Nato:"Signifikante Gefahr"

Nato: „America first“: US-Außenminister Mike Pompeo (links) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel.

„America first“: US-Außenminister Mike Pompeo (links) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel.

(Foto: Francisco Seco/AP)

Das Bündnis wirft Russland einen "erheblichen Bruch" des INF-Vertrags zum Verbot von Mittelstreckenraketen vor. Moskau hat sechzig Tage Zeit, um zu reagieren.

Von Matthias Kolb und Paul-Anton Krüger, Brüssel/München

So deutlich wie nie zuvor haben die 29 Nato-Mitgliedstaaten Russland beschuldigt, den INF-Vertrag zum Verbot von nuklearen Mittelstreckenraketen "erheblich" gebrochen zu haben. US-Außenminister Mike Pompeo setzte Moskau eine Frist von 60 Tagen, seine Verpflichtungen "vollständig und nachprüfbar" zu erfüllen. Dazu müssten die bodengestützten Marschflugkörper vom Typ SSC-8, nach russischer Benennung 9M729 zerstört werden. Pompeo erklärte in Brüssel, dass sich die USA andernfalls nicht mehr an ihre Verpflichtungen durch den 1987 geschlossenen Vertrag gebunden sehen würden. Das wurde im Nato-Hauptquartier als Ankündigung interpretiert, dass Präsident Donald Trump den Vertrag Anfang Februar offiziell kündigen und eine sechsmonatige Übergangsphase einleiten wird. Dies wäre die letzte Chance, Moskau zum Umdenken zu bewegen. Das russische Außenministerium wies die Vorwürfe der Nato-Staaten am Dienstagabend zurück. "Russland hält sich strikt an die Bestimmungen des Vertrages, und das ist der amerikanischen Seite auch bekannt", sagte eine Ministeriumssprecherin nach Angaben der Agentur Interfax. Die russischen Marschflugkörper können laut westlichen Geheimdiensten weiter als 500 Kilometer fliegen, was laut INF-Vertrag verboten ist. Sie werden in der Nato-Erklärung als "signifikante Gefahr" für die euro-atlantische Sicherheit beschrieben, was auf einen Kompromiss zwischen der Trump-Regierung und übrigen Nato-Partnern schließen lässt: Nachdem Washington seit 2013 Moskau mit dem Vorwurf des Vertragsbruchs konfrontiert und laut Pompeo 30 Mal um Aufklärung gebeten hat, hatte Trump im Oktober einen einseitigen Austritt angekündigt. Mit ihrer Erklärung will die Nato nun ein Zeichen der Einigkeit senden. "Russland hat nun eine letzte Chance, seine Verpflichtungen einzuhalten", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg. Aber man müsse sich "auch auf eine Welt ohne den INF-Vertrag vorbereiten".

Das sei am wahrscheinlichsten. Bundesaußenminister Heiko Maas wertete es als Erfolg, dass die Aufkündigung des Vertrags verhindert worden sei. Moskau sei Zeit eingeräumt worden, seine Verpflichtungen wieder zu erfüllen. In den kommenden zwei Monaten müssten noch viele Gespräche geführt, sagte Maas, der zugleich betonte: "Wir wollen keine Aufrüstungsspirale in Europa." Konkrete Konsequenzen wird die Nato voraussichtlich erst einleiten, wenn Moskau Aufforderungen nach einer zügigen Vernichtung der Waffen ignoriert. Die Allianz könnte beispielsweise mit einem Ausbau der Raketenabwehr in Europa reagieren.

Pompeo hatte zuvor Russlands Verstöße gegen den INF-Vertrag als ein Beispiel dafür angeführt, dass die bestehende internationale Ordnung reformiert werden müsse. Zwar kündigte er in einer Rede vor dem German Marshall Fund keine konkreten Schritte an, sagte aber, dass Präsident Trump "eine neue liberale Ordnung" errichten wolle, die von US-Interessen geleitet sei - was Pompeo jedoch als Verteidigung des bestehenden Systems zu verkaufen suchte. Amerika wolle weiter mit seinen Partnern zusammenarbeiten.

Pompeo wies damit Kritik zurück, unter Trump ziehe sich Washington gemäß dessen "America first"- Politik aus der internationalen Verantwortung zurück und agiere zunehmend unilateral. "Sogar einige unserer europäischen Freunde sagen manchmal, wir handelten nicht im Interesse der Welt. Das ist schlicht falsch!"

Jedoch habe man zugelassen, dass die internationale Ordnung nach dem Kalten Krieg zu korrodieren begann. China nutze das System zugunsten seiner Wirtschaft aus, Russland verletze internationale Verträge, ebenso Iran und Nordkorea. Dem setze Trump entschlossene Führung entgegen, etwa indem er Nordkorea konfrontiert habe. Multilateralismus werde zu oft als Selbstzweck gesehen, kritisierte Pompeo. Die USA wollten ihre Souveränität ausüben, um die internationale Ordnung zu reformieren. Pompeo rief die Verbündeten dazu auf, dies zu unterstützen.

Internationale Körperschaften müssten Zusammenarbeit im Sinne "der Sicherheit und der Werte der freien Welt" ermöglichen - oder reformiert beziehungsweise abgeschafft werden. Wenn Verträge gebrochen würden, müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Pompeo bekräftigte, Washington werde überholte oder schädliche Verträge neu verhandeln oder kündigen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: