Korruptionsaffäre in Regensburg:"Man hat meinen Mandanten vernichtet"

Prozess Oberbürgermeister Wolbergs

Viereinhalb Jahre nach seiner Wahl zum Regensburger Oberbürgermeister steht Joachim Wolbergs vor Gericht. Er muss sich wegen Vorteilsannahme verantworten. Er weist alle Vorwürfe zurück.

(Foto: dpa)
  • Vier Angeklagte, mehrere Dutzend Zeugen und fast 100 Verhandlungstage: In Regensburg hat der Mammutprozess um die Parteispendenaffäre begonnen.
  • Im Mittelpunkt steht der suspendierte SPD-Oberbürgermeister Joachim Wolbergs. Der 47-Jährige muss sich wegen Vorteilsannahme und Verstoß gegen das Parteiengesetz verantworten.
  • Als er den Saal des Landgerichts betritt, gibt er sich nicht als Beschuldigter und seine Verteidiger beginnen mit einem Rundumschlag gegen Medien und Staatsanwaltschaft.

Aus dem Gericht von Andreas Glas und Annette Ramelsberger

Es ist kurz vor 9 Uhr, als Joachim Wolbergs (SPD) Saal 104 des Landgerichts betritt. Er kommt als Beschuldigter, aber er gibt sich nicht so. Am Revers seines Sakkos trägt Wolbergs einen winzig kleinen Anstecker: das Regensburger Stadtwappen. Hier will einer sagen: Ich bin immer noch Oberbürgermeister dieser Stadt. Und ich will es bleiben.

In Regensburg hat am Montag der Prozess gegen den suspendierten OB begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, rund 475 000 Euro Spenden des Bauträgers Volker Tretzel angenommen zu haben, dazu persönliche Vorteile wie vergünstigte Wohnungen und Renovierungsleistungen - in Höhe von mehr als 120 000 Euro. Im Gegenzug soll Wolbergs sich für die Vergabe eines städtischen Baugrundes an Tretzel eingesetzt haben: das sogenannte Nibelungenareal. Projektvolumen etwa 23 Millionen Euro. Wolbergs und Tretzel stehen unter Korruptionsverdacht.

Insgesamt vier Angeklagte sitzen im Gerichtssaal. In der ersten Reihe Wolbergs und seine Anwälte, dahinter Tretzel und eine Armada an Rechtsberatern. In der letzten Reihe, fast nicht zu sehen: Franz Wild, früher Geschäftsführer der Firma Tretzel, und der ehemalige SPD-Rathausfraktionschef Norbert Hartl. Wild gilt als Organisator des Spendensystems. Mehrere Tretzel-Mitarbeiter hatten zwischen 2011 und 2016 insgesamt 48 Einzelspenden über je 9900 Euro an Wolbergs' SPD-Ortsverein überwiesen. Unter den Spendern war auch Volker Tretzels Schwiegermutter, eine über 90 Jahre alte Dame. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem "Strohmann-System", das die Spenden verschleiern sollte, weil das Parteiengesetz eine Offenlegung erst ab einer Spendensumme von 10 000 Euro Höhe vorsieht. Der SPD-Politiker Hartl wiederum soll die Ausschreibung des Nibelungenareals mit Tretzels Firma BTT GmbH bis in Einzelheiten abgesprochen und sogar eine E-Mail an die Firma geschickt haben, in der er sie aufforderte, Änderungswünsche "in Rot" einzutragen.

Wolbergs verfolgt die Verlesung der Anklage mit verschränkten Armen, konzentriert, den Blick geradeaus. Er hört, wie die Staatsanwältinnen Christine Ernstberger und Ingrid Wein ihm vorwerfen, er habe sich mit Tretzel "zumindest konkludent" darauf verständigt, dessen Firma zu unterstützen und sein Ermessen "einseitig und damit pflichtwidrig" auszuüben, um sich für die Vergabe des Nibelungenareals an Tretzel einzusetzen. Im Oktober 2014 stimmte der Stadtrat mehrheitlich für die Vergabe an dessen Firma - von den vielfachen Spenden an Wolbergs' Ortsverein und den von der Anklage vermuteten Absprachen hätten die Stadträte aber laut Anklage keine Kenntnis gehabt.

"seine Existenz ist zerstört"

Die Staatsanwältinnen listen eine Fülle von Indizien auf, die für Absprachen zwischen Wolbergs und Tretzel sprechen. So hatte Wolbergs bereits am Tag nach seiner Amtseinführung 2014 der Stadtverwaltung mitgeteilt, dass das Nibelungenareal - für das es bereits eine Ausschreibung gab, bei der Großspender Tretzel nicht zum Zuge kommen sollte - neu ausgeschrieben wird. Die Staatsanwaltschaft sieht in diesem Verhalten Hinweise für Bestechung und Bestechlichkeit, während das Gericht in seinem Eröffnungsbeschluss erklärt hatte, es sehe keine Bestechlichkeit, sondern nur Vorteilsannahme - was einen erheblichen Unterschied beim Strafrahmen ausmacht.

Am Nachmittag tritt dann Wolbergs-Verteidiger Peter Witting ans Rednerpult - zum Rundumschlag gegen Staatsanwaltschaft und Medien. "Man hat meinen Mandanten vernichtet", sagt Witting, "seine Existenz ist zerstört." Auf eine Leinwand projiziert er die Schlagzeilen der vergangenen knapp zweieinhalb Jahre, für ihn Indizien für eine "mediale Vorverurteilung" seines Mandanten - darunter das berühmte Schwarz-Weiß-Foto, das den toten Uwe Barschel zeigt, der in einer Badewanne liegt. Mit einem Unterschied: dem Gesicht von Wolbergs als Fotomontage. Das Foto war in der Regensburger Stadtzeitung erschienen. Darüber der Satz: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort."

Der Staatsanwaltschaft wirft Witting schwere Fehler vor. Etwa bei der Telefonüberwachung, bei der die Ermittler unter anderem Verteidigergespräche mitgehört hatten. Vor allem aber kritisiert er die aus seiner Sicht unrechtmäßige Verhaftung seines Mandanten im Januar 2017. Witting verweist auf die unklare Rechtslage, was die Parteispenden betrifft. "In Regensburg kennt jeder jeden", sagt Witting, und kritisiert, dass aus dieser Nähe nicht automatisch der "Anschein der Käuflichkeit" abgeleitet werden dürfe.

"Da geht es um Dinge, die wollen Sie gar nicht hören"

Dann kommt Tretzel-Anwalt Florian Ufer. Und er lässt auf dem Richtertisch ein Gutachten nach dem anderen stapeln: eines, das zeigen soll, dass Tretzel das Nibelungenareal nicht zu günstig, sondern zu teuer von der Stadt Regensburg gekauft hat. Angeblich hat er 1,7 Millionen zu viel gezahlt. Dann ein Gutachten, das zeigen soll, dass es nicht gegen geltendes Recht verstoße, dass die SPD-Stadtratsfraktion die Firma Tretzel direkt an der Ausschreibung beteiligt hat. Und auch dass es nicht unrechtmäßig ist, dass Wolbergs den Stadtrat nicht darüber informiert hat.

Für alles lässt sich die Expertise eines Juristen finden. Ein Frankfurter Strafrechtler nimmt qua Gutachten den Haftbefehl gegen Tretzel und Wolbergs auseinander. Ein Ordinarius aus Erlangen zerpflückt die Abhöraktionen gegen die Angeklagten. Es gehe um Krankheiten und Partnerprobleme, den Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung. "Da geht es um Dinge, die wollen Sie gar nicht hören", sagt Ufer. Alles unrechtmäßig erhoben, sagt Ufer, einige Male wurden sogar Gespräche mit Verteidigern abgehört. Er kündigt an, einen Antrag zu stellen, dass diese Beweise nicht verwertet werden dürfen. Und er präsentiert auch noch die Schlussfolgerungen des Gerichts, aus dem bisher nicht veröffentlichten Eröffnungsbeschluss: Das Gericht habe erklärt, dass es an einer Unrechtsvereinbarung zwischen Wolbergs und Tretzel fehle. Und auch relevante Indizien dafür, dass Wolbergs bestechlich sei, ließen sich vermutlich nicht nachweisen. Alles Sätze aus dem Beschluss des Gerichts, genauso wie dieser: Die Vergabe des Nibelungenareals durch den Stadtrat an Tretzel sei nachvollziehbar und sachgerecht. Die Verteidiger sehen sehr siegessicher aus.

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