Tempolimit:Mal langsam

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Wer nicht schneller als 130 km/h fährt, kommt vielleicht langsamer ans Ziel, aber spart dabei viel Benzin. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Erste Expertenvorschläge zum Tempolimit hat Verkehrsminister Scheuer noch als "gegen jeden Menschenverstand" kommentiert. Doch so leicht wie früher lässt sich das Thema nicht mehr vom Tisch wischen.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Das Wort hat zehn Buchstaben und wird alle paar Jahre einmal durchbuchstabiert: das Tempolimit. Bislang blieb das stets ohne Folgen, doch diesmal könnte das anders sein, wegen zehn anderer Buchstaben: der Klimakrise. Diesen Mittwoch tritt ein Expertenzirkel der Bundesregierung erneut zusammen, er berät über den Beitrag des Verkehrs zum Klimaschutz. Der liegt nämlich bisher noch unter null.

Die Reflexe der Union funktionieren bei dem Thema für gewöhnlich gut, so auch diesmal: Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte erste Überlegungen der Berater zu Tempolimits und höheren Kraftstoffsteuern schroff zurückgewiesen. Scheuer meinte, dies sei "gegen jeden Menschenverstand" gerichtet. Doch so leicht begraben lässt sich das Thema nicht.

Das hängt zum einen an der miesen Klimabilanz des Verkehrs. Auf dessen Konto gingen 2017 mehr als 170 Millionen Tonnen Kohlendioxid, knapp ein Fünftel aller klimaschädlichen Emissionen. Während die deutschen Emissionen insgesamt aber seit 1990 um 28 Prozent zurückgingen, stiegen sie im Verkehrsbereich noch an. Bis zum März soll das Verkehrsministerium Vorschläge unterbreiten, wie sich dieser Trend umdrehen lässt, auch einen Zielwert gibt es schon: Bis 2030 sollen Autos, Lastwagen und Flugzeuge im Land noch maximal 98 Millionen Tonnen CO₂ im Jahr ausstoßen. Eine Vollbremsung, bei der ein Tempolimit helfen könnte. Entsprechende Forderungen hatten sich zuletzt gemehrt. Scheuers Expertenkommission führt das Tempolimit an sechster Stelle unter ihren 19 Vorschlägen - "Wirkung: insbesondere geringerer Kraftstoffverbrauch". Auch ein System von Bonus und Malus für den Kauf spritsparender Autos schwebt den Experten vor, oder eine Jahr für Jahr steigende Spritsteuer. Allerdings sind das alles bisher nur Ideen.

Deutschland ist das einzige EU-Land ohne allgemeines Limit

Das Tempolimit könnte darunter relativ leicht umzusetzen sein. Die höhere Spritsteuer etwa lehnt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann am Montag mit dem unmissverständlichen Hinweis ab, es gebe auch in Deutschland in jedem Auto gelbe Westen: Die Proteste in Frankreich lassen grüßen. Über ein Tempolimit dagegen könne man reden. Schon vorige Woche hatte die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland eine Petition angekündigt, um das Thema in den Bundestag zu holen. Und SPD-Vize Ralf Stegner sprach sich im Tagesspiegel dafür aus, eine Höchstgrenze auf Autobahnen "unvoreingenommen" zu prüfen. Die SPD hat eigentlich schon seit zehn Jahren eine Position. Beim Hamburger Parteitag 2008 beschlossen die Sozialdemokraten mit knapper Mehrheit ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen. 2011 wurde es bekräftigt. Die Forderung wurde aber nie konkret. In ein Wahlprogramm oder gar in Koalitionsverträge floss sie nie ein. Auch in den Bundestag brachte die SPD den Vorschlag nie ein. Experten sehen die freie Fahrt auch aus Gründen der Verkehrssicherheit kritisch. Deutschland ist das einzige Land in der EU, in dem kein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen gilt. Überall sonst gibt es Begrenzungen zwischen 120 und 130 km/h. Die Statistik weist das Fahren in Deutschland als gefährlicher aus. Mit durchschnittlich drei getöteten Personen im Jahr je 100 Kilometer Autobahn liegt Deutschland über den Werten von Großbritannien, den Niederlanden, der Schweiz, Dänemark, Finnland und Frankreich. Dort schwankt die Zahl zwischen einem und 2,5 Getöteten je 100 Kilometer.

Auch in Deutschland zeigen Beispiele, wie effektiv Tempolimits wirken. Als 2003 auf einem 63 Kilometer langen Abschnitt der A 24 in Brandenburg das Höchsttempo 130 eingeführt wurde, sank dort die Anzahl der Unfälle und Verletzten um 50 Prozent. Auf der A 4 wurde im September 2017 zwischen Merzenich und Elsdorf nach einer Unfallserie mit neun Toten Tempo 130 eingeführt. Auch die Gewerkschaft der Polizei spricht sich für niedrigere Geschwindigkeiten aus. In ihrem aktuellen verkehrspolitischen Programm fordert sie, dass Tempo 130 auf Autobahnen zur Regel wird. Der ADAC dagegen hält nichts davon. "Der Beitrag zur Verkehrssicherheit und zum Klimaschutz wäre gering", heißt es. Wo die Geschwindigkeit nicht schon begrenzt sei, lasse das Verkehrsaufkommen oft auch keine höhere Geschwindigkeit zu.

Ein Regierungssprecher ließ offen, wie Kanzlerin Angela Merkel zu einem Tempolimit steht. Man wolle ein schlüssiges Gesamtkonzept und keine Diskussion einzelner Maßnahmen. Am Ende gebe es eine Einigung. So viel Zeit muss sein.

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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