Kunstmarkt:Unbekannt, aber teuer

Zao Wou-Ki, "Untitled" (1958)

Zao Wou-Ki "Untitled" (1958) aus der Sammlung des Solomon R. Guggenheim Museum.

(Foto: Sotheby's/VG Bild-Kunst, Bonn 2019)

Posthume Wertschätzung: Die Bilder des chinesischen Exilkünstlers Zao Wou-Ki erleben eine rasante Preisdynamik. Das hat generell mit dem Aufschwung moderner asiatischer Kunst in Sammlerkreisen zu tun.

Von Till Briegleb

Was wäre los, wenn in Paris eine große Retrospektive von Marc Chagall, Francis Bacon oder Amedeo Modigliani gezeigt würde? Die Schau befände sich im Louvre oder im Grand Palais, und es würden Absperrgitter für die Publikumsmassen in die Straße gestellt sowie riesige Banner im Stadtraum hängen. Und was geschieht, wenn Zao Wou-Ki eine Retrospektive in Paris erhält? Sie findet im städtischen Museum für Moderne Kunst statt, die Absperrgitter vor dem Haus stehen da, weil das Haus gerade renoviert wird, Wartezeit gleich null, und außerhalb Frankreichs las man kaum eine Rezension der Schau "L'espace est silence", die am 6. Januar in aller Stille zu Ende ging. Aber was ist daran so erstaunlich?

Blickt man auf die Preisrankings des Kunstmarkts, dann steht Zao Wou-Ki auf einem Niveau mit Chagall, Bacon und Modigliani rund um Platz 15 der teuersten Künstler weltweit. 2017 setzten die Werke des Malers 80 Millionen Dollar um, doch im Herbst letzten Jahres wurde von Sotheby's in Hong Kong ein Gemälde Zao Wou-Kis plötzlich für 65,2 Millionen Dollar versteigert. Das große Triptychon "Juin - Octobre 1985", das der taiwanesische Unternehmer Chang Qui Dun 2005 noch für 2,3 Millionen Dollar gekauft hatte, brachte ihm 2735 Prozent Gewinn. Dabei erzielten Zao Wou-Kis Gemälde vor 2000 maximal sechsstellige Preise, 2013 lag der Rekord für ein Werk des Künstlers bei 14,7 Millionen Dollar, 2017 stieg er auf 17,5 Millionen - und ein Jahr später davon das Vierfache?

Dem 2013 verstorbenen Maler gelang nie wirklich der Sprung in die Topmuseen

Aus europäischer Perspektive ist dieser rasante Aufstieg Zao Wou-Kis in die Sphären, wo goldene Hammerschläge für Schlagzeilen sorgen, so erstaunlich, weil den 2013 verstorbenen Maler außerhalb von Fachkreisen im Westen kaum jemand kennt. In Frankreich, wohin der in Peking geborene Zao 1947 emigrierte, genießt er eine gewisse Prominenz als Vertreter des Informel, als Kollege von Pierre Soulanges oder Hans Hartung, Freund von Henri Michaux und des ebenfalls in China geborenen amerikanischen Architekten Ieoh Ming Pei.

Aber selbst in seiner Wahlheimat gelang ihm nie wirklich der Sprung in die Topmuseen, geschweige denn in anderen Ländern. In den vergangenen 20 Jahren stellte der zuletzt in der Schweiz lebende Maler überhaupt nur selten und dann vornehmlich im Galerienformat aus. Zwar erhielt er zu Lebzeiten 1994 den japanischen Premium Imperiale, den höchstdotierten Kunstpreis der Welt, und er war auch einmal auf der Biennale in Venedig zu sehen. Aber seine Popularität garte in Europa und Amerika trotzdem auf Sparflamme - wie seine Preise.

Die Übersichtsschau in Paris liefert auch nicht wirklich schlagende Gegenargumente für diesen Status. Zao Wou-Kis über Jahrzehnte nur dezent variierter Stil basierte auf der Verbindung von gestischer Zufallsmalerei in der Tradition abstrakter Nachkriegskunst, bereichert um Andeutungen chinesischer Kalligrafie, Tusche- und Landschaftsmalerei. Für einen Platz im Pantheon der Superabstrakten zwischen Jackson Pollock und Victor Vasarely fehlt dieser Kunst die singuläre Prägnanz, jedenfalls aus europäischer Sicht.

Der Sotheby's-Asienexperte Felix Kwok, der in Hong Kong an der Rekordauktion von "Juin-Octobre 1985" beteiligt war, hat für die überraschende Preisdynamik dann auch eine weniger eurozentrische Erklärung: "Der Anstieg der Popularität von Zao Wou-Ki muss in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden - dem Aufstieg moderner asiatischer Kunst als Sammlerkategorie. Das ist weit mehr der Grund als seine persönliche Erfolgsgeschichte."

Seit 2000 explodiert die Kunstmarkttätigkeit im asiatischen Raum

Tatsächlich gibt es seit der Jahrtausendwende eine explodierende Kunstmarkttätigkeit im asiatischen Raum, speziell in Hongkong und China. Allerdings bezog diese sich im hohen Preissegment lange ausschließlich auf traditionelle chinesische Kunst, die immer astronomischere Preise erzielte. Zhang Daqian oder Qi Baishi etwa, die weißbärtigen Priester chinesischer Gelehrtenmalerei von idealer Natur, stiegen dank chinesischer Sammler in die Top 3 der Auktionserlöse auf. Dort haben sie 2017 Andy Warhol und Claude Monet verdrängt und belagern nun Picasso als ewig Führenden des Geld-Index.

Zeitgenössische Kunst aus China erlebte seit 2000 ebenfalls einen Boom, aber das war in den letzten Jahren doch mehr ein Ausstellungs- denn ein Auktionstrend. Zeng Fanzhi, der aktuell einzige lebende chinesische Künstler in der Geld-Top 50, ist ganz am Ende der Liste angesiedelt, hat einmal in diesem Jahrhundert ein Bild für 17,5 Millionen Dollar versteigert gesehen, und hinter ihm klingeln nicht so viele Rekorde lebender Maler aus China.

Dass sich am wichtigsten Auktionsort Asiens, in Hongkong, wo laut Sotheby's die entscheidenden Sammler Zao Wou-Kis zuschlagen und angesiedelt sind, jetzt so viel Geld ausgerechnet mit diesem Exilkünstler verdienen lässt, hat vermutlich mit seiner einmaligen Mittlerrolle zu tun. "Die nahtlose Verschmelzung von westlicher und östlicher Nachkriegsabstraktion erlaubt es dem Werk Zao Wou-Kis, kulturelle Grenzen zu überwinden und sich eine große internationale Aufmerksamkeit zu sichern", sagt Felix Kwok, von solchen Künstlern gäbe es weltweit nicht so viele.

Tatsächlich muss man Zao Wou-Ki wohl als den wichtigsten Brückenkopf zwischen sehr unterschiedlich gearteten Märkten verstehen. War der westlichen Avantgarde- und Boheme-Moden verpflichtete Künstler mit Wohnsitz in Paris in früheren Zeiten wenig gelitten im Land seiner Eltern, so findet das in Asien zuletzt gewachsene Interesse potenter Sammler an außerasiatischer Kunst in ihm den perfekten Kompromiss.

Und während in Europa immer wieder von Krisen, Verlusten und Einbrüchen zu lesen ist, die den Kunstmarkt heimsuchen und die Wertschöpfung durch Gemäldekauf in Misskredit bringen, sprechen Kunstmarktexperten wie Roman Kräussl von der Luxembourg School of Finance von China als einem Markt, der die Kunst als Spekulationsobjekt erst gerade richtig entdeckt. Mögen zu einer Francis-Bacon-Ausstellung im Guggenheim Bilbao auch 300 000 Leute reisen, so schießen dafür die Preise seines weit weniger gefragten Zeitgenossen Zao Wou-Ki dramatisch in die Höhe - während Bacons Bilder in den letzten Jahren auch mal deutlich unter Schätzpreis versteigert wurden.

China ist ein Markt, der Kunst als Spekulationsobjekt gerade erst richtig entdeckt

Diese Schere zwischen Publikums- und Kunstmarktinteresse für einen Maler zwischen den Kulturen hat seine Ursachen zwar in dem neuen kommerziellen Gravitationszentrum in Asien. Und dieser Trend wird laut Felix Kwok im Falle Zao Wou-Kis mit dem letzten Rekordergebnis auch nicht zu Ende sein. Aber bis jetzt beansprucht Zao Wou-Ki den saloppen Titel "Teuerster Maler, von dem Sie noch nie etwas gehört haben", auch relativ konkurrenzlos, jedenfalls, wenn es um Malerei der Moderne geht. Falls er posthum doch noch echte Berühmtheit erlangt, dann vielleicht als Vorbote einer großen Entzweiung. Der alte Kunstmarkt-Grundsatz, dass große Museumspräsentationen die besten Preisbeschleuniger sind, hat mit Zao Wou-Kis Erfolg wohl deutlich an Bedeutung verloren.

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