preis anzubieten. Es kursiert der Begriff des Bestandsschutzes. Allerdings gibt es einen solchen im Zivilrecht nach Vertragsende nicht! Wenn der alte Mietvertrag beendet ist, werden alle Uhren auf null gestellt. Warum soll dieser Vermieter anders behandelt werden als sein Nachbar, der auch in der Vergangenheit zu einem moderaten Preis vermietet hat? Dafür gibt es keinen nachvollziehbaren Grund. Nach dem neuen Gesetz soll der Vermieter verpflichtet werden, den Mietinteressenten vorab über die Höhe der Vormiete aufzuklären. Zahlen muss der Mieter die hohe Miete dann gleichwohl. Wirklich geholfen wäre Mietern allerdings, wenn auch in diesem Fall die Wohnung bei Neuvermietung von der Mietpreisbremse erfasst würde. Dies wäre mehr als ein diskreter Schritt!

Dass die Auswirkungen der Mietpreisbremse bislang offenbar gering sind, liegt aber auch am Verhalten der Mieter. Das Gesetz verlangt von Mietern, entweder selbständig die vereinbarte Miete bei Zahlung zu kürzen oder dem Vermieter gegenüber die Verletzung der Mietpreisbremse zu rügen, um dann später einen Teil der Miete zurückverlangen zu können. Die Anforderungen an diese Rüge sollen nun gesenkt werden. Damit beseitigt man aber den Webfehler des Gesetzes nicht.

Unterschreibt ein Mieter, der endlich eine Wohnung am Prenzlauer Berg gefunden hat, einen Mietvertrag, in dem 1500 Euro als Kaltmiete vermerkt sind, muss er, um seine Rechte zu wahren, seinem neuen Vermieter vor der ersten Mietzahlung einen Brief oder eine E-Mail zusenden und mitteilen, sich nicht zur Zahlung der versprochen Miete verpflichtet zu fühlen. Rügt der Mieter nicht und zahlt die volle Miete, darf der Vermieter das Geld behalten. Die Erfahrung zeigt, dass Mieter in der Regel zunächst kommentarlos und vollständig zahlen. Welcher Mieter möchte das neue Mietverhältnis vom ersten Tag an mit einem solchen Konflikt beladen? Dieses Problem wird durch das neue Mieterschutzgesetz nicht behoben. Auch mit der einfachen Rüge bringt der Mieter klar zum Ausdruck, sich an das gerade gegebene Wort nicht zu halten. Mehr als ein diskreter Schritt hätte in der Abschaffung der Rügeobliegenheit gelegen. Mieter müssten sich nicht am ersten Tag mit ihrem Vermieter anlegen, und Vermieter, die sich nicht an die Preisbegrenzung halten, drohte dauerhaft die Rückforderung der überhöhten Miete.

Ohne Zweifel können allein Mieterschutzgesetze die Wohnungsnot in Ballungsräumen nicht lösen. Auch eine wirkungsvolle Mietpreisbremse ist nur ein Instrument neben vielen anderen, etwa dem Wohnungsbau in allen Facetten und der dringend erforderlichen Aufwertung des ländlichen Raums. Ziel muss es sein, die Märkte in den Ballungsräumen zu entspannen. Ein weiterer Hebel liegt in der Durchsetzung des sogenannten Zweckentfremdungsverbots. Wohnraum wird in attraktiven Städten dem Markt entzogen, weil er nicht langfristig, sondern tageweise an Touristen vermietet wird. Wohnraum muss in einer derart angespannten Lage aber für die Bürger der Städte da sein.

Das komplizierte Verhältnis zwischen Vermietern und Mietern lässt sich nur schwer austarieren. Die Lage in den Ballungsräumen fordert einen großen Wurf.

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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