Kommentar:Weg mit der Uhr

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Marlene Weiß findet den zaghaften Atomausstieg der Schweiz eigentlich ganz gut. (Foto: N/A)

Laut der "Doomsday Clock" ist es mal wieder kurz vor zwölf - wegen des Klimawandels. Diese Rhetorik ist nicht nur lähmend, sondern auch falsch.

Von Marlene Weiss

Aha: Es bleibt also kurz vor zwölf. Wie immer, seit die Wissenschaftler vom Bulletin of the Atomic Scientists (BAS) im Jahr 1947 die sogenannte Doomsday Clock gestartet haben, um die nahende globale Katastrophe zu veranschaulichen. Damals stand die Uhr wegen der Atomkriegsgefahr auf sieben Minuten vor zwölf. Nach dem ersten START-Abrüstungsvertrag 1991 war es mal 17 Minuten vor Mitternacht, mehr Zeit bis zum Untergang blieb nie. In diesem Jahr, so teilte das BAS-Gremium soeben mit, steht die Uhr auf zwei Minuten vor zwölf; wegen der nuklearen Bedrohung und wegen des Klimawandels.

Der Einsatz ehrt die Wissenschaftler, und natürlich ist die kollektive Untätigkeit in Sachen Klimawandel gemeingefährlich. Aber der ewige Verweis auf eine tickende Uhr ist nicht hilfreich, nicht einmal passend. Ähnliches gilt für Berechnungen wie jene des Weltklimarats IPCC, wonach noch rund zwölf Jahre bleiben, bis das CO₂-Budget für das 1,5-Grad-Ziel verbraucht ist. Das heißt: Wenn es bis 2030 so weitergeht wie bisher, darf in der Zeit danach gar kein CO₂ mehr in die Atmosphäre gelangen. Klar, die Zahl hat ein wissenschaftliches Fundament und sie ist erschreckend. Aber zugleich suggeriert sie eine ähnliche Scheinwahrheit wie die Uhr: Wir dürfen vorerst weitermachen. Erst wenn dann nichts passiert, macht es rumms. Das aber wäre eine schreckliche Fehleinschätzung.

Klimaschutz ähnelt der Raucher-Entwöhnung: Je eher, desto besser; zu spät ist es nie

Zum einen ist "Weiter so" ein einfältiger Plan. Der Klimawandel ist im Gang, er ist real, er richtet für Mensch und Natur zunehmend Schaden an. Vor allem aber ist Klimaschutz keine Entweder-oder-Frage. Es gibt keinen Zeitpunkt, an dem abgerechnet wird, und dann ist "Hopp oder topp". Solche Rhetorik fördert nur Angst, Verzweiflung und Fatalismus. Tatsächlich ist es eher wie mit dem Rauchen: Aufhören lohnt sich immer, je früher, desto besser - aber auch, wenn man schon tiefschwarze Lungen hat, ist es nicht vergebens. Jede Zigarette weniger ist gewonnene Lebensqualität.

Sicher, die Analogie hat ihre Grenzen. Es gibt Kipppunkte, die man besser nicht überschreiten sollte, weil es von dort aus kaum noch ein Zurück gibt. Etwa, wenn die großen Eisschilde in der Antarktis instabil werden oder wenn ganze Ökosysteme zusammenbrechen. Sicher wäre es gut, würde die Menschheit vorher umsteuern, am besten sofort und radikal. Auf Dauer ist politisches Lavieren keine Lösung, die Welt muss CO₂-neutral werden, wenn sich der Planet jemals erholen soll. Trotzdem: Jeder Tag bringt von Neuem die Chance - und auch die Verantwortung! - zur Umkehr, für jeden Politiker, jeden Firmenchef, jeden Menschen. Wer stattdessen wie gebannt auf eine Uhr starrt, hat den Wecker nicht gehört.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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