Energiewende:Wenn die KI die Heizung anwirft

Energiewende: Mercedes will mithilfe von Wind und Sonne künftig Energie für den Eigenbedarf produzieren.

Mercedes will mithilfe von Wind und Sonne künftig Energie für den Eigenbedarf produzieren.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
  • Manche Verteilnetze geraten mit der Energiewende kräftig unter Druck - etwa, wenn sehr viel Solarstrom gleichzeitig ins Netz eingespeist wird.
  • Stromnetz-Betreiber setzen nun auf Künstliche Intelligenz, um die Stromnetze zu steuern.
  • Der Algorithmus analysiert Erzeugung, Bedarf und Netzauslastung, und entscheidet auch über den Betrieb von Elektrogeräten wie Waschmaschinen.

Von Ralph Diermann

Wenn über Schwaben die Sonne scheint, wird es eng in den Stromleitungen der Wertachau, einer Einfamilienhaussiedlung 30 Kilometer südlich von Augsburg. Auf vielen Gebäuden sind Solaranlagen installiert, die bei Sonnenschein das lokale Verteilnetz mit Strom fluten. Dafür sind die Leitungen aber nicht ausgelegt. Bei schönem Wetter laufen sie mitunter über: Strom fließt in die überörtlichen Netze ab, was deren Steuerung komplizierter macht. Zudem muss der zuständige Netzbetreiber, die Innogy-Tochter Lechwerke, mehr Aufwand betreiben, um die Spannung in den Kupferkabeln konstant zu halten.

Die Wertachau ist kein Einzelfall. Gerade im ländlichen Raum geraten manche Verteilnetze mit der Energiewende kräftig unter Druck. Das größte Problem der Netzbetreiber liegt darin, dass die Solaranlagen vor allem dann Strom liefern, wenn nur wenig davon gebraucht wird. Denn mittags, zur höchsten Sonneneinstrahlung, sind die meisten Bewohner außer Haus. Sorgen bereitet ihnen aber auch, dass der Verbrauch nach Feierabend künftig stark steigen dürfte, was die Netze ebenfalls belastet. Denn Bauherren entscheiden sich immer häufiger für strombetriebene Wärmepumpen statt für Gas- oder Ölkessel. Und auch die Elektroautos wollen geladen werden, wenn die Pendler abends heimkommen.

Künstliche Intelligenz soll Stromverbrauch und Erzeugung abstimmen

Innogy, einer der großen deutschen Verteilnetz-Betreiber, will der Situation nun mit künstlicher Intelligenz (KI) begegnen. Zusammen mit der Aachener Universität RWTH und weiteren Partnern hat das Unternehmen ein KI-basiertes Steuerungssystem entwickelt, das den Stromverbrauch in Verteilnetzen automatisch auf die lokale Erzeugung abstimmt. Als Testfeld wurde die Wertachau gewählt. Um künftige Bedingungen zu simulieren, hat Innogy den Bewohnern dort drei Elektroautos zur Verfügung gestellt und mehrere Batteriespeicher installiert. Herzstück der "Smart Operator" getauften Steuerung ist ein Algorithmus, der selbständig entscheidet, wann die Batterien sowie die angeschlossenen Verbrauchsgeräte wie Waschmaschinen oder Trockner Strom beziehen - innerhalb eines Zeitfensters, den die Teilnehmer des Pilotprojekts vorab definieren.

Um die richtigen Entscheidungen zu treffen, analysiert der Algorithmus laufend Erzeugung, Bedarf und Netzauslastung. "Anhand von Wetterprognosen weiß der Smart Operator zum Beispiel, mit wie viel Einspeisung zu rechnen ist", sagt Joachim Schneider, Bereichsvorstand Technik & Operations bei Innogy. Damit kann er Ladevorgänge oder den Betrieb der Elektrogeräte in die Zeiten verschieben, in denen die Solarsysteme viel Strom liefern. Auch Wärmepumpen und Nachtspeicherheizungen nutzt die Software zum Puffern, da sich die erzeugte Wärme gut speichern lässt. Dabei wird sie mit der Zeit immer besser: Durch die Auswertung von Netzdaten überprüft sie permanent, wie gut die Regelung funktioniert, und lernt daraus. Rund 35 Prozent mehr lokal erzeugten Grünstrom konnten die Netze in der Wertachau und in zwei weiteren Testgebieten laut Schneider so aufnehmen. "Auf diese Weise kann ein kostspieliger Ausbau der Netze verringert werden", sagt er. Nun will das Unternehmen die KI-Lösung auch in anderen Verteilnetzen einsetzen.

Ein vielversprechender Ansatz, meint Robert Spanheimer vom Digitalverband Bitkom. "KI kann aus großen Datenmengen Schlüsse ziehen, daraus Entscheidungen ableiten und diese dann oft auch selbst umsetzen. Solche Lösungen arbeiten also nicht stur ein vorab definiertes Programm ab, sondern agieren abhängig von der jeweiligen Situation", erklärt er. Damit eigne sich KI für vielerlei Anwendungen in der Energieversorgung. Spanheimer nennt ein weiteres Beispiel: "KI-Lösungen können auch helfen, Störungen im Energiesystem wie etwa einen Hackerangriff oder ein technisches Problem frühzeitig zu erkennen, indem sie Netzdaten auf Muster analysieren." Erkennen sie unerwartete Abweichungen, deutet das auf ein Problem hin. Perspektivisch könnten sie gar selbst Gegenmaßnahmen einleiten, so Spanheimer.

Die Software weiß, wie die Bewohner der Häuser ihre Räume nutzen

Auch auf Ebene einzelner Gebäude sieht er Einsatzmöglichkeiten für selbstlernende Analysesysteme. So hat etwa Eon zusammen mit Microsoft ein KI-basiertes Energiemanagementsystem für Haushalte entwickelt, das im Frühjahr auf den Markt kommen soll. Damit zielt der Versorger unter anderem auf Hausbesitzer, die eine Solaranlage auf dem Dach und ein Elektroauto in der Garage haben. "Das System antizipiert, wann wie viel Solarenergie zur Verfügung stehen und wie viel Strom im Haus benötigt wird. Auf dieser Basis entwickelt es für jeden Tag eine individuelle Ladestrategie", erklärt Eon-Experte Hassan Harb. Zudem soll die Software es Haushalten ermöglichen, am Strommarkt aktiv zu werden. "Wer zum Beispiel einen Solar-Batteriespeicher besitzt, kann dann bei hohen Börsenpreisen Strom aus dem Speicher verkaufen", sagt Harb. Wenn jedoch bundesweit sehr viel Wind- oder Solarenergie erzeugt wird und Einkäufer an der Börse gar noch Geld für die Abnahme bekommen, können die Batterien genutzt werden, um Strom aus dem Netz einzuspeichern. "Ob, wann und wie viel Strom ge- oder verkauft wird, legt das System anhand von Vorhersagen der Börsenpreise und des Energiebedarfs der Haushalte fest", so Harb.

Während KI im Netzbetrieb und bei der Steuerung von Batterien und Ladestationen noch in den Kinderschuhen steckt, hat sie in die Heizungskeller bereits Einzug gehalten: In manchen Büro- und Einzelhandelsimmobilien und auch in einigen Mehrfamilienhäusern werden heute Prognoseverfahren eingesetzt, um die Erzeugung der Wärme besser an den Bedarf anzupassen. Wie das Heizen mit KI konkret funktioniert, erläutert Nico Klecka von Leanheat, ein Hersteller solcher Steuerungen. "Zunächst einmal muss das System das Gebäude verstehen: Wie sind dessen thermodynamische Eigenschaften, wie viel Wärme speichern Wände und Böden, wie verhält es sich bei Sonnenschein?" Dazu wird die Software mit einer Vielzahl von Daten gefüttert - etwa den Temperaturen in den einzelnen Räumen, mit Betriebsdaten der Heizung und Wetterdaten wie Sonneneinstrahlung oder Außentemperatur. In diesen Informationen erkennt sie Muster, aus denen sie dann ableiten kann, wann wie stark geheizt werden muss, damit die gewünschten Raumtemperaturen erreicht werden. Da die Außentemperatur und die Sonneneinstrahlung durch die Fenster dabei wichtige Faktoren sind, berücksichtigt sie auch Wetterprognosen. Zudem arbeiten die Systeme mit Feedbackschleifen, sodass die Steuerung stetig genauer wird. "Haushalte können so zwischen fünf und fünfzehn Prozent Energie einsparen", sagt Klecka.

Dafür müssen die Nutzer der Gebäude aber in Kauf nehmen, dass die Software-Hersteller erfahren, wann welche Räume genutzt werden. Was in Büros oder Hotels wohl kein Problem ist, dürfte manchen Eigentümer zurückschrecken lassen. Die Daten lassen Rückschlüsse auf den Alltag der Haushalte zu - vielen Menschen bereitet so viel Transparenz Bauchschmerzen. Die Sorge um die Privatsphäre könnte auch beim Einsatz von KI zur Steuerung von Ladestationen und Batteriespeichern zur Hürde werden.

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