Großbritannien:May muss einen weichen Brexit organisieren

Britain's Prime Minister Theresa May looks up during PMQ session in Parliament, in London

Theresa May im Unterhaus: Will die Premierministerin eine Mehrheit finden, muss sie nicht mit Brüssel sprechen, sondern mit der Opposition in London.

(Foto: REUTERS)

Die Premierministerin setzt bislang darauf, die Wünsche von Anhängern eines harten Brexit zu erfüllen. Doch das ist reine Zeitverschwendung - denn die Ideologen sind unberechenbar.

Kommentar von Björn Finke, London

Nun soll es also Brüssel richten: Theresa May will mit der EU über Änderungen beim Austrittsvertrag verhandeln. Dieser regelt die Bedingungen des Brexit, ohne ihn droht am 29. März eine chaotische Trennung. Allerdings hat die britische Premierministerin ihren Parlamentariern zuvor wochenlang gepredigt, dass Brüssel das Abkommen nicht mehr aufschnüren werde. Mays Kehrtwende erschüttert ihre Glaubwürdigkeit - und wird bei den Gesprächspartnern in Brüssel ernste Zweifel daran wecken, ob May die Lage noch im Griff hat und berechenbar und vertrauenswürdig ist.

Die EU sollte sich offen für Gespräche zeigen, aber hart in der Sache bleiben. Schließlich ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Zugeständnisse ausreichen würden, das Trauerspiel zu beenden. Die Blockade im britischen Parlament können nur die Abgeordneten und die Regierung aufbrechen. Vor zwei Wochen stimmte die große Mehrheit der Parlamentarier gegen den Austrittsvertrag. Auch ein gutes Drittel der Konservativen verweigerte der Parteichefin May die Gefolgschaft. Als Grund nennen diese Abweichler den Backstop. Diese Auffanglösung ist Teil des Vertrags. Sie sieht vor, dass das Königreich eng an die EU angebunden bleibt, sollten Zollkontrollen auf der irischen Insel anders nicht zu verhindern sein. Das erzürnt viele Anhänger eines harten Brexit.

May möchte deswegen mit der EU Alternativen zum Backstop finden. Dabei hatten London und Brüssel vor Abschluss des Brexit-Vertrags monatelang über diese Klausel gestritten. Am Ende stimmte May zu, und zwar genau deshalb, weil offenbar keine bessere Alternative existiert.

Den Backstop aufzuweichen, ginge nur mit Einverständnis der irischen Regierung. Dublin lehnt das jedoch ab, verständlicherweise, denn ansonsten gäbe es keine Garantie, dass die unsichtbare Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland nach dem Brexit unsichtbar bleibt. Und eine spürbare Grenze könnte in der einstigen Unruheprovinz Nordirland Spannungen provozieren. Daher wird die EU May nur kleinere Änderungen beim Backstop anbieten können.

Zugeständnisse aus Brüssel wären eine Einladung für Brexiteers

Die Premierministerin fühlt sich von einer Abstimmung im Parlament bestärkt. Dienstagabend erklärte eine schmale Mehrheit der Abgeordneten, dass der Austrittsvertrag in einem zweiten Anlauf gebilligt werden sollte, wenn der Backstop erst entschärft ist. Anders als May vorgibt, bedeutet das aber nicht, dass der Vertrag allein mit Zugeständnissen Brüssels zu retten ist. Denn es ist unklar, wie viele Anhänger eines harten Brexit in der Regierungspartei bereit sind, wegen kleinerer Änderungen ihren Widerstand aufzugeben. Vermutlich nicht genug. Dazu kommt: Macht Brüssel auf einmal Zugeständnisse, werden das manche Brexit-Enthusiasten als Einladung verstehen, neue Forderungen an May zu richten - und damit an die EU.

Will die Premierministerin eine Mehrheit finden, muss sie nicht mit Brüssel sprechen, sondern mit der Opposition in London. Sie muss versuchen, eine lagerübergreifende Mehrheit für einen pragmatischen Austrittskurs zu organisieren. Dazu muss sie Zugeständnisse machen, etwa den Verbleib in einer Zollunion mit der EU garantieren, wie es die Labour-Partei fordert. Das würde die Fans eines harten Brexit in ihrer Konservativen Partei vergrätzen. Doch diese Ideologen sind ohnehin unberechenbar. Für Verhandlungen nach Brüssel zu reisen, ist Zeitverschwendung. Und die Zeit ist knapp. Sehr knapp.

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