CO₂:Der Klimakiller als Rohstoff

Das Tata Steel Stahl und Hüttenwerk in IJmuiden Velsen Nordholland Niederlande größtes Industri

Hüttenwerk an der Nordsee: Bislang verbrennen Stahlhersteller Hüttengase wie Kohlendioxid, um Strom und Wärme zu erzeugen.

(Foto: Jochen Tack/imago)

Thyssenkrupp nutzt Hüttengase aus dem Stahlwerk, um Kraftstoff herzustellen. Viele Chemiekonzerne forschen daran, Treibhausgase zu verwerten, statt sie in die Luft zu pusten. Der Erfolg solcher Projekte hängt auch vom Ölpreis ab.

Von Benedikt Müller, Duisburg

Guido Kerkhoff versucht erst gar nicht, den großen Chemiker zu geben. "Ich hatte mal einen Leistungskurs", erzählt der Chef von Thyssenkrupp, "aber das ist lange her." Und doch produziert sein Unternehmen seit diesem Donnerstag auch Chemikalien: Deutschlands größer Stahlhersteller Thyssenkrupp fängt Hüttengase aus seinem Werk in Duisburg ein, um daraus Treibstoff oder Kunstdünger zu gewinnen. Die Idee des Entwicklungsprojekts: Der Konzern will die vielen Treibhausgase, die bei der Stahlherstellung freiwerden, künftig verwerten, anstatt sie in die Luft zu pusten.

Dicke, graue Rohre transportieren nun Hüttengase in ein neues Labor, das Thyssenkrupp in Sichtweite seines Stahlwerks gebaut hat. Bislang verbrennen Stahlhersteller die Gase, um Strom für ihre Werke zu erzeugen. Doch bestehen Hüttengase nicht nur aus Stickstoff und Wasserstoff, sondern auch aus Treibhausgasen wie Methan oder Kohlendioxid, die zum Klimawandel beitragen. Thyssenkrupp stellt aus dem Gemisch nun Methanol her, das als synthetischer Kraftstoff Fahrzeuge antreiben kann. Demnächst will der Konzern auch Ammoniak produzieren, einen Rohstoff für Mineraldünger.

Mit Schaumstoffen auf CO₂-Basis lassen sich Matratzen und Polstermöbel füllen

Mit seinem Projekt "Carbon 2 Chem" ist Thyssenkrupp nicht allein. Mehrere Konzerne erforschen, wie sie CO₂ künftig recyceln können. Denn der enthaltene Kohlenstoff ist eine der wichtigsten Ressourcen der Chemieindustrie. Beispielsweise stellt das Dax-Unternehmen Covestro ein Vorprodukt eines weichen Schaumstoffs her, das zu bis zu 20 Prozent aus Kohlendioxid besteht. Der Schaum kommt in Matratzen und Polstermöbeln zum Einsatz.

Auch Siemens und Evonik tüfteln gemeinsam daran, Chemikalien wie Butanol oder Hexanol aus dem Treibhausgas herzustellen. Ihre Versuchsanlage entsteht in Marl im Ruhrgebiet. Sie soll voraussichtlich im Jahr 2021 den Betrieb aufnehmen.

Bis aus solchen Experimentierfeldern große Chemiefabriken werden, die den CO₂-Ausstoß der Industrie spürbar senken, dürften freilich noch Jahre vergehen. Denn noch ist es für Chemiekonzerne viel günstiger, Kohlenstoff aus Erdöl zu gewinnen. Je günstiger sie Öl auf dem Weltmarkt kaufen können, desto schwerer werden es die Alternativen aus dem Ruhrpott haben.

Im Projekt "Carbon 2 Chem" arbeitet Thyssenkrupp mit Partnern zusammen. Denn Hüttengase gibt es zwar reichlich an Europas größtem Stahlstandort Duisburg. Doch langfristig sieht sich Thyssenkrupp nicht als Betreiber einer großen Methanol- oder Ammoniakfabrik. Daher forschen Chemiekonzerne wie Covestro oder Clariant in dem Labor mit daran, was sich aus den Hüttengasen gewinnen lässt. Auch das Fraunhofer- und das Max-Planck-Institut beteiligen sich an dem Projekt.

Das Bundesforschungsministerium hat "Carbon 2 Chem" mit 60 Millionen Euro Fördergeld unterstützt. "Aus dem Treibhausgas, das unser Klima zerstört, wird so ein wertvoller Rohstoff", sagt Ministerin Anja Karliczek. "Das ist schlicht eine Sensation." Die CDU-Politikerin hofft, dass die Projektpartner ihre Technologie auch an andere Stahlstandorte auf der Welt bringen werden. "Der Export von Systemlösungen ist unser größer Hebel, um zum weltweiten Klimaschutz beizutragen", sagt Karliczek. Auch in Zementwerken oder Müllverbrennungsanlagen lohne es sich, Abgase zu recyceln.

Neben das Technikum in Duisburg, wo die Hüttengase gereinigt und schließlich in die Versuchslabore weiter geleitet werden, hat Thyssenkrupp ein Elektrolyse-Labor gebaut. Dort stellen die Projektpartner zusätzlichen Wasserstoff her, damit sie mehr Chemikalien aus den vorhandenen Hüttengasen gewinnen. Diese Elektrolyse braucht viel Strom. Dafür will Thyssenkrupp überschüssigen Ökostrom nutzen - in Zeiten, in denen viel Wind weht oder die Sonne scheint. So soll "Carbon 2 Chem" dazu beitragen, Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt besser auszugleichen. Der Erfolg des Projekts hängt mithin auch davon ab, wie günstig die Projektpartner Ökostrom einkaufen können.

Thyssenkrupp-Chef Kerkhoff betont, dass mehrere Sparten seines Konzerns zu der Innovation beitragen: Zwar fallen die Hüttengase in der Stammsparte, der Stahlherstellung, an. Die neuen Labore gebaut haben indes Beschäftigte der Anlagenbausparte des Konzerns. Investoren bemängeln immer wieder, dass Thyssenkrupp mit seinen vielen verschiedenen Geschäften viel zu komplex aufgestellt sei. Kerkhoff beschwört hingegen sogenannte Durchbruchinnovationen wie "Carbon 2 Chem", "die an den Grenzflächen unterschiedlicher Industrien entstehen".

Der Betriebswirt und Finanzfachmann steht seit gut zwei Monaten an der Spitze von Thyssenkrupp, nachdem sowohl der langjährige Vorstandschef Heinrich Hiesinger als auch Chefkontrolleur Ulrich Lehner zurückgetreten sind. Beide vermissten zuletzt den nötigen Rückhalt großer Aktionäre. Kerkhoff führt den Traditionskonzern nun zumindest für den Übergang, da der Aufsichtsrat noch immer einen neuen Vorsitzenden und eine neue Strategie sucht.

Mit "Carbon 2 Chem" knüpft der Konzern indes an die alte Strategie der Kreislaufwirtschaft an: Seit jeher verwenden Stahlwerke neben Eisenerz und Koks auch alten Stahlschrott, wenn sie neuen Stahl herstellen. Denn die wichtigen Materialeigenschaften ändern sich nicht, wenn Stahl eingeschmolzen und wiederverwendet wird. Seit dem 19. Jahrhundert nutzt die Branche zudem das Gas aus ihren Hochöfen, um Strom und Wärme zu erzeugen. Dieser Kreis könnte sich nun zur Chemie- und Landwirtschaft hin schließen. Denn: "Was für den einen Abfall ist", sagt Forschungsministerin Karliczek, "kann für den anderen ein dringend notwendiges Produkt sein".

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